Elisabeth Flucher

Oberfläche mit Tiefe – Eine Programmatik zur Verbindung von Materialität und Form

Torsten Hahn, Nicolas Pethes (Hg.), Formästhetiken und Formen der Literatur. Materialität – Ornament – Codierung. Bielefeld: transcript 2020. 358 S. [Preis: EUR 44,99]. ISBN: 978-3-8376-5408-0.

Der Band Formästhetiken und Formen der Literatur versteht sich als programmatischer Auftakt einer neuen literaturwissenschaftlichen Reihe im transcript-Verlag mit dem Titel »Literatur – Medien – Ästhetik«, dessen methodischer Anspruch weit präziser gefasst ist, als die Reihen- und Sammelband-Titel jeweils vermuten lassen. So sei bereits vorweggesagt, dass der Band gleichermaßen durch ein hohes Maß an intellektueller Schärfe, historischer Tiefe und begrifflicher Reflexion besticht, sodass die Zusammenstellung der einzelnen Aufsätze die in der Einleitung knapp formulierte Programmatik auf überzeugende Weise konkretisiert und ausdifferenziert. Die im Band zentral verhandelte Figur des Ornaments lässt den Eindruck entstehen, dass sich das vorgeführte Prinzip auf vielfältige Weise weiterdenken und weiter anwenden ließe: ein vielversprechendes Zeichen für den Auftakt einer Reihe.

Der Band schlägt eine Änderung der Blickrichtung vor, die die materiellen Bedingungen von Texten umfassend in die Analyse und Deutung literarischer Formen einbezieht, und führt diese veränderte Perspektive zugleich performativ vor. Der Anspruch des Bandes ist dabei weniger durch einen in methodologischer Hinsicht prinzipiell revolutionären Zugriff geprägt als vielmehr durch eine äußerst konsequente Durchführung und Verknüpfung bereits erprobter und etablierter Methoden. Zeitgemäß ist in jedem Fall die zentrale Anknüpfung an die Materialitätsforschung und die Digital Humanities, die umfassend durch historische Untersuchungen ergänzt und grundiert werden. Mit der programmatischen Emphase auf den Formbegriff wird der Materialitätsforschung zugleich ein starker Kontrapunkt gesetzt, der an den New Formalism und Aktualisierungen des Formbegriffs etwa bei Caroline Levine (Forms. Whole, Rhythm, Hierarchy, Network) anknüpft.[1] Im Spannungsfeld von Zeitgemäßheit und Unzeitgemäßheit ist auffällig, dass der Begriff der »Codierung« im Untertitel gegenüber den beiden anderen Begriffen »Materialität« und »Ornament« vergleichsweise zu kurz kommt. Über den Vergleich von Buchseite und digitaler Textausgabe gelangt im Beitrag von Matthias Bickenbach das Digitale systematisch in den Blick, verbleibt ansonsten jedoch eher als mediale Möglichkeit im Hintergrund. Zwar denkt die Rede von Medien immer auch die neuen digitalen Medien mit, sie werden jedoch nur selten als Beispiele der exemplarischen Lektüren herangezogen. Das ist nicht als Kritik zu verstehen, sondern bildet vermutlich gut den Stand der literaturwissenschaftlichen Forschung ab, die sich bisher noch nicht umfassend über die Konsequenzen neuer medialer Formate, insbesondere der sozialen Medien, für die Rezeption literarischer Texte sowie für eine Theoretisierung literarischer Formen verständigt hat.[2]

Der Begriff der Codierung kann jedoch auch umfassender als semiotisches Programm der Übertragung und Übersetzung verstanden werden, was in der Einleitung nicht eigens erläutert wird, jedoch vor allem in Bezug auf den Beitrag des Mitherausgebers Torsten Hahn sinnvoll erscheint, der den Begriff der »Übersetzungsketten« (mit Verweis auf Latour) in den Untertitel aufnimmt. Generell ist häufig von dem semiotischen Band zwischen Wörtern und Dingen die Rede, der semiotisch-strukturalistische Begriff des Codes nach de Saussure ist stets präsent. Beim Begriff der Codierung ist jedoch ebenso an Luhmann zu denken. Die Systemtheorie bildet eine wichtige theoretische Grundlage, die sich durch viele Beiträge zieht. Insbesondere Luhmanns Ornament-Begriff spielt eine zentrale Rolle. Er fungiert weniger als Gestalt- denn als Prozessbegriff und betrifft zudem eine wesentliche Bestimmung des Kunstwerks, er bezeichnet nämlich »nicht ein appliziertes Schmuck- und Verzierungselement, sondern die strukturelle Grundlage eines jeden Kunstwerkes«.[3] Auch Luhmanns Formdefinition, der zufolge der Unterschied zwischen Medium und Form lediglich ein relationaler ist und Form in einer lediglich festeren Kopplung von Elementen besteht,[4] wird in zahlreichen Beiträgen herangezogen. Der theoretische Rahmen des Bandes führt mit Baumgarten noch weit ins 18. Jahrhundert. Kant ist dabei ebenso häufig Gewährsmann wie Luhmann und es wird ein interessanter Bogen gespannt: von Kants angeblich inkonsequentem Interesse an Tapetenverzierungen hin zur industriellen Reproduktion von Konsumgütern nach Benjamin. Von einer historisch immer wieder programmatisch vertretenen ›Reinheit der Form‹ ist die Oberflächen-Ästhetik der gegenwärtigen Pop-Literatur auf den ersten Blick weit entfernt. Doch gerade das Spiel mit den Oberflächen erweist sich als überraschend anschlussfähig an die Formverliebtheit historischer Poetiken (die im Band von etwa 1800 bis ins frühe 20. Jahrhundert verfolgt werden), da die Oberfläche der Form immer schon an die Tiefe ihrer materiellen und medialen Ausgestaltung gekoppelt ist. Dem Band geht es in der Folge auch programmatisch um einen Formbegriff, der sich nicht als blasse Abstraktion von einem Inhalt oder einem Material versteht, sondern zu dessen Bestimmung intrinsisch und wesentlich die Materialität gehört. Die Beiträge sind folglich auf der Suche nach prozessualen und lebendigen Formbegriffen, die in theoretischen Texten aufgespürt und in literarischen Texten als performativ wirksam nachgewiesen werden. Der Begriff des Lebens erweist sich als weiterer dynamischer Korrelationsbegriff der Form, mit dem zugleich die Anforderung formuliert wird, dass die Lebendigkeit in der Form bewahrt werden solle.[5]

Der klaren Zielsetzung des Bandes sowie seinem Anspruch, die Form-Materie-Dualität weitestgehend zu überwinden, wird die Aufteilung des Bandes nur bedingt gerecht: Er gliedert sich einerseits in eine Diskussion von Formtheorien und -ästhetiken (»1. Ästhetiken der Form«), andererseits in Beispielanalysen literarischer Kunstwerke unter Berücksichtigung ihrer materiellen Grundlagen (»2. Literarische Formen«). Einige Beiträge überwinden jeweils diese Zweiteilung – so hätte etwa Anja Lemkes theoriegesättigter Beitrag »Philologisch-philosophische Arabesken. Schlegel liest Goethe und Fichte« auch in der ersten Gruppe Platz finden können. Jürgen Brokoffs glänzender Beitrag »Literarische Form und Intervention. Zur Formdiskussion im Kontext der proletarisch-revolutionären Literaturtheorie um 1930« bezieht die historische Theoriediskussion wiederum so konkret auf textuelle Formen, dass Theoriegeschichte und ›Literarische Formen‹ keinen Gegensatz mehr bilden. Auch Heinz Drüghs Beitrag »Ästhetik der pulchritudo adhaerens. Zur Form der Warenwelt« spannt den Bogen von klassischen ästhetischen Theorien, insbesondere Kants und des russischen Formalismus, zur industriellen und kommerziellen Warenästhetik und ihrer Reflexion in der Gegenwartsliteratur am Beispiel von Ottessa Moshfeghs My Year of Rest and Relaxation. Die Mehrzahl der Beiträge verbindet auf ebenso glückliche Weise die theoretische Reflexion mit der Analyse literarischer Texte und deren konkreter ästhetischer und ontologischer Gestaltung im Medium des Blatts, des Buchs, der Zeitschrift etc. und überwindet damit ebenfalls die angelegte Zweiteilung.

Die übrigen Beiträge leisten auf unterschiedliche Weise eine Verknüpfung von Materie und Form, wobei sich eine kritische Haltung gegenüber einem klassischen (reinen) Formbegriff abzeichnet, der jedoch zuweilen als Strohmann-Gegner aufgebaut wird: Thomas Hecken zeigt in »Form und Oberfläche als Metapher« die Aporien eines rein relational gedachten Formbegriffs auf und warnt als Auftaktbeitrag vor einer unreflektierten Begriffsverwendung. Kritisch gegenüber dem Formbegriff ist auch Peter Neumanns Beitrag »Entzeitlichung« angelegt, der mit Adorno einen Ideologieverdacht gegenüber Formkonzepten aus dem Umfeld des deutschen Idealismus, vorrangig bei Schiller und Schelling, äußert. Hier wird die Anknüpfungsfähigkeit der Theorien tendenziell unterbewertet – so hat ja Rancière noch in den 2000er Jahren eine Aktualisierung von Schillers Ästhetik unter dem Aspekt des Politischen unternommen.[6] Historisch am weitesten zurück geht Patrick Hohlwecks Beitrag »Das Verfahren der Form bei Baumgarten«, der in Baumgartens Ästhetik mit Frauke Berndt eine moderne »Medienästhetik« (52) rekonstruiert.[7] Die ästhetikologische Wahrheit ziele auf Individualität und schließe so jederzeit die Möglichkeit der »Dissonanz« (59) ein. Bettina Schlüters Untersuchung eines musikästhetischen Formbegriffs in »Die Dynamisierung der musikalischen Form« erweitert konstruktiv den literaturwissenschaftlichen Zugriff, da die Entwicklung eines dynamischen und prozessualen literaturwissenschaftlichen Formbegriffs über enormes Potenzial verfügt. Jürgen Brokoff zeichnet in »Literarische Formen und Intervention« insbesondere Benjamins Analysen von Formkritik und Formkrisen nach. Anja Lemkes Beitrag »Philologisch-philosophische Arabesken« analysiert Friedrich Schlegels Auseinandersetzungen mit Goethe und Fichte und fokussiert schließlich grafische Elemente in seiner mathematisch formalisierten Zeichensprache. Die Arabeske wird so als »pulsierende Bewegung von Formung und Chaos« (184) lesbar. Wolfgang Hottner untersucht in »Anorganische Form« die poetologische Funktion der Geologie in Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre. Sie wird (in der Figur Montans) als »retardierend-dämonisch« (188) beschrieben und erzeugt auf diese Weise einen rekursiven Form-Effekt der Wiederholung als »origineller Umschrift« (205). Armin Schäfer deutet in »Das Prosagedicht« einige Prosa-Texte Ilse Aichingers als poetische Auseinandersetzung mit dem Motiv des Regens, das selbst »ein Formproblem in der Lyrik aufwirft« (332), also mehr denn bloßes ›Motiv‹ ist.

›Form‹ wird von den Herausgebern mit Luhmann als »Selbstreferenz« (10) definiert, womit jedoch gerade nicht »eine Rekonstruktion literarischer Formästhetik als Höhenkammgeschichte einer littérature pure« (14) angestrebt wird. Stattdessen wird versucht, die Materialität des Mediums Buch und seiner Paratexte in die Formreflexion miteinzubeziehen: »Im Fall der Literatur ist damit [mit der Anordnung medialer Elemente zur Konstitution von Texten oder Kunstwerken] neben der sprachlichen Form etwa die visuelle und haptische Dimension von Büchern angesprochen, wie sie sich in Typographie, Layout, Illustrationen, Einbandgestaltung und ähnlichen Paratexten niederschlägt.« (11) In erster Linie geht es dem Band also um die Materialität und Medialität des Buches, wie auch auf der Verlagswebseite die Reihe als Forum für Arbeiten zur »Theorie und Ästhetik des Buches« angekündigt wird.[8]

Zu dieser zentralen Fragestellung der konkreten Materialisierung formaler Selbstbezüglichkeit im Medium Buch tragen mehrere Aufsätze Wesentliches bei: Ausführlich geht Matthias Bickenbach in seinem kenntnisreichen Beitrag »Die Form des Buches. Oder warum das absolute Buch bei Novalis Seiten hat« auf kulturwissenschaftliche Grundlagen der Buchforschung ein. Er weist auf die Anfangsgeschichte des Buches mit der antiken Erfindung des Kodex, der die Buchrolle ablöste (150), und damit auf die Urform des »Topos des Vademecums« bei Martial hin. Das einhändige Lesen ermöglichte laut Bickenbach eine Reihe weiterer »Kulturtechniken«, nämlich »die Lektüre mit dem Stift in der Hand« (150) und mit »Kommentar, Exzerpt, Studium und Exegese« zugleich den »Typus des Schriftgelehrten« (151). Davon ausgehend wird die Perspektive zu einer konkreten Leseszene in Novalis’ Heinrich von Ofterdingen erweitert, in der Ofterdingen sein eigenes Leben in einem zufällig aufgeschlagenen Buch des Einsiedlers wiederfindet (159). Damit sind mindestens zwei weitere mit dem Buch zusammenhängende Kulturtechniken angesprochen: das Blättern (149) und das Erinnern bzw. das Buch als Mnemotechnik (152). Alle drei betreffen das Buch in seiner Dreidimensionalität (148, 151). Ein viertes, aleatorisches Element wird mit der Nutzung des Buchs als Orakel zur Deutung des eigenen Lebens angesprochen (151).

Nicolas Pethes’ Beitrag »Ornamentaler Realismus. Zur Poetik der reinen Prosa bei Adalbert Stifter« stützt sich methodisch gleichermaßen auf Luhmann wie auf den New Formalism und die bereits erwähnte Arbeit Forms. Whole, Rhythm. Hierarchy, Network von Caroline Levine. Er sieht den Vorzug der formalistischen Untersuchung oder Strukturanalyse von Texten darin, dass sie die Texte mit Strukturen der Wirklichkeit und Gesellschaft auf eine Ebene stellt und sie somit gleichermaßen beschreiben kann. Diese ›Öffnung‹ zur Gesellschaft hin wird am Beispiel der Poetik des Realismus des 19. Jahrhunderts demonstriert. Eine Untersuchung der »ornamentale[n] Dimension« (216) einiger Texte Stifters wird anhand des Rhythmus oder auch der »Struktur, die durch Redundanz und Varietät im Prozeß des Arrangements von Textelementen emergiert« (218), entfaltet. Dabei handelt es sich weniger um ein rhetorisches, sondern vielmehr um ein grafisches Muster der Rekursion und Variation, nämlich ein »formale[s] Spiel von Redundanz und Varietät« (219). Damit zeigt der Aufsatz, wie Stifters Stil mit »Layout und Typographie« (223) konvergiert und damit ein semantisches »Rauschen« (222) erzeugt. Mit den genannten Mitteln werde ein Ästhetizismus erzeugt, der die typografische Gestaltung von der Semantik löst oder ihr »sogar programmatisch entgegen[]setzt« (224). Pethes’ These zufolge legen Stifters Texte mit dieser Ästhetik die kommunikativen Prozesse in der »Genese von Sozialstrukturen« (225) offen, die mit denen literarischer Texte identisch sind.

Daniela Gretz untersucht in »die reine farben- formen- und linienfreude. Zur Vision einer ›reinen Formkunst‹ in den ornamentalen Konstellationen der Blätter für die Kunst« das Formprogramm der genannten Zeitschrift. Dabei wird zunächst präzise mit Luhmann festgestellt, wie sie sich von vergleichbaren Zeitschriften abgrenzt und versucht, sich als der ›Kunst‹ zugehörig zu zeigen. Mit dem Programm einer ›reinen Formkunst‹ wird ein Elitismus als paradoxe »Marktstrategie« (232) erprobt. Die formale Struktur der Zeitschrift wird nun ebenfalls als Arrangement von »Redundanzen und Variationen« (237) beschrieben, das eine »rekursive[,] sich variierend wiederholende[] miszellane[] Grundstruktur« (237) ergibt. Dieses »Konstellationsverfahren« (237) wird plausibel mit Luhmann als Ornament verhandelt. Anhand einer Reihe programmatischer Texte und Georges »Teppich«-Gedicht wird gezeigt, dass der Begriff des ›inneren Ornaments‹ treffend die formale Verdichtung und damit zugleich den Lebensbezug beschreibt.

Marcus Krauses Aufsatz »Die Gestalt der Literatur. Zum Verhältnis von Form, Format und Formation in Robert Musils Journalprosa« wendet sich einigen Texten Musils und deren medialen Veröffentlichungskontexten zu. Erhellend wird gezeigt, wie sich die Prosaminiaturen der »Unfreundlichen Betrachtungen« anders verstehen lassen, je nachdem, ob sie im Zeitschriftenkontext der Erstpublikation oder im Rahmen der Werkausgabe gelesen werden, wo sie erst zu »unfreundlichen Betrachtungen« werden, und zwar wesentlich durch die »Umgebung« (279), ein Begriff, der sich auf die Gestaltpsychologie bezieht. So wird plausibel vorgeführt, dass sich die Prosaminiatur »Türen und Tore« im Rahmen der Zeitschrift Sport im Bild, in der die Ironie des Textes vermutlich unerkannt bleibt, anders ausnimmt als im Rahmen der Werkausgabe. Die illustrierte Zeitschrift mit ihren zahlreichen Produktwerbungen weist demnach eine »gefällige Oberflächenästhetik« auf, die Musil in seinem Text aufgreift und zugleich mit ironischen »Hintertüren« (282) versieht, indem er den Leser:innen Nostalgie und Modernekritik nahelegt. Anschlussfähig sind in dem Beitrag zudem die Definitionen, die Krause im Rekurs auf Luhmann zur begrifflichen Unterscheidung von Form, Format und Formation anbietet (261f.).

Torsten Hahn zeigt in seinem Beitrag »Die skulpturale Form der Literatur. Das Buch als ästhetisches Artefakt mit paradoxer Tiefe (Übersetzungsketten)«, wie Bücher als Skulpturen und Bilder – also als »Raumkunst« (339) – theoretisiert werden können, während sich Musik und Literatur primär als »Zeitkunst« (341) begreifen lassen. Aus der selbstreferentiellen Form solcher ornamentaler oder bildhafter Kunst leitet Hahn ab, dass die Philosophie als Instanz der Deutung obsolet werde und dass die skulptural gedachte Kunst als autonome ihre eigene »Reflexionstheorie« (347) liefern müsse: »Da Kunst ein System ist, für das kein Code widerspruchsfrei bestimmt werden kann […], muß das Kunstwerk als Ereignis die Differenz zu nicht-kunstförmiger (nicht-werkförmiger) Kommunikation stiften und diese beobachtbar machen.« (347) »Selbstreferenz« wird damit zum Insigne »nach-heteronome[r] Kunst« (347). Nach Hahn konvergieren »ornamentale[] Tiefe« und »Wahrheit der Form« (349), Begriffe, die jedoch der weiteren Erläuterung bedürften. Für Rafael Horzons Das weisse Buch wird verdeutlicht, wie das Buch als »ästhetisches Artefakt« »mit dem ebenso ontologisch wie philologisch nicht eindeutigen Status des Umschlags spielt« (352). Damit wird der Bogen von der Theorie zurück zur Anfangsbeobachtung einer Popästhetik des Zeitschriftenkontextes gespannt.

Obwohl sie nicht in die Reihe der Beiträge zur ästhetischen Form des Buches gehört, sei noch der überaus gelungene und überraschende Beitrag von Charlotte Jaekel »›Formale Ekstase!!! (Great!)‹ Zum Animismus der Linie in Ästhetik, Literatur und Animationsfilm« erwähnt, der einen umfassenden und erhellenden Blick auf ästhetische Konzepte der Linie wirft. Der reiche Durchgang durch die Geschichte der Ästhetik, die die Linie als Form des Lebendigen skizziert, kulminiert in Sergej Eisensteins Betrachtungen über die Animationsfilme Walt Disneys, die in animistischer Tradition Linien zum Leben erwecken und damit die Rückkehr in eine Epoche eröffnen, die noch keine »Trennung von Natur und Kultur« (308) kennt. Disney stehe damit nicht nur »jenseits von gut und böse« (308), sondern lege darüber hinaus die Möglichkeit »einer Rückkehr in nichtmoderne Ontologien frei« (314), die sich als »fröhliche Form« oder »formale Ekstase« (314) äußert.

Anmerkungen

[1] Vgl. Caroline Levine, Forms. Whole, Rhythm, Hierarchy, Network. Princeton/Oxford 2015, sowie deren Rezension von Werner Michler, Form und Formung – Theorie und Praxis zwischen Kunst und Gesellschaft, in: JLTonline (13.07.2018), http://www.jltonline.de/index.php/reviews/article/view/965/2251. [zurück]

[2] Als Beispiele für neuere Untersuchungen vgl. etwa Niels Penke, #instapoetry. Populäre Lyrik auf Instagram und ihre Affordanzen, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 49 (2019), 451-475; Philipp Böttcher, Gelesener Gesang. Lyrics im Zeichen des Medienwandels, in: Steffen Martus, Carlos Spörhase (Hg.), Gelesene Literatur. Populäre Lektüre im Zeichen des Medienwandels, München 2018 (Text+Kritik Sonderband), 73-82; Jörgen Schäfer, Netzliteratur, in: Natalie Binczek, Till Cembeck, Jörgen Schäfer (Hg.), Handbuch Medien der Literatur, Berlin/Boston 2013, 481-501; Jan Drees, Sandra Annika Meyer, Twitteratur. Digitale Kürzestschreibweisen, Berlin 2015. Siehe auch den „Schreibweisen-Blog“ der Universität Greifswald, https://germanistik.uni-greifswald.de/institut/arbeitsbereiche/neuere-deutsche-literatur/dfg-projekt-schreibweisen-der-gegenwart/schreibweisen-blog/n/wie-twitter-literaturwissenschaftlich-erforschen-79678/. [zurück]

[3] Michael Dürfeld, Das Ornament. Architektur und Systemtheorie, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 36 (2008), H. 4, 75-79, 76. [zurück]

[4] Vgl. Niels Werber, Medium/Form. Zur Herkunft und Zukunft einer Unterscheidung, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 36 (2008), H. 4, 64-70, 65. [zurück]

[5] Hier lässt sich ebenso der Begriff des ‚embodiments‘ anschließen, der auch im Beitrag von Matthias Bickenbach »Die Form des Buches. Oder warum das absolute Buch bei Novalis Seiten hat«, S. 141, anklingt. Vgl. hierzu etwa die neuere Studie von Zoe Roth, Formal Matters. Embodied Experience in Modern Literature, Edinburgh 2022. [zurück]

[6] Vgl. Jacques Rancière, Der emanzipierte Zuschauer, aus dem Französischen von Richard Steurer, hg. von Peter Engelmann, Wien 2009 [frz. Original: Le spectateur émancipé, Paris 2008]. [zurück]

[7] Vgl. Frauke Berndt, Poema/Gedicht. Die epistemische Konfiguration der Literatur um 1750, Berlin/Boston 2011. [zurück]

[8] https://www.transcript-verlag.de/reihen/literaturwissenschaft/literatur-medien-aesthetik/?f=12320 (letzter Zugriff: 01.09.2024) [zurück]

2025-05-09

JLTonline ISSN 1862-8990

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