Sebastian Lederle

Pflicht und Kür einer Theorie des Mythos

Angus Nicholls: Myth and the Human Sciences. Hans Blumenberg's Theory of Myth. New York: Routledge 2015 [EUR 47,99]. ISBN: 978-1-138-23670-7.

Hans Blumenbergs Werk hat in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit nicht nur in der akademischen, sondern auch in einer breiteren interessierten Öffentlichkeit erhalten. Doch man hat sich dessen bewusst sein, dass Blumenberg nicht gleich Blumenberg ist. Da gibt es den, der sehr wohl gelesen werden und Gesprächsthema sein wollte. Da gab es den, der sich nur ungern in der Öffentlichkeit blicken ließ und lieber zurückgezogen in seinem Büro nächtens arbeitete. Da gab es den, der in jahrelanger brieflicher und telefonischer Korrespondenz mit vielen anderen stand und um eine Stellungnahme kaum verlegen war. Und da gab es noch den Autor vieler umfangreicher Bücher, die in ihrer Eigenart die Leser auf ihren Autor nur neugierig machen können, wessen sich Blumenberg durchaus bewusst war.

Wer also auf Blumenberg setzt, sollte wissen, worauf er oder sie sich einlässt: mehrere tausende in einer großen Zahl von Büchern und Aufsätzen ausgebreitete Seiten, die je nach Produktions- und Rezeptionskontext zwischen Literatur und Philosophie schwanken, einem ein Äußerstes an Konzentration, Durchhaltevermögen, Reflexion und Bildungsinvestment abverlangen und sicher mehr als einmal die Frustrationstoleranz angesichts des berechtigten Verdachts, es gehe bei Blumenberg zwar immer mit interessanten Dingen, nicht immer aber mit Thesen zu, auf die Probe stellen. Blumenberg zu lesen und über ihn zu schreiben ist Knochenarbeit.

Ein solches Stück unerlässlicher Knochenarbeit liefert Angus Nicholls mit seinem Buch Myth and the Human Sciences, in dem er sich mit Blumenbergs Theorie des Mythos auseinandersetzt. Zugleich darf man Nicholls Buch auch als eine Einführung in Blumenbergs Denken für das englischsprachige Publikum verstehen, welche unter anderem einen kurzen, auf Dokumente und Briefe aus dem Nachlass im Marbacher Literaturarchiv gestützten Überblick über das Leben Blumenbergs bietet und zahlreiche nicht ins Englische übersetzte Textauszüge verwendet, die zum Teil auch auf Deutsch noch nicht veröffentlicht sind.

Nicholls Buch ist eine verständliche und gut strukturierte Darstellung auch noch der verwickelten Bezüge und anspruchsvollen Problemstellungen, mit denen sich Blumenberg im Kontext von Arbeit am Mythos beschäftigt und die auch darüber hinaus gehende, sein Gesamtwerk einbeziehende Diskussionen bietet. Da diese aber für die Leser eher selten offen an der Textoberfläche liegen, ist deren geduldige und kenntnisreiche Explikation, die Nicholls mit seinem Buch unternimmt, nicht eben wenig und für die Blumenberg-Forschung ein eindeutiger Gewinn.

Nicholls legt seine Monographie als »reconstructive intellectual history« (33) in zweierlei Hinsicht an: zum einen sollen die Bezüge Blumenbergs zu anderen Denkern herausgearbeitet werden, zum anderen geht es um die Erhellung der Zusammenhänge innerhalb des Werks von Blumenberg (vgl. 34). Dies soll durch eine gezielte Historisierung der Arbeiten Blumenbergs geschehen (vgl. 10, 15), durch die sie in einen politischen, institutionellen Zusammenhang gestellt werden. Blumenbergs Denken soll als Teil philosophischer Debatten verstanden und als Beitrag zu solchen rekonstruiert werden. Das ist eine wichtige methodische Weichenstellung, die, wie gezeigt werden soll, nicht ohne Probleme und Einschränkungen ist: wie man sich Blumenberg nähert und mit ihm umgeht, hat Konsequenzen dafür, welchen Blumenberg man zu Gesicht bekommt, welche Vorzüge und Mängel festzustellen sind. Das heisst, dass es durchaus als eine Vorentscheidung anzusehen ist, wenn Nicholls nicht nur seine eigene Herangehensweise, sondern auch Blumenbergs Buch Arbeit am Mythos ebenso als »intellectual history« bezeichnet, in deren Zentrum »questions asked of humans and answered by them« (17) stehen.

Mit der Verortung Blumenbergs in einem ideengeschichtlichen, interdisziplinären und politischen Kontext verfolgt Nicholls das Ziel, die Rolle, die der Mythos innerhalb der Human- und Kulturwissenschaften heute spielt, spielen kann und spielen darf, an Hand von Arbeit am Mythos exemplarisch zu eruieren. Sein Buch gliedert sich demnach in Kapitel, die den philosophischen und anthropologischen Hintergrund der Mythostheorie Blumenbergs herausarbeiten (Kapitel 2,3,4), die in Fallstudien zeigen, »how the theory works in relation to primary literary sources« (34; Kapitel 5,6) und die schließlich den politischen Kontext und die Rezeption seiner Theorie beleuchten (Kapitel 7,8). Aus der beeindruckenden Fülle an Fragen, Material und Bezügen, die Nicholls anspricht, heraus- und durcharbeitet, können hier nicht alle besprochen werden. Das Folgende beschränkt sich daher auf eine Diskussion der methodisch-reflexiven Eigentümlichkeiten, mit der es eine Theorie des Mythos zu tun bekommt, und wendet sich von dort metakritisch der politischen Kritik zu, die Nicholls an Blumenbergs Theorie übt.

Als zentrales Anliegen der Human- und Kulturwissenschaften sieht Nicholls die Beantwortung der berühmten Kantischen Frage danach, was der Mensch ist (vgl. 3). Damit ist auch die Frage nach der Relevanz und Funktion des Mythos angesprochen. Insofern man nämlich vom Mythos als Teil des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses handelt und man daher davon ausgehen darf, dass eine Theorie des Mythos darüber Rechenschaft ablegen können muss, was der Mythos über den Menschen in Erfahrung bringt, ist eine Theorie des Mythos gleichzeitig ein Beitrag zur Klärung der Frage Kants.

Der springende Punkt liegt für Nicholls dabei in der zirkulären Verschränkung zweier Einsichten: Zum einen ist das erfragte Wesen des Menschen kein »empirical thing« (4) und kann daher nicht durch Beobachtung, Experiment und logische Schlussfolgerungen verifiziert oder falsifiziert werden, zum anderen gibt es keine humanwissenschaftliche Theorie des Mythos, die nicht ein Vorverständnis dessen, was ein Mensch ist, besitzt und daher nicht durch das, was durch eine Theorie des Mythos erst expliziert und begrifflich geklärt werden soll, bereits getragen ist (vgl. 33). Mit einem solchen Zirkel umzugehen ist eine Aufgabe jeder Theorie, die sich der Kultur als Lebens- und Produktionsspähre des Menschen in welcher Form auch immer widmet. Aus diesem Grund, so Nicholls, hadert Blumenberg geradewegs damit, »what the term ›science‹ actually means, when applied to a human being« (93), insofern man die »epistemological impossibility of ever arriving at a defintive human self-identiy« (92) anerkennt. Deutlich sieht Nicholls, welche Konsequenzen das für Blumenbergs Verständnis von Philosophie und Wissenschaft hat, das beide nur als »radically scaled down and perhaps even ironic form« (117) zulässt. Nicholls fasst dies präzise zusammen: »No story of anthropogenesis can be accepted as final and definitive, because any such story will always be told from a specific point in history, and the origin of which such stories speak is in any case so far behind us that no empirical evidence could ever possibly prove or disprove their truth.« (117)

Betrachtet man es als die Grundfrage der philosophischen Anthropologie, was den Menschen zum Menschen macht, so kann auf Grund der zirkulären Verfasstheit jeder diesbezüglichen Theoriebildung deren Klärung nicht auf dem Wege einer Ermittlung eines feststehenden Wesens oder einer umfassenden und lückenlosen Selbstobjektivierung geschehen. Vielmehr gilt es für dieses Vorverständnis sensibel zu sein und es in Begriffen zu fassen, die auf ihre partizipativ-zirkuläre Struktur hin transparent sind. In diesem Sinn, so meint Nicholls, vertritt Blumenberg eine non-essentialistische und historische Form philosophischer Anthropologie (vgl. 21), die er als den theoretischen Unterbau von Arbeit am Mythos ansieht (vgl. 32). In der Tat: Blumenbergs Buch bringt auf der Grundlange einer non-dogmatischen Anthropologie eine Theorie des Mythos als Theorie der grundlegenden kulturellen Verfasstheit des Menschen.

Was den Mythos als Thema darüber hinaus besonders auszeichnet, ist, dass es bei ihm um das menschliche Selbst- und Weltverhältnis im Ganzen sowohl als terminus a quo als auch terminus ad quem geht. Was am Mythos sichtbar wird, ist die Verwicklung der Theorie mit ihrem Gegenstand, sobald der Gegenstand von sich aus ein Momentum auf Theorie hin entwickelt und damit als mitlaufendes Formierungsmoment bedacht werden muss. Diese grundlegende Reflexivität hat eine Theorie des Mythos als Teil einer Theorie des Menschen zu beachten: Der Mythos ist nicht einfach ein Teil der Kultur. An ihm wird vielmehr das ablesbar, was die menschliche Lebensform ausmacht.

Dem Mythos ist eine epistemologische Unbestimmtheit, eine gewissermaßen grandiose szientifische Unsolidität eigen, sein Thema, die Anthropogenese, also der Prozess der Menschwerdung, erlaubt keine eindeutige objektive Bestimmung (vgl. 91) Der Mensch ist nicht einfach eine neutrale Tatsache, kein »empirical thing«, da er niemals nur Natur oder Kultur, sondern immer zugleich Natur und Kultur ist. Er kann und muss sich nicht vollständig in den Griff bekommen: »The real explanatory power of Work on Myth lies in its capacity to offer a coherent theory of myth reception grounded in a historicist account of human nature, elements of which still remain plausible within the biological sciences.« (173)

Als Kern der Anthropologie Blumenberg macht Nicholls daher ganz richtig das aus, was er die »anthropological reduction« (111) nennt. Ihr geht es um eine »non-ideological or value-free description of the human being« (110). Genauer gesagt geht es um eine Umstellung der anthropologischen Grundfrage von ›Was ist der Mensch?‹ auf ›Wie wurde der Mensch als dieser möglich?‹ (vgl. 111). Blumenberg geht aus von der grundsätzlich riskierten und bedrohten Existenz des Menschen in der Welt, die er inbegrifflich unter der berühmt gewordenen Formel eines Absolutismus der Wirklichkeit fasst (vgl. 61ff.): Der Mensch hätte nicht sein müssen und auch nicht so. Dass er aber ist und so geworden ist, dafür gibt es keinen Grund, den man angeben und auf den man sich verlassen könnte. Aus Blumenbergs Sicht stellen alle auch noch so marginalen kulturellen Leistungen des Menschen Versuche dar, diesen Absolutismus zu distanzieren, den Zustand der Überforderung des Menschen mit der Tatsache, über die Bedingungen seines Daseins auf elementare Weise nicht zu verfügen, erträglich zu machen. Kultur ist die Bearbeitung der Kontingenz der menschlichen Existenz durch Distanznahme zu ihrer angstbehafteten Faktizität. Diese Bearbeitung hebt mit dem Mythos als basale Bannung des Schreckens an, grundlos und trotzdem in der Welt zu sein. Nicholls betont, dass es nach Blumenberg nicht möglich ist, auf ein erstes Mal zu rekurrieren, an dem der Mythos seine Arbeit verrichtet hat. Es gibt keine tatsächliche, nachweisbare Urszene, nur eine imaginierte unter einer unbestimmten Zahl von anderen (vgl. 116ff.), von der aus sich auf verschiedene Weise erzählen und nachvollziehen lässt, wie der Mensch im Bewusstsein seiner Kontingenz geworden ist, was er ist. Man kann der Zuspitzung Nicholls durchaus folgen, wenn er meint, die durch den Mythos exekutierte »distance from nature (...) explains everything« (116)

Anhand einschlägiger theoretischer Passagen in Arbeit am Mythos zeigt Nicholls überzeugend, dass Blumenberg in seiner Auseinandersetzung mit Cassirer und Heidegger auf die Streitpunkte in ihrer Davoser Disputation zurückgreift (vgl. 103ff.). Dass Blumenberg sich mit der Verwendung von Begriffen wie Angst und Faktizität bei der Beschreibung der Distanzarbeit des Mythos durchaus der Nähe zu Heideggers Daseinsanalytik aus Sein und Zeit bewusst ist, darf, so Nicholls nicht den Blick dafür verstellen, dass Blumenberg nicht von einem abstrakt-ontologischen geworfenen Entwurf des Daseins ausgeht, sondern die durch den Mythos entworfene humane Perspektive auf die Welt sich in einem »slow process of cultural selection« (102) geschichtlich entwickelt. Nicholls schließt sich der These Oliver Müllers an, derzufolge die prozesshaft mythische Orientierung analog zum Konzept der symbolischen Form bei Ernst Cassirer zu verstehen ist (vgl. 102).

Als limes-Vorstellung auf der anderen Seite des Spektrums taucht, wie Nicholls zutreffend sagt, das Vergessen der Distanzierungsarbeit (vgl. 199, 149) auf, die im »absolutism of wishes« (238) als dem referenzlosen Spiel, dem Verlöschen noch des angsterregenden Anstoßes einer übermächtigen Wirklichkeit, zu dem er neben Nietzsche auch Blumenberg selbst rechnet. Das ist, was Blumenberg angeht, nur teilweise richtig. Denn darauf, dass es die Pointe des Blumenbergschen Historismus ist, entgegen der hie und da aufbrechenden Tendenz der Selbstmyhtologisierung ist, sich in einem eminenten Sinne zu erinnern, dass Erinnerung für Blumenberg gleichursprünglich mit Vergessen ist, ja beide sich gegenseitig anthropologisch und historisch bedingen – darauf kommt Nicholls nicht zu sprechen. Den Historismus nur in Bezug auf eine non-essentialistische Anthropologie zu sehen, greift zu kurz. Blumenberg selbst gibt ja in Lebenszeit und Weltzeit und Beschreibung des Menschen ausführliche phänomenologische Anaylsen der Erinnerung und befragt sie auf ihre Bedeutung für die Kultur des Menschen. Es bleibt unklar, warum Nicholls die Kritik Blumenbergs an einem präsentistisch verkürzten Selbstverständnis der Gegenwart (vgl. 101) zwar referiert, sie aber in kein Verhältnis zur mythosinduzierten Drift zur Kontingenzvergessenheit setzt.

Es sind die Verwicklungen zwischen beiden Polen, die Blumenbergs Bücher so reizvoll und im Grunde renitent gegenüber einem Historisierungsprogramm, wie es Nicholls vorschlägt, erscheinen lassen. Wie weit ist man nun bereit, diese Nicht-Objektivierbarkeit der conditio humana ins Nachdenken über den Menschen hinein reichen zu lassen. Blumenbergs Pointe ist hier: sie reicht so weit, wie man eben bereit ist, sie reichen zu lassen, weil es keine a priori existierende Grenze gibt. Was Nicholls Historismus im Gegensatz zu demjenigen Blumenbergs nicht thematisiert, ist, ist eben jene kontingente Selektivität und Perspektivität, unter der auch sein eigenes rekonstruktives Unternehmen steht und das seinen Blick auf die Theorie des Mythos bei Blumenberg vorab mitbestimmt. Wie sieht es mit dem Ausweis des impliziten Bewertungshintergrundes von Nicholls eigenem Zugang aus? Gilt für ihn die Zirkularität nicht auch? Und wenn doch: kann oder muss sie dies auf andere Weise als bei Blumenberg? Nicholls kommt auf diese Interferenz an vielen Stellen zu sprechen: Es gilt die Möglichkeit zu erwägen, dass Blumenbergs »theory of myth itself always implicated a myth« (34). Blumenbergs »theory of myth« ist »reflexivly aware of its own historical position within the theory of myth.« (33). Blumenbergs Theorie ist sich dessen bewusst, dass der Mythos niemals als »completely externalised 'object'« betrachtet werden kann, »which then theory untertakes to describe« (120), ihr Status sei "self-consciously hypothetical." (245) Nicholls hält pointiert fest: »(...) any theory of myth must itself do work similar to that originally done by myth.« (120)

Auffällig an den Bemerkungen Nicholls dazu ist, dass er die Reflexivität in Bezug auf Blumenbergs Theorie des Mythos feststellt, sich aber in Hinblick auf den Status seiner eigenen Ausführungen sehr zurückhält. Er exponiert ein methodisches Problem einer Theorie des Mythos, unterlässt aber eine weiterführende Diskussion. Dies muss überraschen, da es ja durchaus darum gehen soll, kenntlich zu machen, was an Blumenbergs eigener Arbeit am Mythos exemplarisch ist. Kann dies nach der von Nicholls gesehenen Mitarbeit des Mythos an jeder Arbeit der Theorie wirklich nur in der »capacity to offer a coherent theorie of myth reception« als »intellectual history« bestehen? Weiterhin ist die Zurückhaltung gegenüber der Art und Weise auffallend, wie Blumenberg selbst in Arbeit am Mythos mit dem Befund einer reflexiven Verstrickung in den Mythos umgeht. Nicholls sieht wohl, welche Richtung Blumenberg einschlägt: »The more sceptical it [die Philosophie, SL] becomes (...) the more philosophical style matters.« (30) Nicholls nennt auch die ästhetisch-imaginative Dimension von Arbeit am Mythos (vgl. 128ff., 200), geht ihr aber als einem integralen Teil der Theorie des Mythos bei Blumenberg nicht weiter nach.

Das ist aber unerlässlich, wenn man sich darüber Klarheit verschaffen will, warum für Blumenberg eine Theorie des Mythos nicht nur seine Familienähnlichkeit mit dem Mythos methodisch zu reflektieren hat, sondern sich als eine Abschlussform der Arbeit am Mythos performativ zu inszenieren hat. Als eine solche ist sie zugleich von der Arbeit des Mythos mitermöglicht und gibt immer nur eine mögliche Abschlussform, da diese Ironisierung einer Anfang und Ende der Menschwerdung umspannenden Geschichte, zumindest in Blumenbergs Sicht, auf der Ebene der Darstellung das komplementäre Gegenstück zur Unbestimmbarkeit des Menschen als narrativen Gegenstand abgibt. Eine Darstellung mit ironischem Unterton ist mitnichten eine willkürliche Darstellung. Sie ist aber eine, deren ganzer Ernst darin besteht, dass sie mit gutem Grund auch anders hätte ausfallen können. Dies gibt noch kein Ästhetischwerden der Theorie her, zeigt aber, wie die Darstellungsform vom Gegenstand unterwandert wird, sobald der Gegenstand in seiner eigenen Darstellungsperformanz bedacht werden muss. Das ist die bereits benannte zirkulär-partizipative Verwicklung, die gerade dann daraus folgt, wenn man den Mythos daraufhin untersucht, wie er funktioniert und in Folge dessen darauf kommt, dass man ihn stets, wie vermindert auch immer, noch im Rücken hat. Die Darstellung muss verhaltener werden, muss offen zugeben, dass sie eine Affäre mit ihrem Gegenstand hat, er über die Schwelle gekommen ist. Auch hier wiederum überrascht es, dass Nicholls etwa Eva Geulens Hinweis auf den Dezisionscharakter inmitten des anthropologischen Blicks auf den Mythos wiederum nennt, aber sich den Folgen des Hinweises dieses »recent interpreter of Blumenberg« (92) nicht wirklich stellt.

Die kritische Frage an Nicholls lautet daher, ob die angesprochene weiterführende methodische Diskussion im Rahmen einer rekonstruktiven »intellectual history« überhaupt möglich ist. Kann der rekonstruktive Zuschnitt die rhetorisch-performative Tiefendimension nicht nur der Mythostheorie, sondern auch der mit ihr implizierten Anthropologie auf Augenhöhe diskutieren? Über die Problemanzeige, dass Blumenberg etwa in seinem Aufsatz »Anthropologische Annäherungen an die Aktualität der Rhetorik« von 1971 die unhintergehbar rhetorische Dimension jeder anthropologischen Begriffsbildung zu Bedenken gibt, geht Nicholls in seinen Ausführungen im Grunde nicht hinaus (vgl. 91). Auch dies überrascht umso mehr, als er unumwunden zugibt: »[I]f human beings find themselves to be located outside of the realm of objective truth, then they are forced to make things up as they go along.« (29)

Nicholls diskutiert im Anschluss an Robert Segal, ob »making things unquestionable still means providing answer or explanations, even if they are not rational.« (19). Nicholls bejaht dies. So rückt er vor allem im Hinblick auf die politische Vereinnahmbarkeit des Mythos durch den italienischen Faschismus und den Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert die Gefahr des Mythos in den Vordergrund, die »precisely in its seductive capacity to forestall the need to answer questions in rational and transparent ways« (19) liegt. Hier vermag Nicholls Historisierungsprogramm seine ganze Stärke auszuspielen: Wie er die politische Brisanz, die bei Blumenbergs Arbeit am Mythos und in dem erst aus dem Nachlass unter dem Titel Präfiguration veröffentlichten dazu gehörigen Manuskripten mitschwingt, behutsam und genau im Kontext der Ideengeschichte der Bundesrepublik verortet, ist schlicht brilliant. In diesem Zusammenhang leuchtet es vollkommen ein, wenn Nicholls vom »unfinished political buisness« (183) in Arbeit am Mythos spricht.

Er kritisiert an Blumenbergs Theorie des Mythos mit gutem Grund eine problematische Zweideutigkeit: »Blumenberg is unable to identify an operational point at which the pragmatic and orienting funktion of myth tips over into a completely debilitating descent into irrationality.« (235) Es gibt nach Nicholls einen »subtle change im the ›work of myth‹, a change that Blumenberg does noteself expose to a critical analysis.« (235) Diesen sieht er in der politischen Manipulierbarkeit, die Blumenberg nicht ausreichend in Rechnung stellt. In der politisch dienstbar gemachten Remythisierung, wie Blumenberg sie in Hitler sieht, kennt Blumenberg zwar einen »collective loss of contact with reality« (235). Auch weiß er um die Gefahr der ansatzlosen Remythisierung in der Moderne, wie Nicholls formuliert: »The attraction of myth in a suposedly enlightened age therefore consists in its ability to gratify human needs that cannot be satisfied by reason alone. (...) It is (...) taking recourse to potentially dangerous pre-theoretical 'answers' in situations where the answers provided by reason cannot, or can no longer, suffice.« (230) Die Gefahr besteht daher darin, dass es ein Antwortbedürfnis gibt, dem die Antworten einer szentistisch verkürzten Vernunft nicht genügen und das deswegen auf vortheoretische, nicht mehr kritisch befragbare Antworten verfällt. Das Problem, das Nicholls damit zu haben scheint, besteht nun darin, ob dieses remythsiserungsoffene Antwortbedürfnis sich in der Moderne unabgeführt erhalten hat oder durch bestimmte Entwicklungen in der Moderne wenn schon nicht hervorgebracht, so doch zumindest entscheidend in Stellung gebracht worden ist.

Nicholls These ist, dass sich Blumenberg darüber sehr wohl über dieses Problem im Klaren war, gewissermaßen die Veröffentlichung seines Problembewusstseins auf später verschoben hat, weil ihm dies für Aufbau und Analge von Arbeit am Mythos, also aus werkimmanenten Gründen unpassend erschien (vgl. 203). Nicholls bringt die Sache des »unfinished buisness« wünschenswert deutlich auf den Punkt: »Hitler would in these terms be the final part of a political Prometheus-programme« (234). Genau das wusste, so Nicholls, Blumenberg, brachte es aber in Arbeit am Mythos nicht unter, weil er dort die Geschichte anders erzählen und enden lassen wollte. Wichtig ist es an dieser Stelle allerdings festzuhalten, dass Blumenberg eine solche Fortschreibung des Prometheus-Mythos als Teil der Arbeit am Mythos nicht leugnet, sondern sie bloß, wenn man so will, auf ein anderes Buch zu verlegen gedachte, um deutlich zu machen, dass man die Rezeptionsgeschichte des Mythos unter anderer Perspektive weiterführen kann. Daraus erhellt, dass, wenn etwa Geulen den Entscheidungscharakter herausstellt, es nicht um ein Spiel mit Beliebigkeiten geht, das es einem erlaubt, etwas geschwind unter den Tisch fallen zu lassen, sondern man der Tatsache nicht entkommt, sich bei der Darstellung der Arbeit am Mythos auf eine mögliche festlegen zu müssen. Fasst man das Verhältnis zwischen Arbeit am Mythos und Präfiguration als eines der Arbeitsteilung, darf man vielleicht sagen, dass jenes zu Recht bemerkte »unfinished buisness« in Arbeit am Mythos kein schlechtes Gewissen nach sich ziehen muss. Man könnte daher textstrategisch mutmaßen: Blumenberg will sich die Kür seines Arbeit am Mythos nicht nehmen lassen, um die Pflicht anderswo fortsetzen.

Mit Blick auf Nicholls Interpretation der grundsätzlichen Funktion des Mythos muss aber nochmals nachgehakt werden. Hierfür ist es notwendig, ausführlicher anzusetzen. Nicholls hebt Blumenbergs grundsätzliche Auffassung des Mythos als »attempt to deal with the pressing questions that arise from the very nature of the human situation« (4) hervor. Ins Zentrum stellt er dabei ganz richtig, dass Mythen Bedeutsamkeit produzieren. Nicholls führt den Begriff der Bedeutsamkeit auf Dilthey und Rothacker zurück und bestimmt ihn als ein unmittelbares und kollektives Angegangensein und Betroffensein von etwas (vgl.83ff.). Was einem etwas bedeutet, so könnte man sagen, kann nicht sinnlos sein.

Wenn es denn zutrifft, dass Mythen keine stabile Entsprechung zwischen Frage und Antwort etablieren können, wenn Mythen das Bedürfnis nach finalen Antworten sistieren, indem sie den existenziellen Ernst des Fragebedürfnisses depotenzieren, nicht aber das Frage- und Antwortbedürfnis selbst zum Verschwinden bringen, dann sind zwar das permanente Aufschieben einer Antwort und das Geben einer abschließenden Antwort funktional betrachtet äquivalent, im Mythos selbst aber nicht in der Weise differenziert, da in ihm ihre Distinktion und Äquivalenz nicht selbst wiederum als distinkt erlebt wird, ja erlebt werden kann. Nicholls sieht dies auch, wenn er auf die große Bedeutung des Begriffs der Lebenswelt für Blumenbergs Mythostheorie hinweist (vgl. 33): Lebenswelt wird von Blumenberg als »post-biological enviromental surrogate« (107) verstanden, welches das kulturelle »system of self-stabilisation« (23) reguliert und orientiert. Wie die Lebenswelt, so ist auch das Sich-im-Mythos-Bewegen durch eine sich immer wieder einstellende Selbstverständlichkeit gekennzeichnet, die man immer schon verlassen hat, die aber als Bezugspunkt der kulturellen Bedeutsamkeitsproduktion erhalten bleibt. Nicholls hebt hervor, dass Blumenberg sich, sofern er als Philosoph auftrat, in erster Linie als Phänomenologe verstanden werden wollte (vgl. 31f), beschränkt sich aber nur auf eine summarische Skizze der Analogie zwischen Lebenswelt und Mythos, geht darüber hinaus aber auf das komplexe Verhältnis von Phänomenologie und Anthropologie nicht ein, die er überwiegend historisch rückblickend thematisiert.

Mythen geben im lebensweltlichen Sinne entgegen der Einschätzung von Segal und Nicholls tatsächlich keine Antworten, sondern versetzen in einen Zustand der immer wieder eintretenden Fraglosigkeit, die nicht dasselbe ist wie ein ein für alle Mal befriedigtes oder stillgestelltes Bedürfnis nach Fragen und Antworten. Das ist die Funktion von Antworten im Mythos, die im Mythos selbst nicht thematisch sind, sondern von einer externen Funktionszuschreibung abhängen. Und zu einer solchen kommt es erst dann, wenn die Theoriearbeit am Mythos soweit fortgeschritten ist, dass sie sich in ein reflexives Verhältnis zu ihm setzen kann, welches in der Lage ist, noch den eigenen Status auf ihre Funktionalität hin zu befragen. Dies wiederum heißt, das rationale und transparente Antworten im Rahmen und als Resultat fortgeschrittener Theoriearbeit sich soweit ausdifferenziert haben, dass sie sich nicht nur reflexiv zur eigenen Arbeit am Mythos verhalten, sondern auch ein Eigenrecht beanspruchen.

Dies heißt allerdings nicht, dass eine prätendierte Überwindung des Mythos durch seine Theorie nur in mythischen Kategorien beschrieben werden kann. Sie kann es, sofern es sich tatsächlich um eine hegemoniale Überwindungsgeste handelt, wie Blumenbergs Interpretationen zum letzten Mythos im Deutschen Idealismus zeigen, muss es aber nicht (vgl. 138ff). Das Ablassen von dem Vorhaben einer Überwindung des Mythos kann ebenso durch eine Selbstbegrenzung des Anspruchs wissenschaftlicher und rationaler Erklärung geschehen. Damit wird jedoch weder der Mythos offen obskurant noch die Rationalität heimlich irrational. Hierhin kann eine Kritik der Blumenbergschen Philosophie-Kritik ihren rationalitätstheoretischen Ausgangspunkt finden. Wenn es einen Unterschied zwischen einer reflexiven Theorie des Mythos und einem »myth of theory« (233) geben soll, der verhindert, dass sie letztlich von einem »myth about myth« (204), wie Nicholls Christoph Jamme zitierend schreibt, absorbiert wird, dann muss der Theorie mehr zugetraut werden als dass ihre Reflexion stets mythomorph bleibt und sie ihre funktionale Selbstbescheidung anzuerkennen hat. Zwar ist es richtig, dass Nicholls rekonstruktive »intellectual history« der Blumenbergschen »intellectual history« keinen Mythos des Mythos präsentiert. Nicholls befragt allerdings die philosophiekritische Vorentscheidung Blumenbergs nicht und kann, so scheint es, im Rahmen einer bloß rekonstruktiv verfahrenden Ideengeschichte auch wenig dazu sagen, warum es für Blumenberg zwar ein Mythischwerden, aber kein Philosophischwerden der Theorie im Sinne diskursiver Selbstkritik mehr geben kann.

Blumenberg legt aber die Philosophie auf eine unmögliche Zwischenposition fest, der es um die großen und drängenden Fragen gehen soll, die sie aber weder wie die Wissenschaft in prinzipiell beantwortbare Fragen umbauen kann noch wie der Mythos in ein offenes, ergebnisloses und fröhliches Katz- und Maus-Spiel überführen darf. Und genau jener Ort, von dem aus die Untersuchung operiert, markiert bei Blumenberg einen Rest, eine Leerstelle, die mit seiner historistischen Philosophiekritik zu tun hat und verweist auf seine Strategie des Umgehens dieser von ihm als fälliges Resultat hingestellten Leerstelle. Dass dieses Umgehen sich in erster Linie als ein textstrategisches Verfahren vollzieht, empfiehlt Arbeit am Mythos womöglich auch für literaturwissenschaftliche interessierte Leser, die auf rhetorische Verfahren der Gestaltung der Darstellungsabhängigkeit eines Handelns vom Mythos ihren Blick richten.

Dies wäre auch eine Möglichkeit, Blumenbergs Strategie des Umgehens der erwähnten Leerstelle nicht als ein Nichts-zu-sagen-haben oder Selbstmythologisierung zu entwerten, sondern als indirekte Anerkennung der modernen pluralistischen Verhältnisse zu verteidigen. Warum Nicholls den »liberal conservatism« (188) Blumenbergs, den er vollkommen zu Recht als Entsprechung zur mythischen Gewaltenteilung und mit dem unabschließbaren rhetorischen Streit der Positionen und Institutionen um Anerkennung und Legitimität (vgl. 212) erklärt, nicht auch auf den Übergang vom Mythos zur Metapher bezieht und stattdessen letztlich nur die »possibility that Blumenberg's theory of myth is itself a 'Promethean theory'« (34) konstatiert, ist unklar. Dies wäre doch gerade das Komplement zur politischen Perspektive auf den Prometheus-Komplex.

Nicholls macht zwar die Möglichkeit eines bewussten Umgangs mit der Mythos-Rezeption sehr luzide deutlich, indem er die Selbstmythologisierung Goethes als eine Aneignung des Prometheus-Mythos selbst rekonstruiert und sie sowohl als Teil der fortlaufenden Arbeit des Mythos als auch als ästhetisch-spielerische Gestaltung der eigenen Zugehörigkeit zu dieser Arbeit beschreibt (vgl. 173, 175) Darin, so Nicholls überzeugend weiter, liegt ein Einwand gegen das Unternehmen formuliert, Blumenbergs Theorie kultureller Selektion soweit zu naturalisieren, wie es etwa bei Gehlen oder bei Dawkins und Dennett, auf die Nicholls als mögliche Anschlussstellen verweist, der Fall ist (vgl. 24ff., 169ff.), dass sie als bruchlose Fortsetzung eines natürlichen Selektionsprozesses gesehen werden kann. Zwar lässt sich die Persistenz des Prometheus-Mythos durch die Geschichte hindurch wohl durch ihre hohen Grad an Adaptabilität erklären. Doch darf man darüber nicht vergessen, dass Blumenberg – ähnlich wie Goethe – es ist, der diese Geschichte schreibt, die Rezeptionslinie zieht und das Material auswählt (vgl. 203f.) Was bei Nicholls aber weitestgehend ausgespart bleibt, ist die Rolle Blumenbergs als Arrangeur von textgetragener Bedeutsamkeit in eigener Sache, d.h. die Selbsteinschreibung Blumenbergs in die Arbeit am Mythos als transformativer Fortschreibung und Angebot an die Leser, dies sich nicht nur, aber auch als ein Schauspiel vor Augen stellen zu lassen.

Dem gilt es sich zum Abschluss zuzuwenden. Nicholls kommt auf den letzten Satz von Arbeit am Mythos – ›Wie aber, wenn doch noch etwas zu sagen wäre?‹ – zu sprechen: »This epistemological state of affairs is incorporated into Blumenberg's style, since Blumenberg is an obsessive collector and teller of anecdotes about the history of Western thought.« (28) Auch betont er die Relevanz, die »the agnostic struggle between literature and philosophy« (7) für das Denken Blumenbergs schon früh spielt, ja er stimmt Joseph Leo Koerner sogar darin zu, dass Blumenberg als »literary philosopher« betrachtet werden sollte, »for whom the mode of expression and the content expressed are of equal and even inseparable importance.« (28) Dass nicht wenige der Texte Blumenbergs das auch vorführen, wovon sie handeln, sieht Nicholls daher wohl. Doch geht er nicht dem Verhältnis zwischen Blumenberg als Autorfiktion, dem Reflexivwerden des Mythos in und als Theorie, dem die Theorie des Mythos Rechnung tragen muss, und der Selbsteinschreibung Blumenbergs in die Theorie des Mythos als die Weise, wie Blumenberg versucht, dem Rechnung zu tragen, nach.

Bedeutet dies, dass es völlig beliebig ist, was gesagt wird? Man würde hier Blumenberg völlig missverstehen, wenn man diesen Schluss daraus zieht. Es geht ihm nicht um eine Remythisierung, deren Gefahren Nicholls zu Recht deutlich macht, sondern darum aufzuzeigen, dass sich das Residuum des Mythos in der Moderne nur performativ inszenieren lässt, um ästhetisch erfahren werden zu können. Es heißt damit, dass das, was jede Theorie über den Mythos sagen kann, nicht frei von imaginativen und spekulativen Einschlüssen sein wird, so sehr man auch um wissenschaftliche Plausiblität bemüht ist. So gesehen gibt es auch hier keine »contradiction in myth«, sondern nur den Widerspruch derjenigen Theorie, die glaubt, sie müsse den Mythos beseitigen, um ganz Theorie sein zu können. Hier wurde mit Blumenberg dafür argumentiert, dass eine Theorie ohnehin nie ganz bedingungslos Theorie sein kann, sie dies aber entgegen Blumenbergs Auffassung auch ohne zu resignieren einsehen kann und muss.

2018-04-22

JLTonline ISSN 1862-8990

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