Rüdiger Zymner
Populär, flott, tiefsinnig
Robert Rowland Smith: On Modern Poetry. From Theory to Total Criticism. London, New York: Continuum International Publishing Group 2012. 182 S. [Price: $ 32,95] ISBN: HB: 978-1-4411-6572-5.
Das vorliegende Buch ist eine Sammlung von Essays, die sich mit Literaturkritik und moderner Lyrik befassen. Diese verteilen sich auf drei gruppierende Abschnitte, nämlich auf die Einleitung (»Introduction«, S. xi-xxx), auf das Kapitel »Part 1: Themes« (1–86) und auf das Kapitel »Part 2: Readings« (87–167).
In der Einleitung werden vermeintliche Konflikte oder atmosphärische Störungen zwischen Literaturtheorie und Literaturkritik/›literary criticism‹ konstatiert, und es wird umstandslos gefordert, dass man dies doch hinter sich lassen müsse: »[The] choice between soft indulgence and hard analysis must be overcome« (xxviii). Diese konflikthafte Konstellation könne nun durch das überwunden werden, was Smith als »total criticism« bezeichnet. Darunter versteht er eine Umgangsform mit Literatur im Allgemeinen und Lyrik im Besonderen, sie bestehe in »a balance of analytic irony and imaginative empathy« (xxviii). ›Analytische Ironie‹ zeige sich in der präzisen, sorgfältigen und entschiedenen Verwendung der Werkzeuge der Rhetorik, der Linguistik, der Etymologie und der Metrik ‒ bei gleichzeitiger Anerkennung des Umstandes, »[that] the criticism of poetry can never be pure science« (xxix); ›phantasievolle Empathie‹ bestehe in dem Versuch, »to support the poem in reaching the effect it has aimed for« (xxix): »In particular, it means falling in with the pace, mood or style of a given poem and elaborating it in discursive, associative terms. Some will scorn it for riffing to much on the poem in question, but for me the criticism always remains a servant of the poem« (xxx).
Der anschließende »Part 1« bietet fünf Essays. Diese befassen sich (1) mit ›zwei oder drei Linien durch die moderne Lyriktheorie‹, (2) mit dem Verhältnis zwischen Reim und Rationalität, (3) mit lyrischen Dingen bzw. Gegenständen, die in Gedichten thematisiert werden, (4) mit der ›poetischen Stimme‹ sowie (5) mit rhetorischen Figuren in Gedichten bzw. dem Verhältnis zwischen Rhetorik und Lyrik. Es wird dabei nicht begründet, weshalb gerade diese Themen behandelt werden müssen, ein systematischer Zusammenhang ist nicht erkennbar. Fragen stellen sich hier nicht als von der Sache oder wenigstens von einem theoretischen Rahmen hergeleitete Probleme, sie werden vielmehr gleichsam freihändig ›adressiert‹ und dann in assoziativ-essayistischer Manier behandelt.
Der abschließende »Part 2« umfasst sechs Essays, die allesamt als analytisch-ironische und phantasievoll-emphatische Lektüren bezeichnet werden können. Der erste Essay in dieser Gruppe (1) ist eine »meditation upon the word ›darkling‹« (89); Essay Nr. 2 befasst sich (2) mit Tennysons Gedicht »In memory« (105–116); es folgt (3) eine Lektüre von Gedichten von Gerald Manley Hopkins »through the filter of two letters so compulsivly combined by him that they seem to fly to each other like iron filings under a magnet. They are ›f‹ and ›l‹« (117); anschließend bietet Smith (4) eine Lektüre von Symons »Pastel: Masks and Faces« (129-140), sodann (5) eine von »High Frames« von Philipp Larkin, und schließlich (6) einen Essay, der sich mit Jeremy Halvard Prynne befasst (157–167).
Das Buch kann nicht durch eine kohärente Argumentation, durch die systematische Behandlung eines Problems, durch die gründliche Untersuchung eines Sachbereiches (etwa den der modernen Lyrik) oder durch die Entwicklung einer Theorie (sei es einer Theorie der Literaturkritik, sei es eine der Literaturwissenschaft, sei es eine der Literaturtheorie) überzeugen: Nichts davon ist hier erkennbar. Es ist insofern wissenschaftlich belanglos und als Beitrag zu Theorie und Praxis der Literaturkritik zu dünn (wenn auch vielleicht nicht völlig ohne Substanz).
Das Buch kann demgegenüber durch eine flotte, häufig sogar witzige Rhetorik erfreuen und durch verblüffende Formulierungen den Leser immer wieder auf möglicherweise interessante Fragen aufmerksam machen. Dies geschieht vor allem in Form eingestreuter Behauptungen oder aphoristischer Quasibehauptungen, die insgesamt die theoretischen (antinaturalistischen oder idealistischen) Hintergrundannahmen des Buches verraten, aber nicht explizieren – z.B.:
»The pure poem could only ever come to us in dreams or unreliable transcendental memories« (9);
»Tradition is the vector through which the past becomes private« (14);
»Rhyme without rhyme isn‘t rhyme« (30);
»Meaning is the feeling of reward« (31);
»A poem tries to stop time, hence its profoundly non-pragmatic nature, and it does so chiefly through the image« (43);
»Argueably, all poems begin with an invisible ›Thou‹« (45);
»Rhetoric and the poetry manufactured from it might be reducible to a set of tropes, but the poet who employs them does so as if they were individual muscles flexed in an ascent towards not just aesthetic but religious perfection« (83).
Das Buch ist insofern also auch anregend: Es ist ein gut geschriebenes, informiertes, populärwissenschaftliches Buch über Lyrik und Literaturkritik mit der Tendenz zum sanften Tiefsinn. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
2015-03-16
JLTonline ISSN 1862-8990
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