Stephan Packard

Schönheit der Theorie: Bekenntnisse zur behaglichen Begriffsarbeit mit performierten Zweifeln in der Kunst

Joachim Küpper, Markus Rautzenberg, Mirjam Schaub und Regine Strätling (Hgg.), The Beauty of Theory. Zur Ästhetik und Affektökonomie von Theorien. München: Wilhelm Fink 2013. 258 S. [Preis: EUR 34,90]. ISBN: 978-3-7705-5023-4.

Den vorliegenden Sammelband sollte man vielleicht am besten von hinten zu lesen beginnen: Mit dem zum Schluss ausführlich wiedergegebenen Streitgespräch zwischen den Theoretikern Michaela Ott, Florian Cramer, Mirjam Schaub, Georg Bertram und Jean Clam, moderiert und angefeuert von Markus Rautzenberg. Alle diese TeilnehmerInnen sind disziplinär zwischen Literatur-, Kunst-, Film-, Medien- und anderen Theorien und einer schillernd breiten Philosophie schwer zu verorten, was bereits ein erster Befund sein kann. Was sie gemeinsam haben und sie trennt, ist ihre Begeisterung für die theoretische Reflexion der Theorie und die Reflexion dieser Begeisterung. Lebendig wird der – sehr höfliche – Streit dadurch, dass sich schnell zeigt, wie wenig die einen das, was sie ebenso wie die anderen begeistert, in deren Beschreibung wiedererkennen: Gibt es derzeit zu viel(e) Theorien oder zu wenig Theorie? Sind sie existentiell mit dem Theoretiker verbunden oder seine geistige Waffenwahl? Sind sie deshalb in der Kultur- ganz anders aufgestellt als in der Naturwissenschaft? Bestimmt die Theorien eine fruchtbare Beschränkung gegenüber der Praxis? Beweisen sie sich durch ihre Adäquatheit, ihre intellektuelle Potenz oder ihr kritisches Vermögen? Durch Zugänglichkeit oder den Willen zur Abstraktion und Eigengesetzlichkeit? Jede Wortmeldung zieht andere Grenzen in ein fluides Gelände ein. Es geht in dieser Diskussion deshalb nicht um Parteibildung, sondern um das Ringen darum, die verschiedenen Erfahrungen mit dem Wohlgefallen an der Theorie überhaupt intersubjektiv verständlich zu machen. Dass diese Bemühung aporetisch endet, macht den Band möglich und spannend, dessen vorausgegangene gut 200 Seiten sowohl das Miteinander der Theoriebegeisterten als auch das Nebeneinander ihrer oft inkommensurablen, erst noch in Dialog zu bringenden Positionen auszeichnet.

Denn die Theoriebegeisterten erkennen einander im akademischen Leben schnell wieder, nicht aber ebenso sicher ihre jeweilige Begeisterung oder gar deren Objekt. Diese verschiedengestaltige Lust an der Theorie war in der Ankündigung des Streitgesprächs (am 29. Mai 2008 an der FU Berlin in Verbindung mit der Ringvorlesung des Internationalen Graduiertenkollegs InterArt, aus der der Band hervorgegangen ist) als ›unterschätztes Behagen im Umgang mit ihr‹ konzipiert worden, was auf dem Plakat offenbar als ›geschütztes Behagen‹ verdruckt wurde (243) – auch das demonstriert, wie verschieden die durchaus plausiblen Positionen zum Thema lauten könnten. Es zeigt zugleich, dass neben der unterschiedlichen Lüste auch verschiedenes Unbehagen ins Themenfeld gehört: Über eine mögliche Abschottung, über eine mögliche Ablehnung allzu theoretischer Theorie ebenso wie über die fragliche Angemessenheit der Theorie – gerade gegenüber dem Schönen und den Künsten.

Dem Streitgespräch gehen als vorletzter Beitrag Franziska Uhligs Bemerkungen zu einem weiteren Podiumsgespräch mit Christian Demend, Caroline Gruber, Astrid Nippoldt, Martin Rennert, Dierk Schmidt und Franz Erhard Walther über ›Praxen künstlerischer Theorieaneignung in Kunstdiskurs und Kunstmarkt‹ voraus, die den Versuch einer Zusammenfassung und Weiterentwicklung unternehmen; und vor diesem Versuch wiederum findet sich Astrid Nippoldts künstlerische visuelle Arbeit Blatt (2009). Diese Kontexte spezifizieren das Thema des Bands weiter: Es geht bei den unter dem Titel Beauty of Theory behandelten Theorien um Geistes- und Kulturwissenschaften, und dabei vor allem um Theorien des Schönen und der Künste selbst; und es geht vielen, aber nicht allen Beitragenden dann auch um den Nachvollzug der Auswirkung dieser Theorien auf die Praxis der Künste und zwischen den Künsten. (Die Frage nach der Schönheit naturwissenschaftlicher Theorie ist damit aufgeschoben.)

Sehr präzise stecken Markus Rautzenberg und Regine Strätling in der Einleitung den Gegenstand des Bands ab: Er soll nicht von den verschiedenen Konstruktionen des Schönen in verschiedenen Theorien, sondern von deren eigener Schönheit handeln. Ausgehend von der Gleichzeitigkeit eines Theoriepluralismus und einer Theoriemüdigkeit sei der Umgang mit der Theorie selbst zu befragen, wie es etwa bei Mario Grizelj und Oliver Jahraus in dem bezeichnend betitelten Projekt Theorietheorie (2011) zuletzt geschehen sei; hier aber solle es über diese allgemeine Selbstthematisierung hinaus noch einmal zugespitzt gerade um ästhetische und affektive Valenzen der Theorien gehen, um ihren Anspruch auf Schönheit und darum, inwieweit ihre Durchsetzung oder ihr Erfolg auch mit diesen Qualitäten zusammenhinge: Das stehe bislang fast völlig aus.[1] Dagegen seien diesmal keineswegs die empirische Adäquatheit, aber auch nicht allgemeine wissenschaftstheoretische Fragestellungen zu diskutieren. Neben der Differenz der humanities von den sciences wird dazu auch »die Verunsicherung der Grenze zwischen aisthesis und semiosis« aufgerufen (11), die etwa die Hälfte der Beiträge dominiert und zu einer in der gegenwärtigen Theorielandschaft überraschend großen Zahl semiotischer Beiträge führt. Nietzsche wird dabei – via Bachelard – zum Bezugspunkt nun gerade eines Unbehagens über die mögliche Inkommensurabilität von Bild und Begriff, aber auch für die fröhliche Wissenschaft in der Freude an der Theorie.

An diese genaue Themenvorgabe halten sich manche der Beiträge nicht allzu eng, die sich vielleicht danach – neu und gegen die Reihenfolge im Band – anordnen lassen: Einige betreiben eben doch eine eher grundlegende Theorie der Theorien ohne besonderen ästhetischen oder affektiven Bezug. Andere gehen dann sehr wohl auf den strategischen Wert und Einsatz der Theorieästhetik für die Theorien oder auf Begriffe zur Beschreibung dieser Ästhetik ein. Am schönsten lesen sich die Beiträge wohl dort, wo sie im demonstrativen genus eine Theorie zeigen und sagen: Ist sie nicht schön? Was Theorien schließlich in der aktuellen Kunst bewirken und ermöglichen, ist Thema der auch im Band zuletzt aufgeführten, weiterführenden Beiträge vor jenen Diskussionen, die zwischen den Positionen einen – wie immer aporetischen – Dialog anstiften.

1. Theorietheorie

So finden sich zunächst einige Beiträge zur Bauweise von Theorien überhaupt. Gerd Gigerenzer führt vor, »wie Forscher sich von der Logik […] verleiten« ließen (170): Das sieht er gegeben, wenn dem natürlichen Denken in der Kognitionspsychologie manche fallacy vorgeworfen wird, die tatsächlich als gerechtfertigte Intuition erscheine, wenn nur die natürliche Sprache in ihrem jeweiligen pragmatischen Kontext nicht zu vorschnell in logische Operatoren übersetzt werde. In Verteidigung des Relevanzprinzips warnt er vor ›Inhaltsblindheit‹ und betont an etlichen anschaulichen Beispielen die Bedeutung des Framing. Wo es nicht berücksichtigt werde, entstehe das Problem der (älteren?) KI als ›körperlose Intelligenz‹ und damit als kontextlos scheiternde, verfehlte Modellierung rationalen Urteilens als bloß logisch richtigen Schließens. Ebenso handlungsorientiert führt Helmut Pape an andere Grenzen herkömmlicher Schlussweisen, indem er noch einmal neu fragt, wo Theorien ihre Anfänge setzen, d.h. wo sie die deduktiv später zu überprüfenden Annahmen und Hypothesen erstmals hernehmen können. Damit ist zum ersten und nicht zum letzten Mal in diesem Band Peirce breiter Raum gegeben: Wie können Abduktionen als Vermutungen logisch sein, wenn sie zugleich durch Beobachtung gerade nicht gerechtfertigt sind? In einer Engführung mit der Psychiatrie beschreibt Pape erfolgreiche Abduktionen als solche, die den Urteilenden zu ihren Gegenständen zählen, was sie vermittelbar macht: Abduktion wird so »als praktisch-strategische Semiotik der Intuition und Vermutung im Dialog gedacht« (159). Der Nachweis, dass es sich um eine solche handlungsförmige und nicht rein einheitlich logisch formalisierbare Entdeckungsdimension handeln müsse, gelingt durch Differenzierung einer plausibilitätstheoretischen Sicht der Abduktion gegenüber der praktischen Funktion im Prozess der Forschung und schließlich einer hier betonten ›topologischen‹ Sicht: Damit ist diesmal keine semantische Verräumlichung, sondern in Anlehnung an mathematische Diskurse die Frage nach kontinuierlich ausführbaren Transformationen von Räumen gemeint, die durch Singularitäten teilweise verhindert werden: Gerade das sei bei einer neuen und nicht herleitbaren Hypothese der Fall.

Um den expliziten Verweis theoretischer Diskurse auf ihre Akteure geht es Johannes Angermüller, der eine analyse énonciative und zugleich Dekonstruktion weniger Sätze von Derrida zu Husserl vornimmt. Um den strategischen Einsatz solcher Formulierungen zu verstehen, seien sie auf die eigene und gegenseitige Positionierung der Akteure zu beziehen. Diese könne nur teilweise wissenschaftssoziologisch nachgezeichnet werden: Wie im Einzelnen Autoritäten als solche zitiert und die eigene Position dennoch gegen sie profiliert werde, müsse vielmehr an der Polyphonie, die der theoretische Text evoziere, erkannt werden. Es entstehe »die Illusion reiner Theorie, die niemanden braucht, um geschrieben und gelesen zu werden« (41) gerade durch den besonderen Kniff, Unklarheit darüber entstehen zu lassen, wer gerade spreche, wo also Referat und Paraphrase in Kritik und Dekonstruktion der Autorität übergehe. Insofern diese Rekonstruktion ihrerseits von verschiedenem Kontextwissen verschiedener LeserInnen abhänge, folgt daraus die produktive Einladung, es mit der inszenierten Polyphonie nicht bewenden zu lassen, sondern die verschiedenen Zuschreibungen von Sinn zu Texten und ihren Stimmen zu Akteuren in Dialoge zu führen.

Auch Andreas Wolfsteiner macht einzelne historische theoretische Diskurse zum Gegenstand seiner Überlegungen: Er zeigt das Denkmodell der unwahrscheinlich aufscheinenden Ordnungen bei Kammerer, Jung und Strogatz auf und vergleicht, wie diese jeweils mit der Herausforderung einer systematischen Beobachtung des Kontingenten und dem jeweiligen Verdacht einer dahinter verborgenen Ordnung umgehen. Sowohl bei Kammerers Versuch einer Theorie seriellen Geschehens in scheinbar zufälligen Ketten ähnlicher Ereignisse, als auch bei Jungs Synchronizitätsthesen und bei Steven Strogatz’ Sync. The Emerging Science of Spontaneous Order (2003) macht er jeweils »Szenarien verwissenschaftlichender Praktiken« aus, die es einzeln zu beschreiben, dann aber vor allem zu vergleichen lohnt: So wird das Profil von Kammerers Vermutung weiterer Naturgesetze gegenüber Jungs Insistenz auf eine Gesetzlichkeit jenseits naturwissenschaftlicher Kausalität und schließlich Strogatzʼ jüngstem komplexitäts- und chaostheoretischem Ansatz deutlich. Gelingt nur letzterem eine umfassende geschlossene Theoretisierung, so bezahlt er dies mit einer Entfernung vom materiellen Gegenstand seiner Theorie in das mathematische Kalkül.

2. Ästhetische Strategien der Theorie

Vergleiche wie der letzte bedürfen der Ähnlichkeit verschiedenen Denkens bei verschiedenen Denkern. Caroline Torra-Mattenklott widmet sich mit dem Begriff der Denkfigur einer Konzeptualisierung solcher Vergleichbarkeiten: Denkfiguren seien »unverzichtbare Formen und Vehikel der Theorie und [trügen] zugleich wesentlich zu ihrer ästhetischen Wirkung bei« (60). Mit einigen knappen, aber ungeheuer dicht und reich präsentierten Momenten der Begriffsgeschichte von Rhetorik über Logik bis zur Ideengeschichte zeigt sie die Spannung zwischen der Figur als künstlerischer ingeniöser Abweichung und der einheitlichen Produktionsregel etwa in der Figur des Syllogismus auf. Als Projekte zur Aufarbeitung von Denkfiguren im Abgleich mit Foucaults ›epistemologischen Figuren‹ führt sie dann beispielhaft Erich Kleinschmidts Entdeckung der Intensität (2004) und Jutta Müller-Tamms Abstraktion als Einfühlung (2005) auf; man darf dabei wohl auch an Torra-Mattenklotts eigene Metaphorologie der Rührung (2004) denken. Als für Schönheit besonders einschlägiges Beispiel einer Denkfigur wird schließlich Kristevas späte Erneuerung des Themas der Intertextualität im Begriff der ›Transposition‹ aufgeführt, die angesichts ihres literarischen Ausgangspunkts einen Assoziationsreichtum aufweist, der eine besondere ›beauty of theory‹ ausmache – was, wohl aus Platzmangel, leider nur noch kurz angerissen werden kann.

Ebenso geht es Martin Saar um den strategischen Einsatz ästhetischer oder affektiver Qualitäten in einer besonderen Denkfigur oder ›Theorieform‹ der ›Textpolitik‹ – diesmal Friedrich Nietzsches. Als ›Text im Affekt‹ stellt er Nietzsches Praxis kritischen Schreibens dar. Schönheit der Theorie meine einen Überschuss der Theorie, der hier rhetorisch und ästhetisch effektiv und affektiv verwirklicht werde: Im genealogischen Schreiben folge auf die Historisierung etwa der besprochenen moralischen Werte deren Beziehung auf »Macht und Selbst« (51) und schließlich eine verfremdende und übertreibende Rede, die für Saar jedoch nicht in totalisierender und berechnender Rhetorik aufgeht; vielmehr könne in der Grausamkeit gegen vorhandene die Imagination alternativer, neuer Bilder »einen Zug ins Entgrenzte« haben (57), der sich der aufgerufenen Affekte bediene.

3. Ästhetische Theorien der Theorien

Soweit zwei Annäherungen an den Nutzen des Wohlgefallens an der Theorie; wann aber und wie gefällt sie? Vier Beiträge zeichnen verschiedene Begriffe und Gründe für die empfundene Schönheit von Theorie und Theorien nach und malen sie großteils auch anschaulich aus. Joachim Küppers dem restlichen Band vorausgestellter Beitrag beginnt mit einem Überblick über die Betonung des Sehsinns im Theoriebegriff. Er fährt mit einer Rekonstruktion der Theorie als Anschauungsschema und ihres Anspruchs auf Intersubjektivität fort und verteidigt auf dieser Grundlage insbesondere die Heterogenität der Geisteswissenschaften: Gegen die anderen Theoriegebäude aus Mathematik und Naturwissenschaft, aber auch gegen die hybriden Diskurse der Postmoderne gehe es hier um den »Mensch[en] als nicht-materielles Wesen« (27), für den Schönheit nicht externalisierbar oder formalisierbar, auch am Kunstwerk nicht durch wiederholtes Experiment zu bestätigen sei, sondern im »Eins-Werden« (32) etwa von Subjekt und Objekt verstanden werden müsse – und diesseits dieses letzten Anspruchs in Engführung mit dem Begriff der ›Sexiness‹ nicht als Adäquatheit, nicht als Mode, aber auch nicht als auratischer Widerstand gegen historische Wandlungen. Dieser Standpunkt wird nicht argumentativ eng begründet, sondern bleibt gerade als Stellungnahme ein Eingang in die weitere Beitragssammlung; und fungiert umso gelungener, als die bezogene Position zu Einspruch einlädt: wenn man etwa romantische Subjekt- und Objektbegriffe und deren Überwindung streng historisieren wollte, oder einen ganz anderen Standpunkt vertreten, der doch die Einheit verschiedener Wissenschaften statt die Vereinigung epistemischer Gegensätze fordern könnte. Einer ausdrücklichen Stellungnahme aber kann deren Historisierung kaum widersprechen.

Warum gerade Althusser, warum gerade Freud (ihr) reizvoll erscheinen, skizziert Marianne Schuller über das Konzept des deja-vu: Als Hiat zwischen dem entgangenen früheren und dem sich weiterhin entziehenden zukünftig zu denkenden Verständnis, der die Rücksicht auf Darstellbarkeit und die Nachträglichkeit ihres Inhalts zusammendenken lässt. Fiktiv sei damit der Anspruch auf intersubjektive Übertragung, aber gerade dieses ›als ob‹ mache die Praxis aus und werde durch das deja-vu möglich: »als Zeuge eines Fehlens [… könne] es als eine allegorische Miniatur der beauty of theory erscheinen«. Uwe Wirth geht dem bei Schiller und an vielen anderen Stellen formulierten Verdacht nach, der spielerische Umgang mit Theorie sei – entweder dilettantisch, verfehlt und ermangele daher der routinierten Eleganz des geläufigen theoretischen Arbeiters; oder eben Ausdruck dieser Eleganz, des erlernten Vorwissens und vor allem der entsprechenden erlernten Praxis. Die ›performative Aufwanddifferenz‹ (143 et passim) könne zwar einfach in den Vorwurf münden, ein Dilettant sei am Werk und mache sich dieses zu leicht. Dem stehen Peirce’ Begriff des ›Musement‹, aber auch Lévi-Strauss’ ›Bricolage‹ als Begriffe gegenüber, die eine »vermittelnde Position zwischen dem Fachmann und dem Dilettanten« denken ließen: »In dieser Projektorientierung liegt, so könnte man behaupten, die eigentümliche Schönheit eines tätigen Theoretisierens« (148).

Gert Mattenklott schließlich handelt »Über die Schönheit von Umwegen«, die er von Nietzsches Philosophie einer ästhetischen Selbstermächtigung über Machs Insistenz auf dem Wechsel von Erkenntnis und Irrtum bis zu Benjamins ideengeschichtlichem Umweg über das barocke Trauerspiel zur Isolation seiner systematischen Überlegungen über die Allegorie verfolgt. In allen diesen Fällen erweise sich das Subjekt der Erkenntnis unabhängig von aufklärerischen Idealen und ihren Forderungen nach Konsistenz oder Autorität. Der »Gewinn« liege in den »faszinierenden Entwürfen historisch-philosophischer Bildung mit dem provozierenden Anspruch auf zeitlose Präsenz« – was hier plausibel gerade in dieser Allgemeinheit vertreten wird, die die Pointe dieser Annäherung an Wohlgefallen ausmacht. (84)

4. Theorienkunst

Wenn damit vier Stellungnahmen dazu vorliegen, wann Theorien schön sind, so bleibt es Lorenz Engell vorbehalten, einen ganzen und durchaus ausführlichen Beitrag allein dem Lob der Schönheit eines theoretischen Entwurfs zu widmen: Engell spricht für Bense, für dessen Umgang mit Peirce’ Haupt- und Subzeichenklassen, gerade auch für den theoretischen Anspruch an RezipientInnen, für den esoterischen Präsentationsstil und die Selbstbezüglichkeit der Theorie, die er in Benses Biographie am Ende des Aufbruchs aus der empirischen Ästhetik in die Semiotik als Rückkehr zu einer eigenen Ästhetik erklärt: Wie Bense in jenem Zeichen, das mit Zweitheit Materialität und Realität in jeder der drei Zeichenrelationen verwirklicht, diese Kategorie ›thematisiert‹ sehe, so dass damit eine semiotische Theorie der Kunst möglich sei, so sei auch gerade Benses Theorie dadurch schön. Diese stellt Engell umfänglich und mit bewundernswerter Luzidität dar – man kann kaum glauben, dass das zuvor wenige wissen wollten. Aber gerade darum geht es. Es handelt sich, so erfahren wir, in der ästhetischen Semiotik also in der Hauptrolle um: das dicentisch-indexikalische Sinnzeichen; und wenn der Anspruch, diese Terminologie müsse man eben erlernen, um die Theorie aufnehmen zu können, in der Rezeptionsgeschichte von Benses später Theorie schlicht nicht mehr erfüllt wurde, dann verweist dies zwar auf die eingangs gestellte Frage nach Erfolg und Scheitern von Theorien. Engells Wertschätzung der Schönheit dieser Theorie hat es aber, und dies dürfte die eigentliche Pointe sein, nicht getrübt, vielleicht eher befördert. Er führt darüber hinaus zu Recht das heute möglicherweise erneuerte Interesse an der Operationalisierbarkeit und Automatisierbarkeit von Benses Entwürfen an. Dies verhehlt jedoch nicht das dringendere affektive und ästhetische Interesse an einer singulären Theorie, die wie das von ihr beschriebene singuläre reale Zeichen durchgängiger Zweitheit »selbst eben den ›ästhetischen Zustand‹ – in diesem Fall: der Theoriebildung –« markiert, »den sie beschreibt« (113).

Vielleicht ist es der Dreh- und Angelpunkt des so gezielt heterogenen Sammelbands, dass die größte Begeisterung über etwas Kunstvolles und Schönes an einer kunstvollen und schönen Theorie geäußert und zelebriert wird. Drei weitere Beiträge behandeln ebenfalls dezidierte Kunstwerke, nun aber explizite: und neben den Fragen ihrer Ästhetik auch und vor allem die Frage nach ihrem Umgang mit ästhetischen und anderen Kulturtheorien. Im Vordergrund steht dabei entsprechend der Ausrichtung des Graduiertenkollegs die Verwendung der Theorie in der Kunst. So geht Frederik Tygstrup den gegenseitigen Ansprüchen von Philosophie und Kunst als Grundlage einer ästhetischen Erfahrung in enger und kritischer Auseinandersetzung mit Adornos Überlegungen nach: über diese Erfahrung hinaus wird der konzeptuelle Ansatz der Theorie an die Kunst und das produktive kognitive Potential erforscht, das aus diesem Blickwinkel freigesetzt wird. Mirjam Schaub bespricht an einer großen und dicht diskutierten Zahl von (Kunst-)objekten das ›Nachleben der Theorie im Kunstraum‹: Insbesondere solcher Theorien, »die überhaupt nicht für diesen gedacht waren« (188). Sie interessiert sich für die Spannung zwischen der Naturalisierungstendenz einer Theorie und ihrer Beteiligung an der Hervorbringung der von ihr verselbstverständlichten Effekte, ihren Bedarf an Absetzung von einer völligen Kongruenz mit ihrem Beschriebenen. Melissa Ragona weist die Gewaltsamkeit der Theorie in der Gegenwartskunst an einer ebenso großen Fülle an Kunstwerken in tiefer Einzelanalyse überzeugend und eindrücklich nach. Ihr Ausgangspunkt scheint geradezu auf Küppers Eröffnung mit ihrem differenzierten Plädoyer für die Sexiness der Theorie zu antworten: »Theory used to be sexy« (215). Jetzt hingegen gebe es eine Tendenz zur Verdrängung des Abjekten durch das brutal Saubere, das »SUPERCLEAN« (215 u.ö.); dieser Trend könne im Kontext eines zunehmenden Interesses an der verborgenen, an der eigenen Entfernung von der sichtbaren Oberfläche beteiligten Arbeit und Ökonomie der Informationstechnologien und des posthumanen Zeitalters gelesen werden.

5. Keine Theorie

Schon der Versuch einer Anordnung, dem sich der Band selbst großteils entzieht, wird der erheblichen Heterogenität der verschiedenen Beiträge kaum gerecht. Ihnen ist gerade deshalb auch kaum anders zu entsprechen als durch Hinweis auf jede der verschiedenen Positionen in den verschiedenen Plädoyers, Demonstrationen, Argumenten und Beschreibungen. Sie sind, wie in einem theoretischen Band über die Schönheit der Theorie nicht anders zu erwarten, teilweise in einer an Esoterik manchmal grenzenden, aber stets luzide dargestellten Intensität theoriebegeistert, die sich nur an LeserInnen richten kann, die das Schöne an der Theorie ebenso empfinden; sie wird methodisch ebenso wie thematisch und dabei oft bekenntnis- und manifesthaft. Wo auch die Performanz von Zweifeln Raum hat, richtet sich dieser auf mögliche Grenzen für das Schöne an der Theorie, nie aber gegen deren Ausmaß und Selbständigkeit.

Was das vorliegende Projekt vielleicht am deutlichsten von dem einer ›Theorietheorie‹ unterscheidet, ist die völlige Absage an die Entwicklung einer umfassenden Theorie des hier über Theorien Besprochenen, und sei es auch nur eine Ästhetik des Schönen in und an Theorien. Stattdessen bleibt das Nebeneinander im Dialog aporetisch, der aber dennoch stattfindet, weil das gemeinsame Wohlgefallen an der Theorie offenbar doch zu einem praktischen Miteinander in Sachen Theorie führt, wo ein Konsens in der Theorie gar nicht erst gesucht werden kann. Stärker als viele andere Sammelbände wirkt diese Sammlung daher wie eine Anthologie im engeren Sinne: Jeder einzelne Beitrag kann faszinieren, gerade weil keiner unverzichtbar wäre und keiner auch nur Anstalten macht, dem anderen zu antworten. Der deshalb sehr überzeugend ausgewählte Schluss in mehreren wiedergegebenen Diskussionen performiert dies und so auch die Geste dieses Miteinanders, das nicht auf einen einheitlichen Begriff zu bringen ist. So bleibt die Diskussion für Anschlüsse betont offen, die durchweg keiner zwingenden Notwendigkeit antworten, aber immer möglich und reizvoll scheinen. Der eröffnete Kreis ist also nicht zu schließen; der vorliegende Band leistet aber erhebliches, um eine fast vergessene oder auf Begleitdiskussionen des akademischen Lebens manchmal fast verschämt reduzierte Frage wieder – und angesichts der Dichte sehr verschiedener Perspektive auch wesentlich neu – in ernsthafte Debatten zu transformieren.

Anmerkungen

[1] Als einzige Ausnahme verzeichnet die Einleitung wohl zu Recht den Beitrag von Bernd Scheffer (der hier konsequent falsch Scheffler geschrieben wird): Theorie und Emotion. Können Theorien brutal sein?, eben in: Jahraus/Grizelj (Hgg.), Theorietheorie. Wider die Theoriemüdigkeit in den Geisteswissenschaften, München 2011, 369–383. [zurück]

2014-02-14

JLTonline ISSN 1862-8990

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