Claudia Hillebrandt

Ausgeglichene Fehler.

Mitleid mit fiktiven Figuren in narratologischer, lesepsychologischer und literaturdidaktischer Perspektive

Howard Sklar, The Art of Sympathy in Fiction. Forms of ethical and emotional persuasion. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins Publishing Company 2013. XIV, 192 S. [Preis: EUR 101,52]. ISBN: 978-9027233509.

Da die Tragödie Nachahmung von Menschen ist, die besser sind als wir, muß man ebenso verfahren, wie die guten Porträtmaler. Denn auch diese geben die individuellen Züge wieder und bilden sie ähnlich und zugleich schöner ab. So soll auch der Dichter, wenn er jähzornige, leichtsinnige und andere mit derartigen Charakterfehlern behaftete Menschen nachahmt, sie als die, die sie sind, und zugleich als rechtschaffen darstellen.[1]

Charakterfehler literarischer Figuren stellen unter den Voraussetzungen einer auf Mitgefühle abzielenden Wirkungspoetik, wie sie seit Aristoteles immer wieder formuliert und variiert wurde, eine Herausforderung für den Dichter dar: Einerseits dienen sie der auf Ähnlichkeit sich gründenden Glaubwürdigkeit der Menschendarstellung und tragen damit zur Involvierung der Zuschauer oder Leser bei. Andererseits gefährden sie genau durch die Darstellung dieser Fehler das ins Auge gefasste Ziel, Mitgefühle für die Figur zu evozieren, wie auch die weitergehende, aufklärerische Absicht, durch das Mitgefühl in ethischer Hinsicht auf die Lebenspraxis der Leser einzuwirken. Etwas überspitzt könnte man das zugrunde liegende Problem, das nicht nur die antike Rhetorik wie auch Poetiken und Ästhetiken vielfältiger Couleur beschäftigt hat, sondern auch die literaturwissenschaftliche Forschung bis heute beschäftigt, als das des sympathischen Unsympathen bezeichnen: Unter der Voraussetzung, dass Leser emotional mit ihnen ähnlichen fiktiven Figuren interagieren und Mitgefühl hierbei als eine besonders erwünschte Emotion angesehen wird, muss der ähnlichkeitserzeugende Fehler je nach ›Schweregrad‹ gegebenenfalls rhetorisch ausgeglichen werden, um eine Distanzierung des Lesers oder Theaterzuschauers von der Figur auf kognitiver und emotionaler Ebene zu vermeiden. Mit Blick auf die rhetorischen Strategien ist allgemeiner zu fragen, mit welchen sprachlichen und strukturellen Mitteln es Literatur gelingt, Interesse, Verständnis und Mitgefühl für eine durch Vorurteile, Unkenntnis oder Negativcharakterisierung von der Abwertung bedrohte Figur zu erzeugen, sie »schöner« abzubilden, als der »Charakterfehler« erwarten lässt: Wie wird trotz des »Fehlers« der Eindruck der »Rechtschaffenheit« erzeugt, der Mitgefühl hervorruft?

Howard Sklars 2013 als Band 15 in der Reihe »Linguistic Approaches to Literature« erschienene Studie widmet sich dieser Frage in narratologischer, lesepsychologischer und literaturdidaktischer Perspektive. Die besondere Relevanz der Studie für die neuere Forschung zu emotionalen Wirkungen von Literatur ist aus Sicht der Literaturtheorie[2] darin zu sehen, dass Sklar narratologisch informierte Interpretationen von Erzähltexten (Philip Roths Eli, the Fanatic, Ursula K. Le Guins Betrayals, Toni Cade Bambaras The Hammer Man und Sherwood Andersons Hands) mit lesepsychologisch-empirischen Verfahren verbindet, indem er die Narratologie in zwei Fallstudien zu Bambaras und Andersons Erzählungen als Instrument zur Hypothesenbildung für empirische Untersuchungen einsetzt. Dieses Vorgehen verspricht, Anhaltspunkte für eine Überprüfung der empirischen Triftigkeit narratologisch informierter Interpretationen zum Wirkungspotenzial von Erzählverfahren zu liefern.

Die Studie ist interdisziplinär angelegt und integriert Forschungsbeiträge aus der Literaturwissenschaft, der Sozial- und Lesepsychologie, der philosophischen Ästhetik und der Erziehungswissenschaft. Die meisten Kapitel sind in leicht geänderter Fassung vorab bereits einzeln in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden.[3]

1. Aufbau und Ergebnisse der Studie

Im ersten der drei Teile seiner Studie diskutiert Sklar zu Beginn einige fiktionstheoretische Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Mitleidswirkung[4] von Figuren stellen. Genauer setzt er sich mit der vor allem in der analytischen Ästhetik intensiv geführten Debatte um das Paradox der Fiktion auseinander (Kapitel 1).[5] Sklar betont, dass es die Ähnlichkeit zwischen fiktiven Charakteren und realen Personen sei, die die Mitleidswirkung von Figuren in Fiktionen bedinge: Der Mitleidseffekt entstehe durch eine auf Ähnlichkeit beruhende Empfindung der Nähe zwischen Rezipient und Figur (21). Unterschiede zwischen narrativ erzeugten und lebensweltlichen Emotionen lägen nicht in erster Linie in der Fiktivität der Figuren oder der Fiktionalität der Erzählung, sondern in der Prozesshaftigkeit der Lektüre begründet:

Thus, the fact that readers must ›process‹ narrative texts suggests that there is an additional cognitive layer between the act of reading and the emotions that readers experience in response to that act that would not necessarily be present in real-life emotional responses. (41)

Bei Mitleidsreaktionen falle dieser Unterschied allerdings kaum ins Gewicht, da diese weniger stark körperlich verankert seien als beispielsweise Angst und daher gegenüber fiktiven und nicht-fiktiven Bezugspersonen weitgehend analog abliefen (ibid.). Anders gesagt geht Sklar davon aus, dass von Fiktionen angeregte Mitleidsgefühle große Ähnlichkeiten mit lebensweltlichen Reaktionen aufweisen.[6]

Seinen zentralen Begriff des Mitleids fasst Sklar danach in Kapitel 2 sehr eng in Anlehnung an den moralphilosophisch akzentuierten Mitleidsbegriff, wenn er ihm »an inherently ethical dimension« zuschreibt (35). Insgesamt nennt er unter Berufung auf die psychologische und neuere moralphilosophische Forschung vier zentrale Merkmale von Mitleid:

  1. Awareness of suffering as »something to be alleviated« […].
  2. Frequently, the judgment that the suffering of another is undeserved or unfair […].
  3. Negative, unpleasant or uncomfortable feelings on behalf of the sufferer […].
  4. Desire to help […]. (ibid., Hervorhebung im Original)

Positive Mitgefühle wie etwa Mitfreude schließt Sklar aus der Explikation aus (27).[7] Außerdem betont er, dass Empathie im Sinne des Nachfühlens von Leiden keine Voraussetzung für das Erleben von Mitleid ist (53).

Im Sinne seines literaturdidaktischen Interesses geht Sklar weiter davon aus, dass die von Gregory Currie formulierte und von ihm später wieder verworfene Transferhypothese, nach der Leser die Emotionen, die sie während der Lektüre erleben, auf ihre eigene Lebenswelt und damit auf andere Objekte übertragen, empirisch durchaus gestützt werden könne (45). Allerdings betont er auch, dass lebensweltlich orientiertes Mitleid nicht automatisch oder in jedem Fall zu altruistischem Verhalten führe (34).

Abschließend kommt Sklar auf die narrativen Mittel zur Erzeugung von Mitleid zu sprechen (Kapitel 3). Er hebt die disparaten Ergebnisse der empirischen Forschung in diesem Bereich hervor. Vor diesem Hintergrund diskutiert er einzelne erzähltechnische Mittel im Hinblick auf ihr Mitleidspotenzial nicht eingehender.[8] Allerdings betont er mit Meir Sternberg, dass die Reihenfolge der Informationsvergabe und damit die Dynamik des Erzählvorgangs als maßgeblicher Einflussfaktor der Mitleidserzeugung zu benennen sei.

Diese Dynamik verfolgt er im zweiten Teil der Studie zunächst in zwei textimmanent vorgehenden Interpretationen zu zwei Kurzgeschichten von Philip Roth und Ursula K. Le Guin. Insbesondere interessiert ihn dabei, an welchen Stellen in der Erzählung Antipathie gegen den Protagonisten in Mitleid umschlägt (Kapitel 4). Empirisch überprüft er seine narratologisch gewonnenen Interpretationsergebnisse in den Kapiteln 5 und 6 anhand zweier Kurzgeschichten von Toni Cade Bambara und Sherwood Anderson. Die Narratologie wird dabei als Instrument zur Hypothesenbildung herangezogen, mit dessen Hilfe sich Annahmen zu Umschlagspunkten von Antipathie in Mitleid und zur Steigerung von Mitleidsreaktionen formulieren lassen. So identifiziert er in Andersons Erzählung eine »structure of curiosity« (134), derzufolge wesentliche Informationen über den Protagonisten vorenthalten werden, sodass eine Bewertung der Figur erschwert wird. Dies, so Sklars Hypothese, werde aber durch die gewählte narrative Vermittlung ausgeglichen, indem diese den Protagonisten dem Leser durch die Wahl einer Ich- und einer allwissenden Erzählinstanz näher bringt (130). Befragt wurden Sklars literaturdidaktischem Interesse folgend insgesamt 180 14- bis 16-jährige Schüler an drei Schulen in Helsinki.[9] Die empirischen Daten stimmen im Wesentlichen mit den mit Hilfe der narratologischen Analyse gewonnenen Interpretationsergebnissen überein, was für deren empirische Triftigkeit spricht. Darüber hinaus zeigen sie, dass Antipathie und Mitleid zum Teil auch zusammen auftreten (110) und Mitleidseffekte auch dann zu beobachten sind, wenn die Bewertungsgrundlage für die Figur eigentlich als unzureichend beziehungswiese lückenhaft eingeschätzt werden muss (144f.). Im Hinblick auf die moraldidaktisch interessante Frage, ob Mitleidseffekte mit Persönlichkeitsmerkmalen korrelieren oder nicht, ob Literatur also unabhängig von Persönlichkeitsmerkmalen gleichartige und gleich intensive Mitleidsreaktionen anregen kann, sind die Ergebnisse der Befragung dagegen disparat (121, 145).

Am Ende seiner Untersuchung betont Sklar im dritten Teil (Kapitel 7), dass sich die mitleidsgeleitete Leseerfahrung im Sinne der kognitiven und emotionalen Involvierung von Rezipienten besonders gut als Ausgangspunkt für den Literaturunterricht und für das pädagogische Ziel des Erwerbs von Reflexionsfähigkeiten sowie der Überwindung von Vorurteilen bei Jugendlichen erweise:

Indeed, while the emotions of early adolescents, as described earlier, may not always be the best channel for understanding a situation, they do provide a means of accessing that situation, for raising questions that are worthy of consideration, and even for leading individuals towards reflection. (161, Hervorhebung im Original)

Einige grundlegende Überlegungen zu Problemen und Chancen interdisziplinärer Forschung beschließen den Band (Kapitel 8). Hier stellt Sklar unter anderem die These auf, dass seine empirisch gewonnenen Daten zur Evaluation von Interpretationen herangezogen werden können (170).

2. Literaturwissenschaftliche Relevanz

Das Verdienst der Studie ist aus literaturtheoretischer Sicht darin zu sehen, dass Sklars Daten für die empirische Triftigkeit der gängigen narratologischen Analysepraxis wie auch der Regelformulierungen der rhetorischen Tradition sprechen: Die dort artikulierten Annahmen zur Mitleidswirkung narrativer und sprachlicher Verfahren sowie die daraus abgeleiteten Interpretationverfahren und ‑ergebnisse scheinen tatsächlich in wesentlichen Punkten mit den Leseerfahrungen heutiger Leser übereinzustimmen. Und dies, obwohl die Testpersonen aus einem anderen Kulturkreis stammen als das intendierte angloamerikanische Publikum[10] der ausgewählten Texte. Dass Sklar kaum bis gar nicht auf die lange rhetorische, poetologische und ästhetikgeschichtliche Tradition der Reflexion über die Mitleidswirkung von Figuren eingeht, ist wohl seinem interdisziplinären Ansatz wie auch seinem vorwiegend empirisch und literaturdidaktisch ausgerichteten Erkenntnisinteresse geschuldet.

Insgesamt ist der literaturwissenschaftliche Ertrag der Studie allerdings als nicht besonders hoch einzuschätzen. Dies verdankt sich zum Beispiel der Tatsache, dass Interpretations- und Rezeptionstheorie von Sklar nicht befriedigend miteinander vermittelt werden: Natürlich ist ihm zuzustimmen, dass Leserbefragungen dazu eingesetzt werden können, aufgestellte Interpretationshypothesen zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren oder sogar fallen zu lassen. Schießlich ermöglicht dieses Vorgehen es dem Interpreten, neue, von ihm unbeachtete Aspekte in seine Interpretation aufzunehmen oder anders lautende Thesen zur Überprüfung der eigenen heranzuziehen. Es ist aber nicht zu sehen, inwiefern dieses Verfahren ein besseres Evaluationsinstrument für Interpretationen darstellen sollte als zum Beispiel eine fachintern geführte Deutungskontroverse. Anders gesagt müsste geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen empirisch gewonnene Daten zur Evaluation von Interpretationen herangezogen werden sollten und was diese im Unterschied zu anderen Evaluationsinstrumenten leisten. Literaturwissenschaftliche Interpretationen, die Wirkungsphänomene in ihre Überlegungen einbeziehen, gehen zudem oft von historischen Publika als Bezugsgröße aus. Inwiefern Sklars Untersuchungsergebnisse auf diese übertragbar sind, wäre gleichfalls zu klären.[11]

Grundlegender ist anzumerken, dass Sklars Verzicht auf eine eingehendere Diskussion von mitleidsanregenden Textfaktoren im systematischen ersten Teil der Studie vorschnell geschieht. Denn Sklar geht davon aus, dass hier nur narrative Verfahren eine Rolle spielen könnten, nicht zum Beispiel wertende Textelemente im Hinblick auf Figuren – obwohl deren Beschreibung in Kombination mit der Betrachtung narrativer Verfahren in den Einzelanalysen der Studie die Zurechnung wie auch Hypothesen über die Variabilität von Mitleidswirkungen einzelner Figuren begründen. Anders gesagt wird nicht expliziert, anhand welcher Textmerkmale und Kontextfaktoren ermittelt werden kann, ob die Punkte 1 und 2 von Sklars Mitleidsbegriff (»Awareness of suffering as ›something to be alleviated‹ […]. Frequently, the judgment that the suffering of another is undeserved or unfair […].«) zutreffen, die die Voraussetzung für die Entstehung von Mitleidsgefühlen sind. Gerade hier scheint aber eine systematische werttheoretische Klärung, die außerdem den kulturhistorischen Kontext z.B. in Form von kultur-, epochen- oder gruppenspezifischen Werthaltungen berücksichtigt, für interpretative Zwecke nützlich zu sein: Auch wenn sich der Beitrag einzelner narrativer Techniken zur persuasiven Wirkung von Erzähltexten empirisch nicht isoliert nachweisen lässt, so ist damit doch noch nicht gesagt, dass deren Diskussion aus interpretationstheoretischer Sicht nicht sinnvoll ist. Da Interpretationen immer holistische Operationen darstellen, die eine Vielzahl von Text-beobachtungen zusammenführen, verspricht eine narratologisch wie werttheoretisch fundierte Heuristik hier äußerst fruchtbar zu sein, weil sie Umfang und Differenziertheit der Textbeobachtungen erhöht. Und dies dient auch der Gewinnung von Interpretationshypothesen, die empirisch überprüft werden können.

Aus der Entscheidung für einen sehr eng gefassten Mitleidsbegriff und ein sehr kleines Untersuchungskorpus folgt weiterhin, dass viele literaturtheoretisch interessante Fragen, die in den letzten Jahren in der Debatte um emotionale Wirkungen von Literatur geführt wurden, nicht in den Blick geraten: so zum Beispiel, welche Rolle nicht-moralische Wertungen für die Einstellungsbildung gegenüber Figuren spielen und ob diese gegebenenfalls moralische Wertungen sogar »überschreiben« können. Da Sklar nur solche Texte testet, in denen die »Rechtschaffenheit« der Figuren nach und nach deutlich wird, bietet sein Modell keine Erklärung für solche Fälle an, in denen Leser Mitgefühl mit einer Figur empfinden, obwohl sie diese unter moralischen Gesichtspunkten eigentlich ablehnen müssten.[12] Dies ist unter der Voraussetzung des zugrunde gelegten Mitleidsbegriffs nur konsequent, es bedeutet aber auch, dass bestimmte Rezeptionsphänomene wie z.B. gemischte Gefühle gegenüber einer durchgängig als moralisch problematisch dargestellten Figur unbeachtet bleiben. Das Gleiche gilt für positive Mitgefühle wie zum Beispiel Mitfreude, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein relevantes Rezeptionsphänomen darstellen, von Sklar aber gezielt aus der Untersuchung ausgeschlossen werden.

Diese Einschränkungen sind in Teilen den praktischen Erfordernissen empirischer Forschung geschuldet. Im theoretischen ersten Teil der Arbeit führen sie jedoch zu Vereinfachungen, die die literaturtheoretische Debatte um das Paradox der Fiktion oder die Mitleidswirkung von Figuren nicht vorantreiben. Dies ist allerdings auch nicht das vorrangige Ziel der Studie.

Anmerkungen

[1] Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann, bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994, 49. [zurück]

[2] Im Folgenden geht es mir vor allen Dingen um den literaturtheoretischen Ertrag der Studie. Andere, für die Lesepsychologie, die empirische Literaturwissenschaft oder die Literaturdidaktik relevante Ergebnisse werden dagegen nicht umfassend benannt. [zurück]

[3] Die Kapitel können dennoch als aufeinander aufbauend gelesen werden. Als störend erweisen sich dabei allerdings einige Redundanzen, die vermutlich zum Teil der ursprünglichen Publikationsform und zum Teil dem Bemühen um Synthetisierung der Einzelaufsätze geschuldet sind. [zurück]

[4] »Sympathy« übersetze ich hier mit »Mitleid«. Grundsätzlich kann »Sympathy« sowohl mit »Mitleid« oder »Mitgefühl« als auch mit »Sympathie« (i.S.e. positiven Einstellung zu einem Gegenüber) übersetzt werden. Aus der zugrunde liegenden Begriffsexplikation geht aber hervor, dass Sklar den Begriff in der engeren, moralphilosophisch geprägten Weise im Sinne des deutschen ›Mitleids‹ verwendet. [zurück]

[5] Vgl. dazu Jerrold Levinson, Emotion in Response to Art. A Survey of the Terrain, in: Mette Hjort und Sue Laver (ed.),Emotion and the arts, New York 1997, 20–34. [zurück]

[6] Zur Lösung des Fiktionsparadoxes, die Sklar aber wohl nur am Rande interessiert, beruft er sich auf Robert Yanal und Wolfgang Iser: »This process by which ›our various criteria of orientation‹ are ›pushed back‹ or ›suspended‹ […] and replaced by temporary beliefs during the act of reading must be seen, in turn, as having a limiting effect on the truth claims that I described earlier. Such claims, in fact, may have relatively little bearing on the question of literal conviction when we have adopted temporary beliefs while reading a work of fiction. I claim that it is this process that allows us to respond similarly to fictional and non-fictional utterances« (15). [zurück]

[7] Die Gründe, die Sklar dafür anführt, positive Mitgefühle schon auf der Ebene der Begriffsbildung auszuschließen, leuchten mir allerdings nur zum Teil ein: Einerseits beruft er sich auf den alltäglichen Sprachgebrauch und darauf, dass »sympathy« dort eine Verbindung zu negativen Erlebniszuständen konnotiere. Andererseits begründet er die Einschränkung über das gewählte Textkorpus: »[…] the sense of feeling sympathetic joy is somewhat irrelevant to the texts that are included in my study« (27). Warum Merkmale eines bestimmten Textkorpus die Explikation des zentralen psychologischen Begriffs, mit dem man dieses Korpus untersuchen will, festlegen sollen, ist mir nicht klar. Denn schließlich wird dieser Begriff nicht auf der Basis des Korpus entwickelt, sondern gerade umgekehrt aus einer anderen Disziplin, nämlich der Psychologie, herangezogen, um dieses Korpus analysieren zu können. Damit unterliegt die Begriffsexplikation anderen Adäquatheitsbedingungen als ein im engeren Sinne literaturwissenschaftlicher Begriff (der aber natürlich auf der Basis eines repräsentativen Textkorpus gebildet werden sollte). [zurück]

[8] Einige Erörterungen finden sich aber in den Textanalysen. So hebt Sklar beispielsweise im Zusammenhang der Analyse von Ursula K. Le Guins Betrayals die besondere Bedeutung der erlebten Rede für die Mitleidswirkung der Protagonistin (80) hervor. [zurück]

[9] Zum Erhebungsverfahren wie z.B. zu den verwendeten Fragebögen vgl. im Einzelnen 109–114 und 139–145. [zurück]

[10] Eine entsprechende Vergleichsstudie kam leider nicht zustande. [zurück]

[11] Dies ist allerdings nicht das Anliegen der Studie: Sklar geht es vor allem um die didaktische Nutzung von narrativ erzeugten Mitleidsgefühlen im Literaturunterricht und mittelbar auch um das pädagogische Ziel der Erziehung zu altruistischem Verhalten. [zurück]

[12] Dies könnte umgekehrt gegebenenfalls auch den interessanten Befund erklären, dass Antipathie und Mitleid in Einzelfällen auch zusammen auftreten: Möglicherweise sind hier zwei Wertungsroutinen im Spiel, die einerseits Mitleid als moralisch angemessene Reaktion und andererseits Antipathie als persönliche oder von anderen als moralischen Wertmaßstäben induzierte Einstellung generieren. Hier wären, allgemeiner gesprochen, also verschiedene Erklärungen für das Phänomen gemischter Gefühle gegenüber literarischen Figuren zu entwickeln und gegeneinander abzuwägen – eine für die Literaturwissenschaft hoch interessante Frage, da vermutlich gerade solche Mischphänomene für viele professionelle und nicht-professionelle Leser den Reiz der Lektüre ausmachen dürften. [zurück]

2014-02-10

JLTonline ISSN 1862-8990

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