Christina Riesenweber

Zur Methodengeschichte der Germanistik

Jost Schneider (Hg.), Methodengeschichte der Germanistik. Berlin/New York: De Gruyter 2009. 794 S. [Preis: EUR 149,95]. ISBN: 978-3-11-018880-6.

Die Ende 2009 erschienene umfangreiche Methodengeschichte der Germanistik, herausgegeben von Jost Schneider unter redaktioneller Mitarbeit von Regina Grundmann, schließt eine Lücke sowohl in der Fachgeschichtsschreibung der Germanistik als auch in der Reihe von Publikationen, deren Anspruch es ist, die methodische Vielfalt des literaturwissenschaftlichen Arbeitens übersichtlich darzustellen. In 32 ausführlichen Beiträgen werden nicht nur ›aktuelle‹ oder ›neuere‹ literaturwissenschaftliche Methoden vorgestellt, wie es in vor allem als Einführung gedachten Publikationen üblich ist, sondern auch methodische Ansätze, die schon am Anfang der Fachgeschichte im 19. Jahrhundert relevant waren und solche, die mittlerweile nicht mehr zum methodischen Kanon der Germanistik gehören. Die einzelnen Methoden werden dabei nicht nur in ihrem gegenwärtigen Zustand beschrieben und auf mögliche Anwendungsgebiete hin untersucht, sondern auch in ihrer historischen Genese dargestellt. Die historischen Umstände, die zur Einführung, zur Durchsetzung oder zum Relevanzverlust einer Methode führten, werden in den jeweiligen Artikeln mitunter ausführlich geschildert. Die explizite Einbindung von institutionsgeschichtlichen Faktoren in die Darstellung der Entwicklung und Ausbildung von Methoden ermöglicht wichtige Einblicke in eine Fachgeschichte, die nicht ausschließlich von einem Streben nach Erkenntnisfortschritt geprägt ist, sondern auch von politischen und persönlichen Umständen. Gleichzeitig wird durch die dezidiert historische Perspektivierung eine Staffelung und Wertung der einzelnen Methoden und ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Germanistik möglich, die in den üblichen Einführungen in die Methoden, und selbst in differenzierteren Überblickspublikationen zur Methodenvielfalt der Literaturwissenschaft, meist nicht möglich ist. Als Handbuch sowohl im wissenschaftlichen Alltag, aber auch in der Lehre und als Lektüre für Studierende, wird Jost Schneiders Methodengeschichte der Germanistik mit Sicherheit zu einem kanonischen Standardwerk der Germanistik werden.

Die Begriffe ›Methode‹ und ›Germanistik‹

Die Methodengeschichte der Germanistik hält in mehrfacher Hinsicht mehr, als der Titel verspricht. Dies liegt zunächst am Begriff ›Methode‹, welcher der Auswahl der Artikel zugrunde liegt. Ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass hier kein enger Methodenbegriff gemeint sein kann. Während ›Diskursanalyse‹, ›Leseforschung‹ und ›Werkimmanente Literaturwissenschaft‹ sich auf bestimmte Verfahrensweisen des wissenschaftlichen Umgangs mit Literatur beziehen können, machen Lemmata wie ›Feministische Literaturwissenschaft‹, ›Medienwissenschaft‹ oder gar ›Kulturwissenschaften‹ deutlich, dass ›Methode‹ hier in einem weiten Sinne gemeint ist, wie er in literaturwissenschaftlichen Arbeiten durchaus üblich ist, und genauso gut durch ›Theorien‹, ›Strömungen‹, ›Ansätze‹ oder ›Positionen‹ ersetzt werden könnte. Diesen Umstand begründet der Herausgeber im Vorwort mit der historischen Perspektive des Publikationsprojekts:

Im Rahmen einer Methodengeschichte, wie sie hier vorliegt, wäre [eine scharfe Unterscheidung zwischen Theorien und Methoden] nicht zielführend, weil es, sofern es sich überhaupt konsequent durchführen ließe, zu einer vor-pluralistischen und deshalb anachronistischen […] Perspektivierung führen müsste. Im Folgenden wird deshalb mit Absicht ein Methodenverständnis zu Grunde gelegt, das nicht auf einer vorgängigen Differenzierung zwischen Theorien, Methoden, Paradigmen usw. beruht, sondern alle ›Ansätze‹ zu integrieren versucht, die zumindest von bestimmten wissenschaftstheoretischen Positionen aus, die aber nicht die des Herausgebers oder des Artikelautors sein müssen, als Methoden wahrgenommen und bezeichnet worden sind.

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Diese Rechtfertigung leuchtet unmittelbar ein, wenn es darum geht, die Auswahl der einzelnen Lemmata zu begründen. Bis heute gibt es keine in der gesamten Germanistik durchgesetzte Bestimmung und Abgrenzung von ›Theorie‹ und ›Methode‹. So enthält z.B. das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft auch in der neuesten Auflage keinen Eintrag zu ›Theorie‹, der Eintrag zu ›Methode‹ listet mehrere gebräuchliche Verwendungen auf, der Eintrag ›Literaturtheorie‹ verzichtet auf eine wissenschaftssystematisch begründete Definition. Die Begrifflichkeiten sind in den fast 200 Jahren Fachgeschichte nicht konsequent entwickelt und durchgesetzt worden. In einer Vielzahl von Kontexten sind die Begriffe ›Methode‹ und ›Theorie‹ zwar ebenso im Umlauf gehalten worden wie ihre Platzhalter ›Paradigma‹, ›Ansatz‹ oder ›Schule‹, geschärft wurde dadurch allerdings keiner der Begriffe und ihre ungenaue Verwendung wird in der Forschungspraxis üblicherweise nicht kritisiert oder sanktioniert. Somit ist es der Methodengeschichte sicherlich nicht anzulasten, wenn sie diese Tradition der unklaren Begrifflichkeiten fortschreibt, sondern ganz im Gegenteil zu begrüßen, dass sie die historische Begriffsverwendung zu dokumentieren versucht. Allerdings ist ein Umstand vor dem Hintergrund der Größe des Publikationsvorhabens der Methodengeschichte und der damit verbundenen Hoffnung, eine »Inspirationsquelle für alle Fachkolleginnen und -kollegen« (29) werden zu können, trotzdem zu bedauern: Es wird die Chance vertan, die historisch geprägte Begriffsverwirrung zur Klassifizierung der literaturwissenschaftlichen ›Methoden‹ vor dem Hintergrund einer wissenschaftstheoretisch und -historisch informierten Systematik zu organisieren. Die Hinweise, wann und in welchen Kontexten die dargestellten Ansätze als ›Methoden‹ bezeichnet worden sind, bleiben im Großteil der Beiträge aus. Hingegen wird an verschiedenen Stellen betont, dass der jeweils titelgebende Begriff gerade keine ›Methode‹ bezeichne. So schreibt Lothar von Laak über die Literarische Anthropologie, dass sie »weniger in einem strengen Sinn von ›Methode‹, sondern in der Verbindung von literatur- und wissensgeschichtlichen, wissenstheoretischen sowie rezeptionshermeneutischen Herangehensweisen« (337) zu verstehen sei, und Jan Boelmann versteht unter ›Leseforschung‹ einen »Sammelbegriff für verschiedene Forschungsrichtungen« (309). Hier wird als Manko der Konzeption des Bandes deutlich, dass er als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte angelegt ist, allerdings auf explizite Bezüge zur Wissenschaftsforschung verzichtet. Eine Klärung des Begriffes ›Methode‹ mit Hilfe etwa einer wissenschaftstheoretischen oder -soziologischen Terminologie hätte es den einzelnen Beiträgern ermöglicht, die von ihnen behandelten so genannten Methoden differenzierter darstellen und voneinander abgrenzen zu können. Auch wenn eine Darstellung der germanistischen Methoden aus der Perspektive der Wissenschaftsforschung also immer noch aussteht, schafft die übersichtliche Darstellung der historischen Abfolge verschiedener Methoden seit dem frühen 19. Jahrhundert Klarheit im Nebeneinander des germanistischen Pluralismus und kann damit als Grundlage für weitere Untersuchungen dienen.

Der Begriff ›Germanistik‹ im Titel bezieht sich in der Auswahl der dargestellten Ansätze vor allem auf die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Auch wenn der Herausgeber im Vorwort betont, dass »soweit dies im jeweiligen Fach sachlich angemessen ist und soweit es den Artikelverfassern möglich war[,] das Feld der Linguistik und der Mediävistik mit einbezogen« wurde (3), sind insbesondere sprachwissenschaftliche Methoden nur dann zu finden, wenn sie in großer Nähe zur (neueren) Literaturwissenschaft operieren. Der Herausgeber möchte zwar keine »Dominanz der Neugermanistik« (ebd.) unterstellen, allerdings scheint diese dennoch die leitende institutionelle Größe bei der Zusammenstellung der Beiträge gewesen zu sein. Angesichts der ohnehin großen Fülle des Darzustellenden ist dies aber eine pragmatische Entscheidung, die den Umgang mit der Methodengeschichte als Handbuch erleichtert. Bezüge zu anderen Philologien werden nur gelegentlich hergestellt, etwa in Uwe Lindemanns Beitrag zur Intertextualitätsforschung, der hier einen Forschungsrückstand der Germanistik gegenüber etwa der Slawistik und der Romanistik konstatiert (vgl. 284).

Beitrag zur Fachgeschichtsschreibung

Was den Band von anderen Publikationen zur Darstellung der Methodenvielfalt unterscheidet, ist sein deutlicher Fokus auf die Geschichtlichkeit von Methoden und ihrer Entwicklung. Das Vorwort des Herausgebers liefert in diesem Sinne wichtige fachhistorische Reflexionen, in denen Jost Schneider die Möglichkeit einer Geschichtsschreibung der Methoden des Faches problematisiert. Schneiders These, dass es sich bei der Geschichte der germanistischen Methoden weniger um einen Prozess der Ausdifferenzierung als vielmehr um einen der Akkumulation handelt, ermöglicht es, insgesamt 32 ausgewählte Methoden in ihrem historischen Nebeneinander darzustellen. Auch das umfangreiche Vorwort der Methodengeschichte ist für sich genommen bereits ein wichtiger Beitrag zum germanistischen Selbstverständnis.

Schneider geht davon aus, dass sich der Pluralismus der Methoden fachgeschichtlich durch zwei Zäsuren in drei Abschnitte teilen lässt. Für die Zeit vor 1918 postuliert Schneider die »Gründungsphase«, die Phase von 1918 bis 1969 benennt er als »latenten Pluralismus«, und nach 1969 identifiziert er den »manifesten Pluralismus«, der auch die Gegenwart des Faches bestimmt (12). Konkret bedeutet dies, dass ab etwa 1918 eine Reihe von neuen Methoden in der Germanistik relevant wird, darunter der Formalismus, die Werkimmanenz und die Semiotik. Diese neuen Methoden befinden sich allerdings zunächst in einem Zustand, den Schneider als ›Formationsphase‹ bezeichnet und der unterschiedlich lang andauern kann. Erst mit dem Eintritt in die ›Durchsetzungsphase‹ etabliert sich eine Methode im Fach. Dies ist die Phase, in der »die wichtigsten Repräsentanten der verschiedenen Methoden und ihre Hauptwerke entstehen und in der Fachöffentlichkeit diskutiert werden« (6). Schneiders Übersicht verdeutlicht dabei sehr instruktiv, dass der Übergang von der Formations- in die Durchsetzungsphase sehr unterschiedlich lang ausfallen kann: Während der Strukturalismus bereits in den 1920ern aufsteigt, verbleibt die Werkimmanenz bis in die 1940er hinein in der Formationsphase, die Semiotik sogar bis in die 1970er. Als dritte Phase identifiziert Schneider die ›Perseveranzphase‹, deren genaue Datierung er als ebenso problematisch bezeichnet wie die der Formationsphase. Schließlich berücksichtigt er die Möglichkeit, dass eine Methode ganz aus der germanistischen Praxis verschwindet, so wie der Formalismus, der nach einer Perseveranzphase in den 1930ern schon im darauffolgenden Jahrzehnt nicht mehr in der Liste erscheint. Auch wenn die drei hier eingeführten Begriffe der ›Formation‹, ›Durchsetzung‹ und ›Perseveranz‹ sicherlich noch detaillierter ausgeführt werden könnten, liefert Jost Schneider mit dieser Darstellungsform eine praktikable Möglichkeit, über die historischen Zusammenhänge und Reihenfolgen der germanistischen Methoden zu sprechen.

Aus einer solchen nicht-progressiv gedachten Forschungsgeschichte ergibt sich auch der Verzicht auf eine Große Erzählung, und dementsprechend sind die einzelnen Beiträge der Methodengeschichte alphabetisch und nicht chronologisch oder systematisch organisiert. Der akkumulative Charakter der Abfolge von germanistischen Methoden wird durch die einleitenden Hinweise Jost Schneiders zu »Entwicklungsimpulse[n] der Methodengeschichte« erläutert. Indem er feststellt, dass das Erscheinen und die Dominanz einzelner Methoden von einer Vielzahl von Faktoren abhängen, verhindert er eine Lektüre der Methodengeschichte als Geschichte mit teleologischer Anlage. Der Zwang zu Innovation und Distinktion spielt laut Schneider in der Methodenentwicklung ebenso eine zentrale Rolle wie sich verändernde politische Kontexte und Praxisbewährung. Aber auch kontingente Umstände – Zufälle – stellen relevante Faktoren dar. Als letzten und besonderen Entwicklungsimpuls benennt Schneider die »Eigendynamik« der Methodenreflexion. Er unterscheidet die »Methoden der Methodologen« und die »Methoden der Praktiker« voneinander (20), die unterschiedliche Produktions- und Rezeptionsweisen bedingen. Schneider stellt fest, dass die Diskussion von Methoden innerhalb der Germanistik zunehmend ein eigener Teilbereich des Faches geworden ist, der nur noch lose mit der Praxis der germanistischen Forschung verknüpft ist. Schneider versteht die Methodengeschichte zumindest implizit als Vermittlerin zwischen diesen beiden Positionen.

Konzeption der Beiträge

Das den einzelnen Artikeln zugrunde liegende Schema sieht vor, jede Methode in sechs Abschnitten zu beschreiben: 1. Definition, 2. Beschreibung (u.a. zentrale Fragestellungen/Grundgedanken, Gegenstände und Anwendungsbereiche), 3. Institutionsgeschichtliches, 4. Publikationen, 5. Fachgeschichtliche Einordnung und 6. Auswahlbibliographie (vgl. 11–12). Dieser Aufbau ermöglicht es, die Methodengeschichte auf sehr unterschiedliche Weisen zu nutzen. Während sich die ersten beiden Abschnitte auf die (prinzipiell bekannten) Deskription der Methoden konzentrieren, liefert die institutionsgeschichtliche Einordnung oft bemerkenswerte Hinweise zu eben jenen kontextuellen Faktoren, die Schneider einleitend als impulsgebend für die Methodenentwicklung beschreibt. Personelle Zusammenhänge, politische Ausgangsbedingungen und Zufälle werden hier zusammenfassend dargestellt. In der Zusammenschau aller Einzelartikel entsteht innerhalb der Methodengeschichte ein aus Partikularien geformtes Mosaik der Entstehungsbedingungen von disziplinären Veränderungen. Auch aus didaktischer Perspektive wird der Band dadurch zu einem wertvollen Hilfsmittel, das sich von gängigen Methodeneinführungen unterscheidet. Durch die Anbindung an Kontexte werden die Methoden greifbarer, und sowohl die (in den meisten Fällen annotierte) Bibliographie als auch die kritische Diskussion der jeweiligen Methode unter ›Fachgeschichtliches‹ ist besser nachzuvollziehen als in Darstellungsformen, die sich nur auf die Beschreibung der Methode selbst konzentrieren.

Ein gelungenes Beispiel sind die Ausführungen Joachim Pfeiffers im – auch insgesamt beispielhaften – Beitrag ›Literaturpsychologie / Psychoanalytische Literaturwissenschaft‹. Der historische Nachvollzug der Entwicklung der psychoanalytischen Theorien und ihres Verhältnisses zum jeweiligen Stand der Germanistik gehen weit über das hinaus, was in gängigen, auch neueren, Methodeneinführungen präsentiert wird. Auf diese Weise wird die Rolle psychoanalytischer Ansätze in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft differenzierter verständlich. Aber auch wenn Ulrich Schmid darauf verweist, dass der Begriff ›Formalismus‹ von dessen Kritikern stammt (vgl. 159) oder Hans-Martin Kruckis unter ›Positivismus / Biographismus‹ die Geschichte der Scherer-Schule nachvollzieht, werden Rahmenbedingungen der germanistischen Methodenentwicklung aufgezeigt, die in kleinerem oder größeren Maße für eine historisch informierte Einschätzung auch der gegenwärtigen Stellung dieser Methoden relevant sind. Dies mag aus der Perspektive von Germanistinnen, die sich mit der Fachgeschichte auseinandergesetzt haben, keine relevante Neuigkeit sein, ist aber mit Blick auf die Breite der germanistischen Tätigkeitsbereiche tatsächliche eine längst überfällige Thematisierung der eigenen Fachgeschichte: Eine Geschichte des Faches Germanistik, die nicht nach Personen oder Institutionen organisiert ist, sondern eben nach ›Methoden‹, trägt eine Reflexion der Geschichtlichkeit der Entwicklung der Germanistik in die Methoden- und Theorieentwicklung hinein und verleiht ihr dadurch einen neuen Ort innerhalb der Fachdiskussion. Fachgeschichtsschreibung erscheint damit als Problematisierung der Genese und des gegenwärtigen Zustands des Mit- und Gegeneinanders verschiedener Strömungen und Ansätze.

Das sechsteilige Gliederungsschema der Beiträge ist so einleuchtend wie hilfreich, aber leider sind nicht alle Beiträge konsequent nach diesem Muster verfasst. Der Beitrag von Hiltrud Gnüg zu ›Hermeneutik / Neohermeneutik‹ z.B. verlässt das Schema und zieht die Punkte 3., 4. und 5. zu einem Abschnitt zusammen. Der Artikel fällt in der Klarheit der Darstellung und der praktischen Handhabbarkeit merklich hinter andere Beiträge der Methodengeschichte zurück. Ähnlich gelagert ist der Beitrag ›Medientheorie‹ von Wolfgang Bock, der ebenfalls stark von der vorgeschlagenen Artikelstruktur abweicht und nur wenig konkrete Anknüpfungspunkte an die Geschichte der Germanistik liefert. Eine stärkere Durchsetzung des Konzepts des Herausgebers wäre hier sicherlich hilfreich gewesen. [1]

Auswahl und Ordnung der Beiträge

Für die Auswahl der Artikel berücksichtigte der Herausgeber nur solche Methoden, »die bereits ihre Durchsetzungs-/Akutphase durchlebt haben« (7). Folglich wurde auf die Darstellung neuester Methoden verzichtet, wenn sich diese bis jetzt nur in der Formationsphase befinden und nicht absehbar ist, ob und wann die aktuellen Methoden in die Durchsetzungsphase eintreten, oder ob sie als kurzlebige Moden den Kanon wieder verlassen. Der Herausgeber räumt im Vorwort zudem ein, dass gewisse »Sachzwänge« dazu führten, dass bspw. keine Artikel zu »Metrik, Figurenanalyse, Soziolinguistik und Computerphilologie« (3) in der Methodengeschichte zu finden sind. Nimmt man die mögliche Zukunft der Methodengeschichte als germanistisches Vademekum ernst, ist diese Aussage allerdings unbefriedigend. Um zur Geschichte der Germanistik und ihrer Methoden einen langfristigen und verlässlichen Beitrag zu leisten, wäre es wünschenswert gewesen, dass die konzeptionell vorgesehenen Beiträge zumindest im ausführlichen Vorwort des Herausgebers genannt werden, auch wenn (kontingente) Umstände ihre Umsetzung verhinderten.

Auch wäre es hilfreich gewesen, stärker zu explizieren, wie sich die Bündelung verschiedener Ansätze unter einem Lemma oder deren Aufteilung in einzelne Artikel konzeptionell begründet. Die Gliederung erscheint an einigen Stellen zu grob und an anderen zu fein. So ist nur schwer nachvollziehbar, warum ›Dekonstruktion / Poststrukturalismus‹ in einem Eintrag behandelt werden, während ›Stoff- und Motivanalyse‹ getrennt von ›Thematologie‹ ausgeführt wird. In mehreren Artikeln wird zudem darauf verwiesen, dass ein Artikeltitel nicht eine ›Methode‹ bezeichnet, sondern selbst vielmehr als Oberbegriff für eine Reihe weiterer, durchaus heterogener Methoden und Theorien verstanden werden sollte. Dies gilt z.B. für die Lemmata ›Editionswissenschaft‹ und ›Feministische Literaturwissenschaft‹. Von ersterer heißt es im Beitrag von Rüdiger Nutt-Kofoth: »Die Editionswissenschaft ist eine philologische Teildisziplin der Geistes- und Kulturwissenschaften. […] Sie ist durch eine reiche Methodengeschichte geprägt.« (109), und über die feministische Literaturwissenschaft schreibt Sara Lennox, sie bestehe »nicht aus einer einzigen, sondern aus vielen, heterogenen und häufig unvereinbaren Methoden« (149). Ähnliches gilt u.a. auch für die ›Nationalistische und rassistische Germanistik‹ (»denn es handelt sich um keine geschlossene Schule mit […] einem einheitlichen Repertoire an methodischen Verfahren«, Uwe-K. Ketelsen, 529) und die Semiotik (»die ihrerseits ein großes Spektrum an Methoden aufbietet«, Doris Mosbach, 637). Die Methoden erscheinen in dieser Darstellung wiederum als Verschachtelungen weiterer Methoden. Durch diesen Umstand und durch die Ausführlichkeit, mit der in einem Großteil der Artikel die Verbindungen der Methoden untereinander sowie ihre inneren Ausdifferenzierungen thematisiert werden, entsteht ein anderes Bild des germanistischen Pluralismus: Weniger eine geordnete Tabelle, wie sie im Vorwort angeboten wird, als vielmehr ein dynamisches Geflecht mit Knotenpunkten, Verdichtungen und Randbereichen scheint sich als geeignete Darstellungsform der verschiedenen germanistischen Methodenoptionen herauszukristallisieren. Insofern ist die Methodengeschichte zwar vornehmlich als Nachschlagewerk konzipiert, dennoch lohnt aber auch die lineare Lektüre, da erst in diesem Lektüremodus deutlich wird, dass die einzelnen Methoden sich eben gerade nicht neben- und nacheinander entwickeln, sondern im Zusammenspiel und Gegeneinander verwoben sind. Dem Befund von der »fortgesetzten Akkumulation« der Methoden, den Schneider in der Einleitung feststellt (8) muss also hinzugefügt werden, dass sich nicht nur die Anzahl der Methoden selbst, sondern auch die ihrer Relationen untereinander fortgesetzt vermehrt. Auch hier wäre es wiederum wünschenswert gewesen, wenn der Herausgeber sich an vorhandenen Konzepten zur Beschreibung von Wissenschaft orientiert hätte bzw. seine Beiträgerinnen und Beiträger zu einer solchen interdisziplinären Reflexion angehalten hätte. Dennoch sind die versammelten Geschichten der germanistischen Methoden sicherlich ein guter Ansatzpunkt für weitere, z.B. wissenschaftssoziologische Beschreibungen der methodischen Zusammenhänge im Fach.

Die lineare Lektüre des Nachschlagewerks macht allerdings auch deutlich, welche Kommunikationsschwierigkeiten es zwischen den verschiedenen ›Methoden‹ gegenwärtig gibt. Remigius Bunia und Till Dembeck z.B. sprechen im Beitrag zur Dekonstruktion von einer »positivistischen […] Haltung« in den Reihen der Kritiker des Poststrukturalismus (80). Nina Hahne wiederum bestimmt den Begriff des ›Positivismus‹ in ihrem Beitrag zur ›Geistesgeschichte‹ »als Negativfolie für die geistesgeschichtliche Selbstbestimmung« welche »in dieser Extremform niemals praktiziert wurde« (200). Dennoch scheint ›positivistisch‹ auch im 21. Jahrhundert noch als Abgrenzungsterminus verwendbar zu sein. Selbst in einer Publikation, die sich bemüht, Interdependenzen und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Methoden darzustellen, können Widersprüche dieser Art anscheinend nicht verhindert werden. Solche Spannungen durchziehen die Methodengeschichte notwendigerweise, da der im Vorwort thematisierte Pluralismus sich nicht von einem archimedischen Punkt im disziplinären Außen beschreiben lässt. Auch wenn die einzelnen Beiträge selbstverständlich prinzipiell die Neutralität eines Nachschlagewerks aufrecht erhalten, sind implizite Positionierungen und Begriffskonflikte unvermeidlich. Die Methodengeschichte ist von Beiträgern verfasst, die selbst die Bandbreite der Methodengeschichte der Germanistik nicht immer überblicken können. Selbst ein groß angelegtes Projekt wie die Methodengeschichte kann keine Harmonisierung der Begriffsverwendung unter seinen Beiträgern erzwingen. Dies zeigt umso deutlicher, wie überfällig und notwendig für die fachinterne Diskussion die vorliegende Publikation ist. Der Band ist ein hilfreiches Nachschlagewerk für alle Literaturwissenschaftlerinnen, die sich für die Geschichte der im Fach verwendeten Methoden und Theorien interessieren. Zusätzlich ist er aber auch eine wertvolle Quelle für diejenigen, die sich mit der jüngsten Fachgeschichte auseinandersetzen möchten, da die Methodengeschichte der Germanistik selbst ein historisch situiertes Dokument der Geschichte der Germanistik ist.

Christina Riesenweber

Georg-August-Universität Göttingen

Seminar für deutsche Philologie

Anmerkungen

[1] Für eine ausführlichere Diskussion einzelner Beiträge vgl. die Rezension von Ralf Klausnitzer in: Zeitschrift für Germanistik 20:3 (2010), 714–717. [zurück]

2011-05-09

JLTonline ISSN 1862-8990

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