Jan C. Werner

Interpretationshandlungen & Wahrheit.

Eine Rezension von Thomas Zabkas

Pragmatik der Literaturinterpretation

Thomas Zabka, Pragmatik der Literaturinterpretation. Theoretische Grundlagen – kritische Analysen. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2005. 283 S. [Preis: 49, 80 €]. ISBN: 978-3-484-22066-9.

Im Jahr 2005 ist Thomas Zabkas Buch Pragmatik der Literaturinterpretation. Theoretische Grundlagen – kritische Analysen erschienen, in dem sich der Autor aus handlungstheoretischer Perspektive mit dem Phänomen der literaturwissenschaftlichen Interpretation auseinandersetzt. Der paradigmatische Fall der literaturwissenschaftlichen Interpretation liegt für Zabka vor, wenn literarischen Texten oder bestimmten Textelementen, die eine wörtliche Bedeutung (Erstbedeutung) aufweisen, eine übertragene, literarische Bedeutung (Zweitbedeutung) zugeschrieben wird. Das ist etwa der Fall, wenn behauptet wird, in Robert Frosts Gedicht Stopping by Woods on a Snowy Evening symbolisiere der Wald den Tod. Zwar mag man gegenüber Zabkas Behauptung skeptisch sein, dass sich diese beiden Bedeutungsebenen (Erst- und Zweitbedeutung) »beim literaturwissenschaftlichen Interpretieren fast immer unterscheiden lassen« (19) [1], die Arbeit lässt sich aber als nützliche und reflektierte Untersuchung jenes wichtigen Typs von Interpretation verstehen, bei dem Zweitbedeutungen zugewiesen werden.

In Zabkas Buch werden zwei übergeordnete Ziele verfolgt. In Kapitel 1 (»Sprechhandlungen der Literaturinterpretation«) geht es Zabka darum, ein handlungstheoretisches Instrumentarium zur Beschreibung und Bewertung des genannten Typs von literaturwissenschaftlicher Interpretation zu entwickeln – ein sowohl in theoretischer als auch praktischer Hinsicht vielversprechendes Vorhaben, zu dem es bislang kaum Arbeiten gibt. [2] In Kapitel 2 (»Untersuchung literaturwissenschaftlicher Interpretationen: Zur Allegorese der Wahlverwandtschaften«) soll in der Auseinandersetzung mit einigen Interpretationen, die Goethes Wahlverwandtschaften zum Gegenstand haben, die wissenschaftliche Fruchtbarkeit des entwickelten Beschreibungs- und Bewertungsinstrumentariums nachgewiesen werden. Im Rahmen dieser Rezension konzentriere ich mich auf das erste, theoretisch angelegte Kapitel.

Die komplexe, jedoch stets nachvollziehbare Gliederung des ersten Kapitels ergibt sich weitgehend in Anlehnung an ein von Göran Herméren vorgeschlagenes Schema, von dem dieser im Rahmen einer Typologisierung von Interpretationen Gebrauch macht: [3]

X interprets Y as Z for U in order to V

Dieses Schema lässt sich als Analyse einer Interpretationshandlungszuschreibung verstehen. Die Variable X steht für den Interpreten (hier: den Literaturwissenschaftler), Y für das Interpretationsobjekt oder Interpretandum (hier: ein literarisches Kunstwerk bzw. Teile davon), Z für den Aspekt der Interpretation bzw. das Interpretament, U für den Adressatenkreis und V für das Ziel der Interpretation. In Kapitel 1.1 (»Propositionale Interpretationshandlungen«) wird das Interpretieren von Y als Z thematisiert, in Kapitel 1.2 (»Illokutionäre Interpretationshandlungen«) Ziele V von Interpretationen. Wie die beiden Kapitelüberschriften verdeutlichen, wird die Zuschreibung einer Zweitbedeutung durch einen Literaturwissenschaftler im Rückgriff auf die Sprechakttheorie [4] als Handlung mit einem propositionalen und einem illokutionären Aspekt verstanden, die zwar nicht unabhängig voneinander sind, die sich jedoch analytisch unterscheiden lassen. In Kapitel 1.3 (»Handlungsbedingungen der Interpretation«) werden die »persönlichen und intersubjektiven Voraussetzungen, die Sprecher und Adressat (X und U) in die Kommunikation einbringen« (23), untersucht. Kapitel 1.4 schließlich (»Interpretationskritik. Erläuterungen zu ihrer Geltungsbasis«) wendet sich der schwierigen Frage nach dem Geltungsstatus von Interpretationen zu.

Propositionale Interpretationshandlungen (Kapitel 1.1)

Wer eine propositionale Interpretationshandlung vollzieht, z.B. indem er behauptet, in Robert Frosts Gedicht symbolisiere der Wald den Tod, der vollzieht einen referentiellen und einen prädikativen Akt. Der referentielle Akt besteht in dem Beispiel in der Bezugnahme auf ein Interpretandum (Wald), das in Hermérens Schema durch »Y« wiedergegeben wird, und der prädikative Akt in der Zuschreibung eines Interpretaments Z (Tod). Während nun, wie Zabka bemerkt, Hermérens Schema den Unterschied zwischen dem Interpretandum Y und dem Interpretament Z hervorhebt, wird der Unterschied zwischen verschiedenen Weisen, wie Y auf Z verweisen kann (z.B. symbolisch), nicht erfasst. Die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitbedeutung einerseits und die zwischen verschiedenen Verweisungsmodi andererseits geben die Struktur für die Ausführungen über propositionale Interpretationshandlungen vor. In drei Unterkapiteln wird ein Beschreibungsinstrumentarium für den literaturwissenschaftlichen Umgang mit Erstbedeutungen (Kapitel 1.1.1), Zweitbedeutungen (Kapitel 1.1.2) und Verweisungsmodi (Kapitel 1.1.3) entworfen, wobei Erst- und Zweitbedeutungen jeweils in einer inhaltlichen und einer strukturellen Hinsicht thematisiert werden. Diesem Unterfangen liegt die nachvollziehbare Hoffnung zugrunde, dass ein differenziertes Beschreibungsinstrumentarium von Nutzen ist »wenn man rekonstruieren will, wie jemand – z.B. man selbst – zu einer bestimmten Bedeutungszuschreibung gelangt ist, oder wenn man eine Zuschreibung begründen will oder wenn man nach einer angemesseneren Bedeutung sucht und das Feld der Suche strukturieren möchte« (33 f.).

In inhaltlicher Hinsicht wird bezüglich der Erstbedeutungen der Frage nachgegangen, welche Textelemente Interpreten für die Zuschreibung übertragener Bedeutungen auswählen. Zabka hält zunächst fest, dass potentiell allen Textelementen Zweitbedeutungen zugeschrieben werden können. »Fragt man, welchen Inhalten eines Textes eine Zweitbedeutung zugeschrieben werden kann, so lässt sich feststellen, dass es in dieser Hinsicht keine Begrenzung gibt: Alles kann in einem übertragenen, weiteren (oder aber wörtlichen) Sinn verstanden werden.« (26) In der literaturwissenschaftlichen Praxis gebe es jedoch bestimmte Beschränkungen, denen die Auswahl von Inhalten, denen eine Zweitbedeutung zugeschrieben wird, unterliege. Es gebe Selektionskonventionen, auf die in der Praxis häufig rekurriert werde und die häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Genre, zum Thema, zur Epoche oder zum Autor des jeweils zu interpretierenden Kunstwerks stünden. Die Frage, welcher Art derartige Konventionen sind, greift Zabka in Kapitel 1.3.1 auf.

Interpreten nehmen jedoch nicht bloß eine Auswahl von Textelementen mit einer Erstbedeutung für die Zuschreibung einer Zweitbedeutung vor (Selektion); Interpreten stellen Zabka zufolge auch Verknüpfungen zwischen den ausgewählten Textelementen her (Kombination). Im Rahmen der strukturellen Untersuchung von Erstbedeutungen wird der Frage nachgegangen, in welcher Relation die Selektion und Kombination von Erstbedeutungen zum Ausgangstext stehen. Zabka geht davon aus, dass sich die Selektion und Kombination von Erstbedeutungen als Konstruktion eines Textes begreifen lässt. Interpreten konstruieren einen »allegorischen, symbolischen oder symptomatischen Text im Text« (28). Somit kann Zabka das Verhältnis zwischen der Selektion und Kombination von Erstbedeutungen und dem zu interpretierenden Text als ein intertextuelles verstehen und zur näheren Spezifikation dieses Verhältnisses für den Einzelfall ein allgemeines Modell vorschlagen: Pfisters Kategoriensystem zur Beschreibung intertextueller Relationen, [5] demzufolge unter sechs Gesichtspunkten Auskunft zu erteilen ist:

  1. Selektivität. Wie groß wird das Interpretandum gewählt? »Die Interpretation wählt im einen Extremfall bestimmte Signifikanten, im anderen Fall den gesamten Text für eine Zuschreibung übertragener Bedeutungen aus.« (29)

  2. Strukturalität. Wie unterscheiden sich die grammatische und semantische Struktur des interpretativen und des zu interpretierenden Textes? Was unter einer Struktur verstanden wird, wird anhand eines Beispiels verdeutlicht. Im Rahmen einer Interpretation von Robert Frosts Gedicht liege es nahe, geltend zu machen, dass das Ich, von dem die Rede ist, im Wald hält, um dort einzuschlafen. In dem Fall werde ein kausaler bzw. finaler Zusammenhang konstruiert, der im Ausgangstext nicht vorhanden sei.

  3. Semantische Differentialität. Wie stark unterscheiden sich der interpretative und der zu interpretierende Text in semantischer Hinsicht? Die beiden Texte können nicht gleichbedeutend sein, »weil Interpretationen angeben, was mit der Textaussage gemeint ist« (32).

  4. Kommunikativität. Wie weit entfernt sich eine Interpretation vom Interpretandum? Im Rahmen von Interpretationen wird häufig Gebrauch gemacht von interpretatorischen Paraphrasen, Inhaltsangaben oder Subsumptionen bestimmter Textinhalte unter Begriffe. Derartige Manöver sind etwa stark kommunikativ, da sie sich explizit auf das Interpretandum beziehen. Schwache Kommunikativität liegt hingegen vor, wenn eine Interpretation »den Lesern nicht mehr verständlich macht, auf welche Weise sie ihren Prätext zum Gegenstand hat« (32/3).

  5. Autoreflexivität. In welchem Maß kommt im interpretativen Text ein reflexives Bewusstsein »von der Tatsache, dass sich der von ihnen hergestellte Text von dem Ausgangstext unterscheidet […]« (33), zum Ausdruck?

  6. Referentialität. Inwiefern bedient sich der Interpret einfach des Interpretandums, inwiefern wird auf es referiert?

Bezüglich der Zweitbedeutungen wird in inhaltlicher Hinsicht untersucht, welche Arten von »Wissensbereichen« (33) Interpreten bei der Zuschreibung von Zweitbedeutungen aktivieren. Zabka sollte genauer von potentiellen Wissens- oder von Meinungsbereichen reden, da Interpreten bei der Zuschreibung von Zweitbedeutungen auf Meinungen zurückgreifen, die auch falsch sein können, während Wissen Wahrheit impliziert. Gleichwohl kann Zabkas Terminologie adaptiert werden, wenn nur das Richtige dabei gedacht wird. Zabka unterscheidet zunächst zwischen Wissen über den Entstehungskontext des Interpretandums und Wissen über den Verstehenskontext des Interpreten. In beiden Hinsichten wird weiterhin unterschieden zwischen »vier idealtypischen Wissensfeldern […] die sich allerdings – da jedes Wissen mehrfach indiziert ist – in der Empirie überschneiden« (34): Alltagswissen, Artefaktwissen, Sachwissen und Sinnwissen, die leider uneinheitlich (teils theoretisch teils anhand von Beispielen) bestimmt werden. Unter Alltagswissen wird alltagsgeschichtliches Wissen verstanden, unter Artefaktwissen sowohl inhaltliches als auch formales Wissen über Kunstwerke. Beim Sachwissen, das, wie eine Fußnote nahe legt, wohl mit Fachwissen zu identifizieren und somit dem Alltagswissen entgegen zu setzen ist, wird Wissen aktiviert, »das von einer versachlichenden Einstellung zu unserer Umwelt [geprägt ist], die uns als solche nicht permanent bewusst und verfügbar« (35) ist. Sinnwissen schließlich bezieht sich auf generelle Handlungsorientierungen und -anweisungen wie sie in religiösen, philosophischen oder sonstigen sinnstiftenden Lehren enthalten sein können.

In struktureller Hinsicht wird bezüglich der Zweitbedeutungen untersucht, wie sich die »interpretatorische Auswahl und Kombination von übertragenen Bedeutungen in Relation zu ihrer Herkunft [soll heißen: in Relation zu den jeweils aktivierten Wissensfeldern, JCW] beschreiben« (33) lässt. Da sowohl die Selektion und Kombination von Zweitbedeutungen als auch die aktivierten Wissensfelder als Texte begriffen werden, kann Zabka das Verhältnis wiederum als intertextuelles deuten und für die Einzelfallanalyse das bereits bekannte Kategoriensystem als Modell vorgeben.

Im Anschluss an die theoretische Erörterung der Erst- und Zweitbedeutungen wendet sich Zabka der Untersuchung von Arten der Verweisung zwischen Erst- und Zweitbedeutung zu. Unterschiedliche Verweisungsmodi zwischen Erst- und Zweitbedeutung werden z.B. durch die folgenden Ausdrücke angezeigt:

stehen für, stellvertreten, eigentlich bedeuten, verschlüsselt bedeuten, Chiffre sein für, allegorisieren, exemplifizieren, Bild sein für, versinnlichen, veranschaulichen, darstellen, kennzeichnen, charakterisieren, auch bedeuten, zugleich bedeuten, symbolisieren, verweisen auf, anspielen auf, deuten auf, hindeuten auf, andeuten, ausdrücken, evozieren, anzeigen, Symptom sein von, ähneln, gleichen, sein, wörtlich meinen. (39)

Für die nähere Bestimmung des Verweisungsmodus einer Interpretation schlägt Zabka erneut ein Kategoriensystem mit sechs Kategorien vor:

  1. Strukturverhältnis von Erst- und Zweitbedeutung. »Wie verhält sich die Auswahl und Kombination der interpretierten Textelemente zur Auswahl und Kombination des dem Text zugeschriebenen Wissens?« (40) Im Rahmen von Interpretationen können auf ganz unterschiedliche Weise Verweise von Erst- auf Zweitbedeutungen behauptet werden. Zabka unterscheidet einen reichen und einen nicht-reichen Modus. Im reichen Modus verweisen nicht nur einzelne Signifikate des Interpretandums auf einzelne Signifikate der zugeschriebenen Zweitbedeutungen, auch komplexe Bedeutungszusammenhänge auf der Ebene der Erstbedeutung haben ihre Entsprechung. Im nicht-reichen Modus gilt: »Im einen Extremfall wird ein einzelnes Element der Erstbedeutung auf einen großen Sinnzusammenhang bezogen; im anderen Extremfall werden komplexe Isotopien oder Erzählzusammenhänge auf eine knappe, in einem kurzen Hauptsatz formulierte Sinnaussage gebracht.« (41)

  2. Ambiguitätsverhältnis von Erst- und Zweitbedeutung. Wird ein Verweis der Erstbedeutungen auf Eines, Mehreres, Vieles oder gar unendlich Vieles unterstellt? Werden die Zweitbedeutung auf eine Erstbedeutung bezogen oder auf mehrere?

  3. Ähnlichkeitsverhältnis von Erst- und Zweitbedeutung. Inwiefern besteht eine semantische Ähnlichkeit zwischen Erst- und Zweitbedeutung? Zabka zufolge »muss mindestens eine semantische Ähnlichkeit bestehen, die eine Zuschreibung von Zweitbedeutung rechtfertigt, und mindestens eine semantische Ungleichheit, die eine solche Zuschreibung überhaupt ermöglicht.« (45) Die postulierte Ähnlichkeit wird auf lexikalischer Ebene angesiedelt.

  4. Logisches und ontologisches Verhältnis von Erst- und Zweitbedeutungen. In welchem logischen und ontologischen Verhältnis stehen Erst- und Zweitbedeutung? Die Selektion und Kombination von Erst- und Zweitbedeutungen zieht auf beiden Bedeutungsebenen bestimmte formale Relationen nach sich, die Zabka als logische Verhältnisse bezeichnet. So können etwa adverbiale Relationen (z.B. kausale, räumliche, zeitliche) auf beiden Seiten hergestellt werden, die bestimmte logische Verhältnisse der Erst- und Zweitbedeutungen zur Folge haben. Hinsichtlich des ontologischen Verhältnisses stellt sich die Frage, ob Erst- und Zweitbedeutung demselben Seinsbereich oder unterschiedlichen Seinsbereichen angehören.

  5. Wertverhältnis von Erst- und Zweitbedeutung. Wie werden Erst- und Zweitbedeutung bewertet? Erst- und Zweitbedeutungen können im Rahmen von Interpretationen (häufig implizit) als unterschiedlich wertvoll eingestuft werden. Wertende Einstellungen können sich u.a. in der Wahl des Ausdrucks zur Charakterisierung des Verweisungsverhältnisses wiederspiegeln. In einer Behauptung der Form »Y meint eigentlich Z« kommt zum Beispiel eine relativ hohe Wertschätzung der Zweitbedeutung zum Ausdruck, wohingegen eine Behauptung der Form »In Y klingt Z an« der Erstbedeutung einen relativ hohen Eigenwert zuweist.

  6. Mentale Form des Verweises. Welche mentale Form weisen die zugeschriebenen Zweitbedeutungen auf? Interpreten können »unterstellen, dass ein Text auf eine bestimmte mentale Form der zugeschriebenen Zweitbedeutungen verweist« (56). Es werden fünf idealtypische Arten derartiger mentaler Formen unterschieden. (i) Die Erstbedeutung verweist auf eine einzelne bildhafte Vorstellung. (ii) Die Erstbedeutung verweist auf ein prototypisches Set von bildhaften Vorstellungen. (iii) Die Erstbedeutung verweist auf eine formale Struktur. (iv) Das auf der Ebene der Erstbedeutung Dargestellte spielt auf ähnlich gelagerte Fälle an. (v) Das auf der Ebene der Erstbedeutung Dargestellte spielt auf allgemeine, begrifflich fassbare Sachverhalte an.

Die Ausführungen über Erst- und Zweitbedeutungen sowie über Verweisungsmodi scheinen mir in verschiedenen Hinsichten kritisierbar zu sein.

  1. Für den Leser ist es nicht nachvollziehbar, warum für die Bestimmungen bezüglich der intertextuellen Relationen und der Verweisungsmodi gerade auf die vorgeschlagenen Kategoriensysteme zurückgegriffen wird. Alternativen werden gar nicht erst in Betracht gezogen.

  2. Kategoriensysteme erwecken leicht den Eindruck eines mit ihnen verbundenen Vollständigkeitsanspruchs. Die Frage nach der Vollständigkeit wird jedoch nicht gestellt.

  3. Einige der vorgeschlagenen Analysekategorien bleiben im Rahmen der theoretischen Bestimmungen recht vage. Dies scheint mir für die Kategorien der Strukturalität, semantischen Differentialität und Referentialität zu gelten. Insbesondere hinsichtlich der Kategorie der semantischen Differentialität ist mir nicht klar, wie sich ein Maß für semantische Ähnlichkeit bzw. Abweichung finden lassen soll.

  4. Es stellt sich die Frage, inwiefern es sich bei selektierten und kombinierten Überzeugungsnetzen, die beim Interpretieren aktiviert werden, um Texte handelt. Auf Bedingungen der Textualität wird nicht eingegangen.

  5. Bei der Unterscheidung der vier idealtypischen Wissensarten wird so getan, als handele es sich um vier eigenständige Arten. Die unterschiedenen Wissensarten scheinen aber auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt zu sein. So lässt sich Artefaktwissen teils dem Alltags-, teils dem Sachwissen zuordnen.

Illokutionäre Interpretationshandlungen (Kapitel 1.2)

Nachdem Zabka ein Beschreibungsinstrumentarium für den propositionalen Aspekt von Interpretationshandlungen vorgelegt hat, wendet er sich der Untersuchung des illokutionären Aspekts zu. Es wird also der Frage nachgegangen, »welche kommunikative Handlung Interpreten ausführen, indem sie einem Textelement Y die übertragene Bedeutung Z zuschreiben?« (58) Zunächst werden einige »kategoriale Vorüberlegungen« (Kapitel 1.2.1) angestellt, bevor »neun illokutionäre Sprechakte der Interpretation« (Kapitel 1.2.2) unterschieden werden.

In den kategorialen Vorüberlegungen besteht der wichtigste Schritt darin, dass Zabka Habermas‘ universalpragmatische Differenzierung von Sprachakten relativ zu erhobenen Geltungsansprüchen aufgreift. [6] Habermas unterscheidet drei Arten von Geltungsansprüchen bei Sprechakten:

Jeder Äußerung inhäriert, so Habermas, der Anspruch »in Bezug auf Sachverhalte als konstativ wahr, in Bezug auf die Innerlichkeit des Sprechers als expressiv wahrhaftig und in Bezug auf das intersubjektive Handeln der Sprecher als normativ richtig zu gelten. Diese Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Hörer zu dem vom Sprecher erhobenen [dreifachen, T.Z.] Anspruch mit ›Ja‹ Stellung nehmen kann« (63).

Da die Geltungsansprüche nicht bei jedem Sprechakt gleichermaßen stark gewichtet zu sein brauchen, ist es für Habermas möglich, »die Sprechakte nach jeweils dem Geltungsanspruch zu klassifizieren, der in ihnen primär erhoben wird« (64). Auf diese Weise kann zwischen konstativen (auf Wahrheit ausgerichteten), regulativen (auf Richtigkeit ausgerichteten) und expressiven (auf Wahrhaftigkeit ausgerichteten) Sprechakten unterschieden werden. Damit ein Sprechakt als gelungen gelten kann, muss Habermas zufolge die Illokution vom Hörer verstanden und der jeweils erhobene Geltungsanspruch eingelöst werden.

Im Rückgriff auf die Möglichkeit der Differenzierung von Sprechakttypen relativ zu den jeweils erhobenen Geltungsansprüchen wird im Kapitel »Neun illokutionäre Sprechakte der Interpretation« eine nützliche Binnendifferenzierung für expressive, konstative und regulative Sprechakte entwickelt, die sich zunächst in sieben Typen von Sprechakten niederschlägt. Darüber hinaus werden zwei weitere Arten von Handlungen postuliert, die sich den drei von Habermas in Betracht gezogenen Geltungsansprüchen nicht ohne Weiteres zuordnen lassen. Die auf diese Weise erreichte idealtypische Differenzierung zwischen neun Typen von Sprechakten – idealtypisch, weil »mit einer interpretatorischen Äußerung […] in bestimmten kommunikativen Zusammenhängen mehrere illokutionäre Sprechakte gleichzeitig ausgeführt werden« (96) können – wird übersichtlich in Form einer Tabelle präsentiert. (73)

 

Sprechakt der Interpretation

Beispiele

Sprechakt-

typus

Geltungs-anspruch

1

expressiv

Textverstehen zum Ausdruck bringen

expressiv

wahrhaftig

2

behauptend

Interpretationsthese äußern

konstativ

wahr

3

explanativ

Schwer verständliche Textstelle erklären

4

epistemisch

Textsinn erörtern, Theorie erörtern

5

evaluativ

Ästhetischen Wert beurteilen

regulativ

richtig

6

verdiktiv/legitimativ

Textverbot begründen, Text gegen Verdikt rechtfertigen

7

appellativ

Lektüre empfehlen, davor warnen

8

künstlerisch-ästhetisch

Text inszenieren, verfilmen, vertonen

ästhetisch

stimmig

9

diskursiv-ästhetisch

Interpretationsthese mit künstlerischer Sprachverwendung stützen

Die Idee, unterschiedliche Arten von Geltungsansprüchen zu unterscheiden, die mit Interpretationen verbunden werden können, gehört in der interpretationstheoretischen Debatte mittlerweile zum etablierten Inventar. Während jedoch häufig Arten von Interpretationen relativ zu verfolgten Zielen identifiziert werden, um anschließend die Frage nach Geltungsansprüchen zu stellen, verfährt Zabka umgekehrt. Eine Differenz im Ergebnis braucht diese Umkehrung der Verfahrensweise freilich nicht unbedingt zur Folge haben. Auffällig ist, dass Zabka bei seiner Typologisierung weitgehend auf die Auseinandersetzung mit alternativen Typologisierungen verzichtet, was leider Vergleiche erschwert. Darüber hinaus stellt sich erneut die Frage, ob Zabka die Liste der neun unterschiedenen interpretativen Sprechakte für vollständig hält. Der Frage nach der Vollständigkeit wird genauso wenig nachgegangen wie der Frage, ob alle genannten interpretativen Tätigkeiten auch legitime Tätigkeiten sind, oder der Frage nach weiteren möglichen Binnendifferenzierungen der typologisch erfassten Sprechakte.

Handlungsbedingungen der Interpretation (Kapitel 1.3)

Nachdem Zabka seine Systematik zur Beschreibung des propositionalen und illokutionären Aspekts von Interpretationshandlungen entfaltet hat, werden in knappen Zügen die Bedingungen des interpretativen Handelns in drei Hinsichten skizziert. Bedingende Faktoren von Interpretationen werden auf den Ebenen der Interpretationskonventionen (Kapitel 1.3.1), der Interpretationsgegenstände (Kapitel 1.3.2) und auf Seiten des Interpreten (Kapitel 1.3.3) lokalisiert.

Interpretationskonventionen werden in zwei Hinsichten diskutiert: (i) in Abhängigkeit von Interpretationsmedien und -genres und (ii) auf der Ebene der interpretativen Interaktion. (i) Es werden zwei Arten von Medien unterschieden: schriftliche (Interpretationstexte) und nicht-schriftliche (etwa Interpretationen in ikonischer Sprache, Klangsprache oder Körpersprache). Innerhalb dieser Medien macht Zabka verschiedene Genres aus und verweist auf einige mit den Genres verbundene Konventionen, wobei er betont, dass die Konventionen »nie automatisch gültig« und »nie eindeutig« (98) sind. Zabka zeigt beispielhaft, dass sich die mit Genres verbundenen Konventionen etwa auf die Fragen nach legitimen Selektionen und Kombinationen von Erst- und Zweitbedeutungen, nach legitimen Verweisungsmodi oder legitimen illokutionären Handlungen auswirken. In all diesen Hinsichten unterliege etwa der Interpretationsaufsatz stärkeren Restriktionen als die Gedankensammlung, der Essay oder die literarische Aktualisierung. In den gleichen Hinsichten werden Zabka zufolge im nicht-schriftlichen Medium unterschiedliche Konventionen aktiviert, je nachdem, ob es sich etwa um eine freie Aussprache über das subjektive Verstehen, ein Interpretationsgespräch, eine szenische Improvisation, eine bildliche Illustration, eine Verfilmung oder eine aktualisierende Theaterinszenierung handelt. (ii) Auf der Ebene der interpretativen Interaktion wird vor allem auf das Phänomen hingewiesen, dass Interpretationshandlungen durch vorausgehende Sprechakte in drei Hinsichten beeinflusst werden: »(a) direktiv, wenn sie eine bestimmte Interpretationsweise fordern, (b) paradigmatisch, wenn sie eine Interpretationsweise praktisch vorgeben, und (c) initiatorisch, wenn sie eine Interpretationsweise ohne Aufforderung in Gang setzten.« (98 f.)

Hinsichtlich der Interpretationsgegenstände wird in drei Hinsichten ein über Konventionen vermittelter interpretationsbedingender Charakter ausgemacht: (i) inhaltlich, (ii) strukturell und (iii) kontextuell. (i) Texte legen etwa bestimmte Lesarten nahe, wenn inhaltliche Ähnlichkeiten »zwischen unterschiedlichen Sujets eines Textes« (100) bestehen, wenn der Text die eigenen Zweitbedeutung explizit ausspricht oder wenn der Text einen Hinweis auf das Vorliegen übertragener Bedeutung enthält. (ii) In struktureller Hinsicht kann, so Zabka in Anlehnung an Eco, der »Verdacht, dass es pragmatisch ›unökonomisch‹ ist, so viel Textenergie aufzuwenden, um bloß dieses zu sagen« (102) für den Interpreten ein Grund zur Zuschreibung einer Zweitbedeutung sein. (iii) Auch wenn auf der inhaltlichen und strukturellen Ebene keinerlei Evidenzen für das Vorliegen von Zweitbedeutungen auszumachen sind, kann doch die Einbettung des Interpretandums in bestimmte Kontexte den Interpreten zur Zuschreibung einer Zweitbedeutung veranlassen. Derartige Fälle können etwa vorliegen, wenn Interpreten unterstellen, dass Kunstwerke aus der Zeit x das Thema y behandeln müssen, oder wenn z.B. der Paratext die Information liefert, dass es sich um eine Parabel oder ein Gleichnis handelt.

Darüber hinaus werden Interpretationen Zabka zufolge auch durch Kenntnisse und Interessen auf Seiten des Interpreten sowie dessen Rezeptions- und Erkenntnisgewohnheiten bedingt. Der Zusammenhang von Kenntnissen, Interessen und Gewohnheiten habe einen maßgeblichen Einfluss auf die Selektion und Kombination von Erst- und Zweitbedeutungen und unterstellte Verweisungsmodi.

So überzeugend mir die Ausführungen über Handlungsbedingungen auch zu sein scheinen, eine erschöpfende Behandlung ist an dieser Stelle nicht zu erwarten. Die Ausführungen haben eher den Charakter kursorisch ausgeführter, allerdings grundlegender Bestimmungen, die dazu dienen können, die Grundzüge für eine ausführlichere Behandlung vorzuzeichnen. Klarheit darüber, wie die Überzeugungen und Präferenzen von Interpreten deren Interpretationen auf verschiedenen Ebenen bedingen, kann auf dem geringen zugewiesenen Raum (14 Seiten) nicht erreicht werden.

Interpretationskritik. Erläuterungen zu ihrer Geltungsbasis (Kapitel 1.4)

Die Ausführungen zum Geltungsstatus von Interpretationshandlungen erfolgen in drei Schritten. In Kapitel 1.4.1 werden konventionalistische Interpretationstheorien kritisiert. In Kapitel 1.4.2 wird für eine Antwort auf die Frage plädiert, wie sich der mit interpretativen Sprechakten verbundene Anspruch der konstativen Wahrheit einlösen lässt. In Kapitel 1.4.3 wird eine Unterscheidung von vier Arten philologischer Erkenntnis entwickelt.

Für konventionalistische Interpretationstheorien im Sinne Zabkas ist charakteristisch, dass sie sämtliche Zuschreibungen, die einem literarischen Text gegenüber erfolgen, für ausschließlich von Konventionen bedingt erklären. Aus dieser These leitet der Konventionalist ab, dass die Angemessenheit der Zuschreibungen nicht am Gegenstand selbst messbar ist. Zum Nachweis der These versucht der Konventionalist zu zeigen, »dass schon die einfachste, fundamentale Zuschreibung, die Zuschreibung von Literarizität, auf keinerlei Gegenstandseigenschaften sich stützen lässt« (110). Prominent wurde diese Strategie durch Fish, [7] der in seiner Rolle als Hochschuldozent im Jahr 1971 ein spontanes Experiment machte, bei dem er eine Gruppe von Studenten mit einer Liste von Namen mehrerer Linguisten konfrontierte und mitteilte, es handele sich um ein religiöses Gedicht. Aus der Tatsache, dass die Studenten in der Lage waren, die Namensliste wie ein Gedicht zu interpretieren, schloss Fish, dass nicht ästhetische Eigenschaften eine literaturwissenschaftliche Rezeptionshaltung bedingen, sondern umgekehrt. Zabka gelingt es, nicht nur Fishs Experiment, sondern auch ein von Zwaan durchgeführtes Experiment, [8] das im gleichen Fahrwasser fährt und Anlass zu einer etwas differenzierten Schlussfolgerung gegeben hat, einer gut nachvollziehbaren und überzeugenden Kritik zu unterziehen. Dem vielleicht wichtigsten Kritikpunkt zufolge machen die Experimentatoren selbst von Objektivitätsannahmen hinsichtlich der Frage Gebrauch, um was für eine Art von Text es sich handelt, obgleich sie doch genau derartige Objektivitätsannahmen zu unterminieren versuchen.

In Kapitel 1.2 ist zwar vorausgesetzt worden, dass es eine Klasse von Sprechakten (konstative Sprechakte) gibt, für die der mit ihnen verbundene Anspruch auf Wahrheit konstitutiv ist. Es stellt sich für Zabka jedoch das Problem, wie sich »der Wahrheitsanspruch […] für die Interpretationskritik operationalisieren« (116) lässt. Eine solche Operationalisierung glaubt Zabka im Anschluss an die pragmatische Interpretationsphilosophie, wie sie von Günter Abel und Hans Lenk [9] entworfen wurde, vornehmen zu können. Die pragmatische Interpretationsphilosophie geht von den Annahmen aus, dass jede Weltauslegung interpretativ und »restlos konventionsgebunden« (117) ist und dass sich wahrheitszuschreibende Aussagen nicht relativ zu einer »außerinterpretatorischen Realität« (118) bewähren können, sondern nur relativ zu Interpretationen. Insofern geltend gemacht wird, dass die Richtigkeit interpretativer Aussagen nicht an einer außerinterpretatorischen Realität gemessen werden kann, sondern nur an anderen Interpretationen, wird eine Kohärenztheorie der Wahrheit vertreten. Dass die fraglichen Kohärenzen auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind, wird deutlich, wenn drei Arten von Interpretationen voneinander abgegrenzt werden. Einerseits wird unterschieden zwischen Interpretationen, die nicht zur Disposition stehen, weil sie notwendige Bedingungen einer jeden Erfahrungsorganisation sind (Interpretationen 1), und zur Disposition stehenden Interpretationen. Andererseits werden zwei Arten von zur Disposition stehenden Interpretationen unterschieden: solche (Interpretationen 2), deren Richtigkeit wir auf Grund von Gewohnheitsmustern selbstverständlich voraussetzen, und solche (Interpretationen 3),

die wir zwar (normalerweise) für wahr und richtig halten, die wir aber als unsere Urteile über die Welt zur Disposition stellen und bei deren Äußerung wir immer schon davon ausgehen, dass jemand, der unsere grundlegenden Gewissheiten teilt, doch zu anderen Urteilen gelangen könnte. (118)

Eine Operationalisierung des Wahrheitsbegriffs nimmt Zabka schließlich vor, wenn er im Rückgriff auf die drei Interpretationsebenen systematisch auf Möglichkeiten der Kritik von Interpretationen hinweist: Eine interpretative Operation lässt sich jeweils im Hinblick auf die Kohärenz mit Interpretationen der gleichen Ebene sowie im Hinblick auf die Kohärenz mit Interpretationen der niederen Ebenen prüfen. Darüber hinaus lassen sich Zabka zufolge Interpretation lediglich kritisieren, wenn sich relevante potentielle Wissensinhalte anführen lassen, die in der fraglichen Interpretation keine oder keine hinreichende Berücksichtigung finden.

Abschließend nimmt Zabka eine Kategorisierung vor, bei der vier Bereiche unterschieden werden, in denen Interpreten notwendigerweise »Basisinterpretationen« voraussetzen, d.h. Interpretationen, »die für die Erfahrung des Gegenstands als eines Bedeutung vermittelnden Textes konstitutiv sind« (126).

  1. Code. Interpreten können unterschiedlicher Auffassung darüber sein, wovon Textbedeutungen abhängen. Wenn Code »sowohl die enzyklopädische Verwendungsweise der Zeichen einer Sprache als auch die grammatisch möglichen Wortverbindungen« (127) meint, können Interpreten etwa der Auffassung sein, dass Textbedeutungen vom Code des Autors, vom Code bestimmter Prätexte oder auch vom Code der Leser abhängen.

  2. Kontext. Auch wenn ein bestimmter Code vorausgesetzt wird, können den Zeichen eines Kunstwerks unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. Eine Einschränkung der möglichen Bedeutungen erfolgt typischerweise durch Kontextannahmen. »Auf der Ebene der Grundüberzeugungen und tiefsitzenden Gewohnheiten lässt sich beschreiben, welche Kontextbereiche Interpreten bevorzugen: biographische, kulturgeschichtliche, philosophische, geistesgeschichtliche Kontexte usw.« (130 f.)

  3. Modus. Interpreten verfügen über ein differenziertes Spektrum zur Unterstellung literarischer Äußerungsmodi, das sich anhand von »Begriffsreihen wie wörtlich – symbolisch – allegorisch; unironisch – ironisch negierend – ironisch relativierend; eindeutig – mehrdeutig – vieldeutig; erzählend – dialogisch – lyrisch; Textaussage – Erzähleraussage – Figurenaussage« (133) beschreiben lässt. Während Überzeugungen in der Kontext-Kategorie es gestatten, mögliche Bedeutungen einzuschränken, haben Überzeugungen in der Modus-Kategorie häufig eine Vervielfältigung möglicher Bedeutungen zur Folge.

  4. Subjekt. Zuletzt liegt einer jeden Interpretationsoperation notwendigerweise eine bestimmte Auffassung zugrunde, die sich auf die Relation von Autor und Textbedeutung bezieht.

Zabkas Ausführungen über den Geltungsstatus von Interpretationen scheinen mir aus den folgenden Gründen mit großer Vorsicht zu genießen zu sein:

  1. Es wird nicht motiviert, warum es eine gute Idee sein soll, von der pragmatischen Interpretationsphilosophie auszugehen. Erneut werden keine Alternativen in Betracht gezogen, so dass die Wahl für den Leser nicht nachvollziehbar ist.

  2. Zabkas Ausführungen gestatten zwei Lesarten, die sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Unter dem Deckmantel des Begriffs der Wahrheitstheorie können ganz unterschiedliche Projekte verfolgt werden. So lassen sich etwa das Rechtfertigungsprojekt und das metaphysische Projekt unterscheiden. [10] Im Rahmen des Rechtfertigungsprojekts wird nach epistemischen Eigenschaften gesucht, im Rekurs auf die sich die wahrscheinliche Wahrheit von Propositionen etablieren lässt. Beim metaphysischen Projekt hingegen wird eine Identifikation des Wesens der Wahrheit angestrebt, d.h. eine Angabe dessen, was es heißt, dass eine Proposition wahr oder falsch ist. Es bleibt unklar, ob Zabkas Ausführungen lediglich als Beitrag zum Rechtfertigungsprojekt zu verstehen sind oder ob tatsächlich, wie zahlreiche Passagen es nahe legen, ein wahrheitsdefinitorischer Anspruch vertreten werden soll. Als Beitrag zum Rechtfertigungsprojekt ist die Identifikation der verschiedenen Ebenen, auf denen Kohärenzen von Interpretationen geprüft werden können, sicherlich eine nützliche Leistung, wenngleich übersehen wird, dass sich etwa auch die Präferenzen von Interpreten kritisieren lassen. [11] Als Beitrag zum metaphysischen Projekt sind Zabkas Ausführungen bestenfalls problematisch. Zunächst stellt sich unter dieser Lesart die Frage, ob Wahrheit allgemein kohärenztheoretisch gedeutet oder ob nur für den Diskursbereich der literaturwissenschaftlichen interpretativen Aussagen eine kohärenztheoretische Deutung des Wahrheitsbegriffs vorgenommen werden soll. Beide Optionen sehen sich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Jeder kohärenztheoretische Ansatz muss dem klassischen Einwand begegnen, dass kohärente Überzeugungssysteme falsch sein können. Für die diskursrelativ eingeschränkte Variante ergibt sich darüber hinaus das Problem, zu motivieren, warum der Wahrheitsbegriff eine uneinheitliche Bedeutung haben soll.

  3. Zabka untersucht Interpretationshandlungen (interpretative Sprechakte) und will für diese nachweisen, dass sich der Anspruch der Wahrheit einlösen lässt. Nicht einmal erwähnt wird jedoch die naheliegende Frage, ob Handlungen überhaupt als Wahrheitswerträger in Betracht kommen.

  4. Im Rahmen seines Projekts der Operationalisierung des Wahrheitsbegriffs macht Zabka Kohärenzkriterien für die Güte von Interpretationen aus. Dass die Güte kohärenter Interpretationen in ihrer Wahrheit besteht, bleibt jedoch ein unkritisch vorausgesetztes Dogma, dessen Geltung in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Arbeiten nachgewiesen werden müsste.

  5. Unklar geblieben ist mir das Verhältnis zwischen den vier Kategorien, in denen Interpreten Basisinterpretationen voraussetzen, und den in Kapitel 1.1 idealtypisch unterschiedenen vier Arten von Überzeugungen, die bei der Zuschreibung von Zweitbedeutungen aktiviert werden können.

Fazit

Zabkas theoretische Untersuchung über die Zuschreibung von Zweitbedeutungen weist zumeist ein hohes theoretisches Niveau auf und enthält zahlreiche nützliche Bestimmungen, von denen zu erwarten ist, dass sie sich sowohl für die Beschreibung von Interpretationen als auch bei der Suche nach Interpretationshypothesen fruchtbar machen lassen. Gleichwohl weist die Arbeit Mängel auf, wenn es um die Motivation der Wahl bestimmter theoretischer Ansätze geht, die für gewöhnlich bloß vorgestellt, deren Stärken jedoch nicht gegenüber Alternativen ausgewiesen werden. Insbesondere das Kapitel über den Geltungsstatus scheint mir darüber hinaus (zumindest unter einer Lesart) mit gravierenden inhaltlichen Problemen zu kämpfen zu haben, auf die nicht hingewiesen wird.

Jan C. Werner

Georg-August-Universität Göttingen

Seminar für Deutsche Philologie

Anmerkungen

[1] Bühler unterscheidet etwa 17 Arten von Interpretationen, darunter z.B. das Interpretieren im Sinne des Herausfindens kommunikativer Absichten oder das Interpretieren im Sinne der Beschreibung der Wirkung eines Textes. In derartigen Fällen, die in der literaturwissenschaftlichen Praxis häufig vorkommen, geht es nicht (unbedingt) darum, Zweitbedeutungen zuzuschreiben. Vgl. Axel Bühler, Die Vielfalt des Interpretierens, Analyse & Kritik 21 (1999), 117-137. [zurück]

[2] Vgl. allerdings auch Christoph Dennerlein/Tilmann Köppe/Jan C. Werner, Interpretation: Struktur und Evaluation in handlungstheoretischer Perspektive, Journal of Literary Theory 2:1 (2008), 1-18. [zurück]

[3] Göran Herméren, Interpretation: Types ans Criteria, Grazer Philosophische Studien 19 (1983), 131-161 (hier: 142). [zurück]

[4] Vgl. v.a. John R. Searle, Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, Frankfurt a. M. 1971. [zurück]

[5] Vgl. Manfred Pfister, Konzepte der Intertextualität, in: Ulrich Broich/Manfred Pfister (Hg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, Tübingen 1985, 1-30, hier 25-30. [zurück]

[6] Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1981, 397ff. [zurück]

[7] Vgl. Stanley Fish, Is there a Text in this Class? The Authority of Interpretive Communities, Cambridge/London 1980. [zurück]

[8] Vgl. Rolf A. Zwaan, Aspects of Literary Comprehension. A Cognitive Approach, Utrecht 1992. [zurück]

[9] Vgl. Günter Abel, Interpretationswelten. Gegenwartsphilosophie jenseits von Essentialismus und Relativismus, Frankfurt a. M. 1993, und Hans Lenk, Philosophie und Interpretation, Frankfurt a. M. 1993. [zurück]

[10] Vgl. Richard L. Kirkham, Theories of Truth. A Critical Introduction, Cambridge 1992, 1-40. [zurück]

[11] Vgl. Christoph Dennerlein/Tilmann Köppe/Jan C. Werner, Interpretation: Struktur und Evaluation in handlungstheoretischer Perspektive, Journal of Literary Theory 2:1 (2008), 1-18. [zurück]

2010-04-08

JLTonline ISSN 1862-8990

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