Nina Ort

Der lange Denkweg des Umberto Eco

Grit Fröhlich, Umberto Eco. Philosophie – Ästhetik – Semiotik. München: Fink 2009. 330 S. [Preis: EUR 39,90]. ISBN: 978-3-7705-4880-4.

So oft Eco in seinen theoretischen Texten frühere Positionen variiert, revidiert und teilweise sogar widerrufen hat, so gibt es gleichwohl große kontinuierlich verfolgte Konzepte für seine kulturtheoretische Philosophie und Semiotik. Mit seinem letzten großen Werk, Kant e l’ornitorinco aus dem Jahr 1997, hat er jedoch einen bemerkenswerten Schritt vollzogen und seine bis dahin durchgehaltene, strikte Metaphysikkritik in gewisser Weise entschärft. In Anbetracht dessen, welch große Bedeutung die Semiotik von Charles S. Peirce für Eco hat, musste man sich bis zu diesem Buch fragen, warum Eco seiner Theorie bestimmte Restriktionen auferlegte, nämlich insbesondere das »Reich der Zeichen« allein auf kulturelle Phänomene zu beschränken.

Sehr begrüßenswert ist daher das hier zu besprechende Buch, das 2007 als Dissertation verfasst wurde. Es bietet nicht nur einen guten und kritischen Überblick über den theoretischen Werdegang Ecos, sondern – und dies stellt für das deutsche Lespublikum eine wertvolle Bereicherung dar – eine höchst umsichtige Kontextualisierung des Denkens Ecos in dessen intellektueller Herkunft und Heimat. Das besondere Verdienst des Buches ist dabei, in den verschiedenen Positionen, die Eco im Laufe der Zeit einnimmt, stets die Wurzeln seines Denkens aufzuzeigen und bestimmte Fragestellungen, die sich, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, durch sein gesamtes Werk ziehen. Es ist für das Verständnis des Gesamtwerkes Ecos von großer Bedeutung, diese Hintergründe nachvollziehen zu können. Denn erst dadurch werden Ecos Abgrenzungsversuche, die Versuche, sich neu zu positionieren, und der teilweise schwierige Umgang mit speziellen philosophischen. ästhetischen und semiotischen Problemen verständlich, die für Eco bis heute aktuell geblieben sind.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird Ecos philosophische Herkunft untersucht, wobei vor allem die Bedeutung seines Lehrers Pareyson, Ecos akademische Abschlussarbeit über Thomas von Aquin und seine Abkehr von der katholischen Philosophie dargestellt werden.

Der zweite große Teil des Buchs widmet sich vor diesem Hintergrund der Ästhetik und der Semiotik, die Eco unter immer wieder neuen Aspekten entwickelt. Die vor allem auf diese Kontextualisierung fokussierte Monographie liefert somit wichtige Erklärungen für die spezifischen Problemkonstellationen im Werk Ecos, die sich aus eben jener intellektuellen Herkunft ergeben.

Einführend wird ein Überblick über die intellektuelle, politische und religiöse Landschaft des Nachkriegs-Italien gegeben. Fröhlich rekonstruiert die Nachkriegssituation zurecht sehr ausführlich und betont dabei die Verquickung philosophischer mit politischen Debatten; auf diese Weise wird das intellektuelle Klima deutlich, in dem Eco 1950 sein Studium an der Universität von Turin aufnimmt. Die akademische Philosophie ist stark politisiert, es bestehen neben dem katholischen Lager insbesondere ein laizistisches und ein marxistisches. Als einflussreichste Philosophen der ersten Hälfte des Jahrhunderts gelten die Neoidealisten Benedetto Croce und Giovanni Gentile, an denen sich auch noch im Nachkriegs-Italien die philosophischen Debatten orientieren, wenngleich sie nunmehr aus unterschiedlichen Gründen kritisch oder gar polemisch gegen sie gewendet werden. Während Gentile nach dem Krieg als faschistischer Denker abgelehnt wurde, knüpfte man ansonsten an die Traditionen aus der Zeit vor dem Faschismus an. Zu den Kritikern des Neoidealismus zählten die christlichen Spiritualisten, Neoscholastiker und Existentialisten; einer der für Eco einflussreichsten Lehrer, Luigi Pareyson, gehört zumindest zeitweilig den christlichen Spiritualisten an und vertritt die theoretische Position des Personalismus, also die Annahme einer jeweils persönlichen Beziehung zu Gott. Auch Eco selbst steht, Fröhlich zufolge, zu Beginn seines Studiums dieser Richtung des christlichen Personalismus am nächsten (vgl. S. 31). Insbesondere sein Interesse für Thomas von Aquin und für den Thomismus, das bereits zu Ecos Gymnasialzeiten geweckt wurde, bringt er in sein Studium mit.

An der Universität ist für Eco ist in erster Linie Pareysons philosophische Ästhetik von Bedeutung. Fröhlich verweist auf Pareysons Estetica, die 1954 erschien. In diesem Buch entwickelt Pareyson seine Ideen zur Formativität. »Eco schätzte Pareysons Theorie der Formativität vor allem als Alternative zu Croces Ästhetik, die Anfang der 1950er Jahre in Italien noch allgegenwärtig war.« (62) Dabei handelt es sich um eine spiritualistische Neuinterpretation der Ästhetik Croces. Pareysons Theorie der Formativität betrachtet das gesamte Geistesleben, welches er als »Hervorbringen und Erfinden von ›Formen‹ durch Personen versteht.« (63) Dieses Hervorbringen als Poiesis, als Produktion und Erfindung (vgl. 69), so hebt Fröhlich hervor, wird einen wichtigen Aspekt in Ecos Ästhetik und Semiotik darstellen, ganz explizit beispielsweise in Ecos Opera aperta aus dem Jahr 1962. So stellt Fröhlich zu Pareysons Theorie fest:

Pareyson geht davon aus, daß im vollendeten Kunstwerk eine Unendlichkeit von Perspektiven angelegt ist, die eine unendliche Zahl von Interpretationen hervorruft. Die Abgeschlossenheit und Vollkommenheit der Form ist dabei die Voraussetzung für ihre unendliche Interpretierbarkeit und damit für ihre Offenheit (73)

Schon an dieser Stelle der Analyse Fröhlichs wird die große Wichtigkeit der Theorie der Formativität Pareysons für Ecos eigenes Werk deutlich; Fröhlich kann darstellen, dass Ecos Beitrag vor allem eine Säkularisierung der spirituellen Theorie Pareysons ist (vgl. 81). Eco wird sich also insbesondere von den metaphysischen Annahmen seines Lehrers abwenden.

Anfang der 1950er Jahre hat Eco diese metaphysikkritische Haltung jedoch noch nicht eingenommen. Fröhlich zeigt dies anhand seiner Abschlussarbeit (die 1956 publiziert wurde) über Thomas von Aquin, in der er versucht, »eine ästhetische Theorie aus der thomasischen Metaphysik abzuleiten.« (84) Die Beschäftigung mit Thomas von Aquin bedeutet vor allem die Auseinandersetzung mit dessen Vorstellung einer kosmischen Ordnung (vgl. 90). Zwar gibt es bei Thomas von Aquin einen Unterschied zwischen der Ordnung der Natur und der der Kultur und der Artefakte, allerdings hängen die letzteren von der Ordnung der Natur ab. Die Ästhetik, die Eco aus Thomas von Aquins Werk ableiten will, wird dort durch die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung erklärt. Nebenbei erfährt man, dass Ecos profunde Mittelalterkenntnisse, die sich beispielweise in seinem Roman Der Name der Rose niederschlagen, sich eben dieser Studien über Thomas von Aquin, den Thomismus und die Scholastik verdanken.

Schon an dieser Stelle ihrer Beschreibung des intellektuellen Werdegang Ecos an der Universität von Turin kann Fröhlich zentrale Problematiken benennen, die Ecos späteres Werk durchziehen. In seiner Beschäftigung mit Thomas von Aquin wird er beispielsweise konfrontiert mit der Auffassung der natürlichen Schöpfung als einer symbolhaften, wobei die natürlichen Dinge als Symbole schließlich auf die Vollkommenheit der Schöpfung verweisen. Fröhlich merkt an: »Die theologischen Implikationen des Problems der Zeichenhaftigkeit von Natur werden für Eco auch später unterschwellig präsent bleiben und ein Grund für seine zögerliche Haltung sein, innerhalb seiner Semiotik Phänomene der Natur zu behandeln.« (103)

Zum Verständnis der hier vorerst nur angedeuteten Problematiken tragen Fröhlichs Ausführungen über Ecos Abschied von der katholischen Philosophie enorm bei, denn sie hängen unmittelbar mit notwendigen Konsequenzen dieses Abschieds zusammen. Eco war bereits als Jugendlicher in katholischen Jugendorganisationen aktiv, als Student setzt er sein apostolisches Engagement in der Gioventú Italiana die Azione Cattolica in leitender Position fort (vgl. 105). Fröhlich zeichnet die emanzipatorischen Vorstöße der jungen Intellektuellen in dieser Organisation nach, die eine Reform ihrer Organisationskultur anstrebten, um den sozialen Lebensumständen der verschiedenen Mitglieder gerecht zu werden. Dies stieß auf heftigen Widerstand von Seiten des konservativen Lagers der übergeordneten Azione Cattolica, 1954 kam es zum Eklat und in der Folge zum Austritt des Vorsitzenden der GIAC: »Fast die gesamte Leitung legte ihre Ämter nieder, darunter auch Eco.« (118) Für Eco stellte diese politische Krise eine persönliche Krise dar, die ihn zu der Konsequenz veranlasste, das katholische Dogma insgesamt in Frage zu stellen (vgl. 119).

Obwohl Eco nun also in das laizistische Lager wechselt und sich philosophisch neu orientieren muss, zieht er sowohl Gewinn als auch Probleme aus seiner katholischen Herkunft, die ihn auf seinem gesamten weiteren Denkweg hindurch begleiten werden. In Hinsicht auf seine Abschlussarbeit fasst das Fröhlich wie folgt zusammen:

In methodischer Hinsicht wird die thomasische Philosophie also wichtig für Ecos Denken bleiben. Eine Spur der scholastischen Argumentationsweise wird sich in Ecos späteren Zeichenklassifikationen wiederfinden. [...] Einmal durch die Schule der thomasischen Metaphysik gegangen, entwickelt er ein Gespür für implizite metaphysische und theologische Annahmen von philosophischen Diskursen, von denen er sich aus seiner laizistischen Haltung heraus vehement abgrenzt. (121)

Erst acht Jahre später, 1962, kehrt er mit seinem vielbeachteten Werk Opera aperta wieder in die philosophische Öffentlichkeit zurück (in der von Fröhlich zusammengestellten Bibliographie der Texte Ecos finden sich zwischen seiner Abschlussarbeit und diesem Buch nur kleinere Zeitschriftenbeiträge, die zum Teil für dieses Buch überarbeitet wurden). Diese Zäsur bildet auch bei Fröhlich den Übergang ihrer historisch orientierten Darstellung zu dem zweiten großen Teil ihres Buches, der sich Ecos Ästhetik und Semiotik widmet und somit jenen Eco beschreibt, wie er dem deutschen Publikum vor allem bekannt ist.

Hier kann Fröhlich erhellend darstellen, wie einzelne Ideen und Konzepte aus Ecos katholischer Philosophie nun in säkularisierter Form wieder auftauchen. So arbeitet Eco in Opera aperta mit der Idee der Formativität, die er bei seinem Lehrer Pareyson kennengelernt hatte. Er überträgt dieses Konzept auf Kunstwerke und beschreibt diese als offen, insofern in ihnen eine Vielfalt möglicher Interpretationen angelegt sind: »[...] Eco spricht in Anlehnung an Pareyson davon, daß das Werk eine Kongenialität zwischen Autor und Interpret erfordere [...].« (131) Pareysons philosophische Ästhetik wird bei Eco nun kulturell und poetologisch gewendet. Interessanterweise übernimmt Eco jedoch nicht Pareysons Idee der Vollkommenheit eines Kunstwerks, da diese Idee die Vorstellung einer metaphysisch und schöpfungstheologisch vollkommenen Ordnung des Kosmos implizieren würde (vgl. 134): Damit »[...] reduziert Eco Pareysons Gnoseologie der Interpretation auf eine ›Phänomenologie der Interpretation‹ [...], die sich jeglichen Urteils über das Sein der Dinge an sich enthält.« (135)

In dieser Abgrenzung gegen Metaphysik liegt begründet, dass Eco seine Untersuchungen lange Zeit ausschließlich auf kulturelle, vom Menschen hervorgebrachte Artefakte beschränkt. Gerade hinsichtlich seiner späteren Übernahmen aus der Semiotik von Charles S. Peirce ist es höchst erhellend diese Hintergründe und Zusammenhänge zu erfahren.

Die dem Kunstwerk inhärenten Strukturen oder Regeln, die die Vielzahl der Interpretationen gleichwohl in gewisser Weise orientieren, sieht Eco nun explizit nicht mehr metaphysisch begründet, sondern ausschließlich kulturell. Die programmatische Offenheit vor allem moderner und avantgardistischer Kunst begründet Eco darüber hinaus durch die Situation des modernen Menschen in einer Welt, die selbst nicht mehr einer »absoluten gegebenen Ordnung unterworfen ist« (143). Eco überträgt damit seinen persönlichen Übergang zu einer laizistischen Haltung auf die moderne Gesellschaft insgesamt. Fröhlich zeigt plausibel, wie sehr diese Neuorientierung Ecos in diesen Jahren mit der Suche nach geeigneten Theorieimpulsen verbunden ist. Eco studiert verschiedene Theorien, bis er 1968 sein erstes semiotisches Buch vorlegt, La Struttura assente, das später in Deutschland in überarbeiteter Form unter dem Titel Einführung in die Semiotik veröffentlicht wird.

Fröhlich kann vor dem Hintergrund der katholischen Herkunft Ecos zeigen, inwiefern bestimmte katholische und thomistische Ideen im Werk Ecos auch nach seiner Wende zum Laizismus fortbestehen, etwa seine unentwegte Suche nach Ordnungsmodellen oder Regelsystemen: »Die Zeichensysteme seiner Allgemeinen Semiotik sind der Versuch, eine umfassende Ordnung aller kulturellen Phänomene zu entwerfen [...].« (157) Ecos Konzepte beispielsweise der Code-Modelle, später die Idee der Enzyklopädie sind alle dieser Suche nach Ordnungsmodellen geschuldet. Diesem Wunsch nach Ordnung geht Eco jedoch nicht auf der Ebene der Ontologie nach, ganz ausdrücklich geht es ihm hierbei immer nur um kulturelle Phänomene: »Seine Code-Systeme bzw. das spätere Modell der Enzyklopädie sind allein eine Ordnung der Zeichen, die auf sich selbst verweisen.« (159) Eco betont diese Abgrenzung wiederholt; im Kontext seiner Abkehr von der katholischen Philosophie müssen diese Abgrenzungsversuche daher als solche gegen den Thomismus verstanden werden (vgl. 159).

Unter diesem Vorzeichen werden von Fröhlich Ecos Entwicklungsschritte hin zu einer Semiotik als Kulturtheorie dargestellt. Stets bleibt die Ästhetik dabei von zentraler Bedeutung und stets geht es ihm um möglichst umfassende und kohärente Ordnungsmodelle. Mitte der 1960er Jahre beginnt Eco, sich mit der Semiotik von Charles S. Peirce zu beschäftigen, zur Grundlage seiner Theorie wird diese jedoch erst mit seinem Buch Lector in fabula im Jahr 1979. Fröhlich untersucht hierbei alle Zwischenschritte, wobei sie immer wieder auf die beschriebenen metaphysikkritischen Grundgedanken in Ecos Theorie verweist. Ecos Entwicklungsschritte weist sie bis in die verschiedenen Fassungen von Opera aperta nach: In der überarbeiteten Auflage von 1967 beispielsweise tauscht Eco seine Begrifflichkeit und spricht nun nicht mehr von Referent, sondern von Signifikant und Signifikat (vgl. 180 f.).

Ecos Herantasten an die Semiotik von Peirce ist ein hindernisreiches Unterfangen. Vor dem Hintergrund der stets mitgeführten Metaphysikkritik muss Eco sich an dem Begriff des Ikon stören, da er Ähnlichkeit mit einem Referenten impliziert. Auch Ähnlichkeit bzw. Ikonizität versucht Eco allein zu kulturellen Konventionen gelten zu lassen. Fröhlich beschreibt Ecos Versuche zwischen 1963 und 1973, den Begriff des Ikons mit seinem Code-Modell in Übereinstimmung zu bringen, die jedoch schließlich scheitern (vgl. 188 ff.). In den folgenden Jahren bis etwa 1990 wendet sich Ecos Interesse dem Peirce’schen Begriff des Interpretanten zu, da dieser es ermöglicht, Ecos Vorstellung der unabschließbaren Interpretation schärfer zu fassen. »An die Stelle des Code-Systems, das er der gesamten Kultur als Kommunikation zugrunde legte, tritt nun die ›Enzyklopädie‹ als labyrinthisch verzweigtes System kulturellen Wissens [...].« (206) Noch immer folgt Eco der zentralen Idee Pareysons, nämlich der unabschließbaren Interpretierbarkeit eines Werkes, aber er löst sich von dessen Vorstellung eines teleologisch orientierten Interpretationsprozesses und nimmt stattdessen an, dass Produktion und Interpretation von Texten auf dem vorliegenden kulturellen Wissen beruhen und selbst wiederum in die Enzyklopädie eingehen (vgl. 219).

Anschließend wird Ecos Übernahme der Schlussfolgerungsweise der Abduktion von Peirce erläutert, die als Möglichkeit, kreativ neue Regeln einzuführen, für Ecos Konzept der ästhetischen Produktion sowie der unabschließbaren Interpretation wertvolle Impulse liefern kann.

In den 1990er Jahren schließlich überwindet Eco seine strikte Position, sich ausschließlich auf Kultur zu begrenzen, die Ergebnisse finden sich insbesondere in Kant e l’ornitorinco (1997). Hier plädiert Eco für eine »schwache Ontologie« (234), die er mit den Begriffen »Tendenzlinien« oder »Resistenzlinien« (vgl. ebd.) fasst. Er geht also nun von etwas Gegebenen aus, das als Anstoß für semiotische Prozesse fungiert. Mit Hilfe der Peirceschen Kategorie der Erstheit, als reiner Möglichkeit findet er einen Weg, etwas zwar völlig Unbestimmtes existieren zu lassen, das gewissermaßen als unbestimmter Impuls Semioseprozesse auslöst:

Aus einer metaphysisch-kosmologischen Perspektive ist das Ikon als Firstness eine reine Möglichkeit. Eco versteht es auch als Abwesenheit, in dem Sinne, daß es das Bild von etwas ist, was noch nicht ist. Ausgehend von dieser Leerstelle kann auf das geschlossen werden, was in diese Lücke passen könnte [...]. (238)

Diese primäre Ikonizität wird als protosemiotisch bestimmt, an sie wird aber sofort mit Wahrnehmungsurteilen, also mit Schlüssen, angeschlossen. Meines Erachtens ließe sich diese Idee gut nicht nur mit Erstheit, sondern auch mit Zweitheit als Faktizität bei Peirce korrelieren. Auch hier geht Eco weiterhin von der Ästhetik aus, um seine Kulturtheorie zu formulieren. Gerade primäre Ikonizität bildet dabei das ideale Moment, abduktiv zu schließen, also kreativ neue Regeln zu entwerfen. Dieses Konzept lässt sich schlüssig auf Ecos Theorie der allmählich anwachsenden Enzyklopädie übertragen.

In einem kurzen Schlusskapitel resümiert Fröhlich den Denkweg Ecos, auch sie versteht die in den 1990er Jahren entwickelte kognitive Semiotik Ecos als Korrektur eines »blinden Flecks« (257) in Ecos Theorie.

Im Anhang des Buches findet sich ein Interview Fröhlichs mit Eco aus dem Jahre 2004; es wird zuerst auf Deutsch, dann auf Italienisch wiedergegeben. Danach folgt eine vollständige Bibliographie der Texte Ecos, die ins Deutsche übertragenen Titel werden den italienischen beigestellt.

Die Arbeit stellt eine beeindruckende Leistung dar, denn tatsächlich gelingt es, durch die Kontextualisierung des Werks Ecos mit seiner Entstehungsbedingungen im Italien der Nachkriegszeit sowie seinem Selbstverständnis als katholischer Philosoph aufzuzeigen, welche Theorieelemente er durch alle Versionen seiner Theorie hinweg beibehält und welche er – mit den entsprechenden Folgelasten – nach seiner Abkehr von der katholischen Philosophie ablehnt. Ausschlaggebend ist für sein Werk stets die Ästhetik, wobei Eco von seinem Lehrer Pareyson die Idee der Formativität übernimmt und säkularisiert, also die Vorstellung der kreativen Poiesis und der unabschließbaren Interpretationsprozesse. Von Thomas von Aquin behält er die Suche nach einem einheitlichen Ordnungsmodell bei, mit dem Kultur kohärent dargestellt werden kann. Auch hier versucht er jedoch, alle metaphysischen Implikationen zu vermeiden und Ordnung in kulturellen Codes, in der »Enzyklopädie« oder in Konventionen zu begründen. Seine Metaphysikkritik hat jedoch zur Folge, dass er seiner Theorie Restriktionen auferlegen und sie auf Kulturelles beschränken muss. Diese selbstauferlegten Restriktionen müssen Peircekennern konservativ und in gewisser Weise unnötig erscheinen. Fröhlichs Buch macht deutlich, warum es zu dieser Folgelast kam und warum Eco sie so lange Zeit zu tragen hatte. Und diese Erklärung lässt den Denkweg Ecos beinahe dramatisch wirken.

Mit seiner neuen Position, der kognitiven Semiotik, kann Eco diese Restriktionen schließlich überwinden und mit dem Konzept der primären Ikonizität stellt er seine Semiotik auf ein höchst plausibles Fundament. Fröhlichs Studie liefert insbesondere für das deutsche Publikum, dem diese Zusammenhänge nicht unbedingt klar sein konnte, eine hervorragende und erhellende Ergänzung zum bisher herrschenden Eco-Bild als einem durch und durch laizistischen und ein wenig eklektizistischen Kultur- und Zeichentheoretiker.

PD Dr. Nina Ort

Ludwig-Maximilians-Universität München

Institut für deutsche Philologie

2010-09-10

JLTonline ISSN 1862-8990

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