Dominik Orth

(Knappe) Einblicke in medienspezifische Erzähltechnicken

Nicole Mahne, Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 2007. 143 S. (Preis: EUR 16,90). ISBN: 978-3-8252-2913-9.

Ausgehend von der Literatur entwickelt sich die Narratologie zunehmend zu einer medienübergreifenden Erzähltheorie, die neben literarischen Texten auch Erzählungen in anderen Medien berücksichtigt und damit auf wissenschaftlicher Seite der Tatsache gerecht wird, dass »das Narrative gerade in der heutigen Medienkulturgesellschaft ubiquitär zu sein scheint«. [1] Dieser transmedial agierenden Erzählforschung trugen in den vergangenen Jahren einschlägige Sammelbände deutsch- und englischsprachiger Provenienz Rechnung. Der von Ansgar und Vera Nünning herausgegebene Sammelband Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär [2] beispielsweise hat diese Entwicklung der Narratologie ebenso aufgegriffen wie die von Marie-Laure Ryan editierte Textsammlung Narrative across Media. The Languages of Storytelling. [3] Selbst allgemeine Einführungsbände in die Erzähltheorie erfassen die sukzessive Erweiterung des Narrationsbegriffs auf nicht-literarische Erzählformen, so beispielsweise der Einbezug anderer Medien in David Hermans The Cambridge Companion to Narrative, [4] wodurch deutlich wird, dass die Narratologie ihren Gegenstandsbereich erweitert hat und über den Anspruch verfügt, sich in ihren theoretischen Überlegungen nicht nur auf narrative literarische Texte zu beschränken.

Mit Nicole Mahnes Monografie Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung liegt in der Tradition dieser »produktiven Grenzüberschreitungen« [5] nun der Versuch vor, Beschreibungskategorien zu entwickeln, die jeweils medienspezifische Aspekte von Narrationen, die über unterschiedliche Medien erzählt werden, berücksichtigen sollen. Denn, so die grundlegende Arbeitshypothese von Mahne, »Erzählmedien […] gestalten durch ihre internen Strukturgesetze den Erzählinhalt entscheidend mit« (9). Dabei legt die Verfasserin Wert auf die medienspezifische Überprüfung und eventuell notwendige Weiterentwicklung traditioneller Modelle der Erzähltheorie, denn die diversen »Darstellungstechniken lassen sich nicht verlustfrei von einem Medium auf das andere übertragen, so dass auch das Analyseinstrumentarium an das jeweilige Medium anzupassen ist« (18). Mit dieser theoretischen Ausrichtung wird der Anspruch dieser Einführung den Anforderungen an eine transmediale Erzähltheorie durchaus gerecht. Denn eine Narratologie, die für die diversen Medien, in denen sich Erzählungen manifestieren können, entsprechende Analysekategorien zur Verfügung stellen möchte, sieht sich der Herausforderung gegenüber gestellt, die Spezifika der unterschiedlichen Ausformungen der Narrationen, die durch das jeweilige Medium und seine Ausdrucksmöglichkeiten vorgegeben sind, in eine Erzähltheorie zu integrieren, die dem Anspruch gerecht werden kann, ohne Simplifizierungen und mit der entsprechenden Notwendigkeit zur Differenzierung für unterschiedliche narrative Medien Gültigkeit zu beanspruchen.

Der erste Teil der Transmedialen Erzähltheorie ist von theoretisch orientierten Kapiteln geprägt, die sich mit dem Begriff des Erzählens, den Elementen einer Geschichte und der Bestimmung narrativer Medien auseinandersetzen. Das Kapitel zum Begriff des Erzählens versucht, die Geschichte der Erzähltheorie unter der besonderen Berücksichtigung der Ansätze zu rekapitulieren, die in ihren theoretischen Entwürfen nicht ausschließlich auf literarische Texte bezogen sind. Mahne legitimiert in diesem Kapitel die Notwendigkeit einer transmedial orientierten Narratologie, die davon ausgeht, dass das jeweilige Medium die Form der erzählerischen Vermittlung prägt und diese aufgreifen muss, indem die Analysekriterien jeweils angepasst werden. Im darauf folgenden Kapitel legt die Autorin die Grundelemente einer Geschichte unabhängig vom Medium dar, ohne allerdings daraufhin im weiteren Verlauf ihrer Einführung explizit zurückzukommen. Die theoretischen Vorüberlegungen werden schließlich mit Überlegungen zum Medienverständnis abgeschlossen. Dabei gelangt Mahne zu einem nicht weiter reflektierten und damit problematischen Medienbegriff, der die diversen Medien, in denen sich Narrationen manifestieren können, als unterschiedliche »Erzählgattungen« (22) begreift. Der an sich schon problematische Gattungsbegriff wird hier auf Medien angewendet, ohne dass dargelegt wird, inwiefern dieser dazu geeignet sein soll, die verschiedenen narrativen Medien voneinander zu differenzieren. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit einer umfassenden Bestimmung und Herleitung des zugrunde gelegten Begriffs der Transmedialität übersehen – lediglich in der Einleitung wird dieser Terminus in Anlehnung an Irina O. Rajewsky kurz aufgegriffen, wonach damit medienunspezifische Phänomene erfassbar sind, die in unterschiedlichen Medien mit jeweils spezifischen Mitteln erzählt werden können.

Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen, die auf zwölf Seiten entfaltet werden, setzt sich der zweite Teil der Publikation mit fünf verschiedenen Medien auseinander, die sukzessive dahingehend beschrieben werden, welche Erzähltechniken jeweils vorherrschend sind und mit welcher Terminologie die medienspezifischen Besonderheiten der Narrationen in den jeweiligen Medien erfasst werden können. Die narrativen Medien, auf die sich die Autorin dabei bezieht, sind der Roman, der Comic, der Film, das Hörspiel und die Hyperfiktion, ohne dass die Auswahl und damit die Beschränkung auf diese Medien reflektiert wird. Zwar handelt es sich bei diesen Medien um relevante Untersuchungsgegenstände, doch es verwundert, dass in einer Einführung in die Transmediale Erzähltheorie neuere Medien wie beispielsweise das Computerspiel keine Beachtung finden, obwohl in den geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit diesem Medium in den letzten Jahren insbesondere die Frage nach der Narrativität in den Vordergrund gestellt wurde. [6]

Die Ausführungen zu den jeweiligen Medien, die in einzelnen Kapiteln auf ihre zentralen narrativen Strategien hin untersucht werden, gewähren gute, aber knappe Einblicke in die medienspezifischen Erzähltechniken. Zunächst werden anhand des Romans die wesentlichen Termini der Narratologie eingeführt. Die Festlegung auf die Erzählform Roman zeugt von einer geringen theoretischen Reflexion, da unklar bleibt, wieso andere fiktionale Prosaformen wie Erzählungen oder Novellen ausgeschlossen werden. Die anschließende Auseinandersetzung mit den weiteren narrativen Medien folgt keiner einheitlichen Struktur, was unter anderem darin begründet sein kann, dass jedes Medium auf spezifische Art und Weise erzählt. Für die Konzeptualisierung einer transmedialen Erzähltheorie wäre es dennoch wünschenswert gewesen, bereits etablierte Kategorien der Erzähltheorie gleichermaßen in Bezug zu den unterschiedlichen Medien zu setzen, um davon ausgehend bestimmen zu können, welche Erzähltechniken für welches Medium von Relevanz sind und für welche Medien das anhand der Literatur entwickelte narratologische Grundkonzept zu kurz greift und welche Analysekategorien entsprechend angepasst oder sogar erweitert werden müssen. Die Ausführungen sind jedoch uneinheitlich: So verweist Mahne beispielsweise in Bezug auf alle fünf von ihr behandelten Medien auf die vom Medium abhängigen Raum- und Zeitdimensionen, während zentrale Kategorien wie die Fokalisierung oder die Erzählinstanzen nur in Bezug auf ausgewählte Medien explizite Berücksichtigung finden. Dies irritiert insbesondere dann, wenn beispielsweise narrative Instanzen in Bezug auf ein konkretes Medium erwähnt werden, ohne dass diese erzähltheoretische Kategorie für das jeweilige Medium umfassend konzeptualisiert wird. Dies verhindert auch einen strukturellen Vergleich der einzelnen Erzählkategorien in den behandelten Medien, auf den weitestgehend verzichtet wird, obwohl dies gerade hinsichtlich des Anspruchs des Bandes von größerer Bedeutung wäre.

Das Kapitel zum Comic als narratives Medium vermag zu überzeugen, da die Ausführungen zu diesem Schrift-Bild-Medium ausdifferenziert sind und die medienspezifischen Formen der Erzählung gut herausgearbeitet werden. So wird beispielsweise die Zeitgestaltung in Comics anhand konkreter Beispiele und Abbildungen hergeleitet. In Bezug auf die anderen behandelten Medien werden Beispiele dagegen eher spärlich eingesetzt. Der divergente Umfang der einzelnen Kapitel – 33 Seiten zum Comic stehen beispielsweise sechs Seiten zum Hörspiel gegenüber – wird zwar in der Einleitung kurz reflektiert, die Notwendigkeit erschließt sich jedoch in der Lektüre der einzelnen Kapitel nicht, da die gelungene Differenzierungsarbeit in Bezug auf das Medium Comic nicht für alle Medien gelten kann. Darüber hinaus greift die Einführung auch in anderer Hinsicht zu kurz: Aspekte des Was einer Erzählung werden beispielsweise kaum in die Ausführungen mit einbezogen. Kategorien wie die Diegese, also die erzählte Welt, die medienspezifisch unterschiedlich gestaltet wird, werden demnach ebenso vernachlässigt wie unterschiedliche medienspezifische Figurenkonzepte. Dies verwundert umso mehr, als die erzählte Welt beispielsweise in den Kapiteln zu Comics und zu Hyperfiktionen am Rande erwähnt wird, aber nicht in adäquater Form theoretisch bestimmt wird. In Bezug auf die Anforderungen an eine Einführung ist außerdem festzuhalten, dass der medienspezifische Forschungsstand oft ebenso wenig Berücksichtigung findet, wie anhaltende Diskussionen zu spezifischen Feldern der Narratologie. So verweist das Kapitel zum Film beispielsweise nicht auf die unterschiedlichen Traditionslinien innerhalb der Filmnarratologie, die ebenso von einer literaturwissenschaftlichen wie von einer kognitiv ausgerichteten Tradition geprägt ist, [7] noch werden zentrale Beiträge zu der Erforschung einer medienspezifischen Erzähltheorie aufgegriffen, wie die Vernachlässigung der Schriften von Christian Metz aufzeigt, dessen filmsemiotische Überlegungen durchaus Relevanz für eine spezifische Filmnarratologie aufweisen. Die anhaltenden narratologischen Diskussionen um den komplexen Bereich der Fokalisierung – um ein Beispiel für ein spezifisches Feld der Narratologie zu nennen – werden ebenso wenig reflektiert. Mahne begnügt sich mit einem Verweis auf Gérard Genette und Mieke Bal, die zwar in Bezug auf die Fokalisierung zentrale Aspekte angesprochen haben; auf die Diskussionen, die durch die jeweiligen Fokalisierungskonzepte ausgelöst wurden, und deren Bezug zu anderen terminologischen Versuchen, sich der Perspektivengestaltung in Narrationen zu nähern, wird jedoch kaum eingegangen. Auch strittige Diskurse, wie beispielsweise die Frage nach der narrativen Instanz im Film, werden nur am Rande aufgegriffen und mit Hinweisen auf voice-over-Erzähler verkürzt abgehandelt.

Der zugrunde gelegte Ansatz dieser medienübergreifenden Erzähltheorie ist positiv zu bewerten, da die Notwendigkeit besteht, den vielfältigen medialen Erzählformen auf theoretischer Ebene Rechnung zu tragen. Um zu einem ersten Eindruck von medienspezifischen Erzähltechniken zu gelangen, ist ein Blick in den Band durchaus lohnenswert, da die Autorin in gebündelter Form darlegt, wie Narrationen in einzelnen Medien durch die medienspezifischen Ausdrucksmittel geformt werden. Allerdings sind die Ausführungen selbst – oder gerade – für eine Einleitung zu knapp geraten. Neben der geringen theoretischen Reflexion weist das Buch auch vermeidbare formale Mängel auf, wovon zahlreiche Flüchtigkeitsfehler und einige Wiederholungen Zeugnis ablegen. Nicole Mahnes Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung stellt demnach zwar eine Grundlage für medienspezifische Erzählformen einzelner Medien dar, wird jedoch dem Anspruch an eine Einführung in dieses hochkomplexe Feld nicht gerecht und offenbart, dass die transmediale Erzähltheorie einer umfassenderen Konzeptualisierung bedarf.

Anmerkungen

[1] Vera und Ansgar Nünning, Produktive Grenzüberschreitungen. Transgenerische, intermediale und interdisziplinäre Ansätze in der Erzähltheorie, in: Dies. (Hg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier 2002, 1-22, hier 12. [zurück]

[2] Vera und Ansgar Nünning (Hg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär, Trier 2002. [zurück]

[3] Marie-Laure Ryan (ed.), Narrative across Media. The Languages of Storytelling, Lincoln/London 2004. [zurück]

[4] David Herman (ed.), The Cambridge Companion to Narrative, Cambridge 2007. Der Teil des Buches, der sich mit anderen, nicht-literarischen narrativen Medien auseinandersetzt, ist mit »Other Narrative Media« betitelt, vgl. ibid., 125. [zurück]

[5] Nünning/Nünning 2002, 3. [zurück]

[6] Vgl. zur Kontroverse zwischen Narratologen und Ludologen innerhalb der Game Studies beispielsweise Henry Jenkins, Game Design as Narrative Architecture, in: Noah Wardrip-Fruin/Pat Harrigan (eds.), First Person. New Media as Story, Perfomance, and Game, Cambridge/London 2004, 118-130. [zurück]

[7] Vgl. dazu beispielsweise Jörg Schweinitz, Zur Erzählforschung in der Filmwissenschaft, in: Eberhard Lämmert (Hg.), Die erzählerische Dimension. Eine Gemeinsamkeit der Künste, Berlin 1999, 73-87. [zurück]

2008-06-12

JLTonline ISSN 1862-8990

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