Tilmann Köppe
In welche Richtung entwickelt sich die analytische Ästhetik?
Matthew Kieran (ed.), Contemporary Debates in Aesthetics and the Philosophy of Art. (Contemporary Debates in Philosophy 5) Oxford: Blackwell 2005. xi, 384 S. (Preis: GBP 21,99). ISBN: 978-1405102407.
1. Übersicht
Matthew Kierans Band Contemporary Debates in Aesthetics and the Philosophy of Art versammelt eine Reihe von Originalbeiträgen zu verschiedenen aktuellen Themen der philosophischen Ästhetik analytischer Ausrichtung. Jedes Thema wird von zwei Autoren behandelt, deren Beiträge hintereinander stehen und die unterschiedliche Positionen zum jeweiligen Thema vertreten. Ergänzt werden die Beiträge durch knappe Hinweise auf weiterführende Literatur seitens des Herausgebers sowie ein ausführliches kombiniertes Personen- und Sachregister. Kierans Band steht damit in einer Reihe erfolgreicher Bände, denen das gleiche (oder doch ein ähnliches) Konzept zugrunde liegt: die Zusammenstellung von Beiträgen verschiedener Autoren zu zentralen Problemen der philosophischen Ästhetik, die einerseits Überblicksdarstellungen sind und in denen andererseits zugleich eine bestimmte Position vertreten wird. [1]
Der Band behandelt folgende Themen: »How are Artistic Experience and Value Interrelated?« (Gordon Graham; David Davies); »In What Does True Beauty Consist?« (Marcia Muelder Eaton; Carolyn Korsmeyer); »What Is the Nature of Aesthetic Experience?« (Noël Carroll; Gary Iseminger); »Should We Value Works as Art for What We Can Learn from Them?« (Berys Gaut; Peter Lamarque); »How Do Pictures Represent?« (Robert Hopkins; Dominic McIver Lopes); »What Constitutes Artistic Expression?« (Stephen Davies; Jerrold Levinson); »In What Ways Is the Imagination Involved in Engaging With Artworks?« (Gregory Currie; Jonathan M. Weinberg/Aaron Meskin); »Can Emotional Responses to Fiction Be Genuine and Rational?« (Tamar Szabó Gendler/Karson Kovakovich; Derek Matravers); »Is Artistic Intention Relevant to the Interpretation of Artworks?« (Robert Stecker; Daniel O. Nathan); »Are There General Principles of Evaluation?« (Alan H. Goldman; George Dickie); »What Are the Relations Between the Moral and Aesthetic Values of Art?« (Eileen John; Daniel Jacobson).
Eine knappe Einleitung von Matthew Kieran rundet den Band ab. Kieran unternimmt darin drei Versuche, das Wesen der philosophischen Ästhetik zu umreißen. Erstens könne man zwei verschiedene Zugangsweisen zu kunstphilosophischen Problemen unterscheiden. Ein ›induktiver‹ Zugang beginne mit konkreten Kunstwerken, deren Betrachtung philosophische Probleme aufwerfe; so könne man beispielsweise die Auffassung vertreten, dass der Wert eines Kunstwerks von den Erfahrungen abhänge, die das Werk seinen Betrachtern gewähren könne; diese Auffassung mag sich der Tatsache verdanken, dass viele kunstbezogenen Werturteile tatsächlich eng mit den Erfahrungen von Rezipienten verbunden sind. Zu beantworten – und hier beginnt die philosophische Aufgabe – sei dann allerdings die Frage, ob etwas Derartiges auch für andere oder sogar alle kunstbezogenen Werturteile gelte. Andererseits könne die philosophische Auseinandersetzung mit Kunst einen eher ›programmatischen‹ Ausgang nehmen. In diesem Fall beginne man mit einer bestimmten systematischen Theorie, etwa zur Struktur von Emotionen, und wende diese dann auf Probleme der Auseinandersetzung mit Kunstwerken an. Zweitens könne die philosophische Auseinandersetzung mit Kunst dadurch charakterisiert werden, dass in ihr typischerweise der Versuch einer Integration verschiedener, augenscheinlich konfligierender Auffassungen unternommen werde, die aus den Bereichen der Metaphysik, Epistemologie, Semantik oder auch der vortheoretischen Erfahrung stammten. Drittens schließlich könne die philosophische Ästhetik anhand ihrer Gegenstände charakterisiert werden, insofern sie sich den verschiedenen Eckpunkten der »aesthetic triad« – der Produktion, der Rezeption oder aber den Kunstwerken selbst – zuwende.
Nicht alle Beiträge des Bandes behandeln für eine Ästhetik des Literarischen einschlägige Probleme; das gilt insbesondere für die Frage nach repräsentationalen Eigenschaften von Bildern (Kap. 9 u. 10) sowie den expressiven Qualitäten von Musik (Kap. 11 u. 12). Alle weiteren Probleme sind so allgemein, dass sie unter anderem den Umgang mit Literatur betreffen und erhellen und daher zu Recht als Gegenstände einer allgemeinen philosophischen Ästhetik gelten können. Die Frage nach der Relevanz von Autorintentionen für die Interpretation gehört zu den Kernproblemen der Literaturtheorie im engeren Sinne. Die Beiträge von Robert Stecker und Daniel O. Nathan (Kap. 17 u. 18) seien hier daher etwas ausführlicher betrachtet.
2. Interpretation und Intention
Steckers Beitrag erläutert und verteidigt eine intentionalistische Interpretationstheorie, den ›moderaten starken Intentionalismus‹ (»moderate actual intentionalism«). Dabei nimmt er vornehmlich zu zwei Problemen Stellung, die sich in der interpretationstheoretischen Debatte herauskristallisiert haben. Das erste Problem betrifft mögliche Ziele, die man sich beim Interpretieren setzen kann oder sollte. Ist es sinnvoll zu fragen, welche Intentionen der Künstler mit seinem Werk verfolgt hat? Stecker zufolge ist dies ein sinnvolles Interpretationsziel, das wir nicht nur im Falle von Alltagsäußerungen oft verfolgen. Auch bei der Beschäftigung mit Kunstwerken kann uns interessieren, welchen Zweck die Wahl bestimmter darstellerischer Mittel hat, und diese Frage zu stellen heißt nichts anderes, als wissen zu wollen, was jemand mit dem Einsatz der fraglichen Mittel beabsichtigt (intendiert) hat. Allerdings ist dies Stecker zufolge nicht das einzige Ziel, das man sich beim Interpretieren setzen kann; es gibt vielmehr einen umfassenden Kanon von Interpretationszielen, von denen keines beanspruchen kann, als eigentliches oder zentrales Ziel vor allen anderen ausgezeichnet zu sein (274f.).
Das zweite Problem, mit dem Steckers Beitrag befasst ist, betrifft die Frage, ob es ein sinnvolles Konzept der Werkbedeutung gibt, das von den Intentionen des Künstlers abhängig ist. Die Frage nach Werkbedeutungen ergibt sich, wenn man einerseits anerkennt, dass es verschiedene Interpretationsziele gibt, und andererseits meint, nicht jedes Interpretationsziel könne sinnvoller Weise als Suche nach der Bedeutung des betreffenden Kunstwerks bezeichnet werden. Im Rahmen des moderaten starken Intentionalismus argumentiert Stecker, dass die Bedeutung eines Kunstwerks nicht mit den Intentionen des Künstlers gleichgesetzt werden darf, sondern dass für die Bestimmung der Werkbedeutung nur solche Intentionen relevant sind, die (in einem bestimmten Kontext) in Übereinstimmung mit den konventionellen Bedeutungen der verwendeten Ausdrucksmittel erfolgreich realisiert werden:
[A]n utterance means X if the utterer intends X, the utterer intends that his or her audience will grasp this in virtue of the conventional meaning of the words or a contextually supported extension of this meaning permitted by conventions or permissible extensions of them. (274)
Autoren können demnach bei der Umsetzung ihrer Intentionen scheitern. Steckers Version des ›starken‹ Intentionalismus unterscheidet sich weiterhin vom hypothetischen Intentionalismus insofern, als für die Interpretation eines Werkes die tatsächlichen Intentionen des Künstlers relevant sind. Was es damit auf sich hat, wird im Vergleich mit verschiedenen Spielarten des hypothetischen Intentionalismus deutlich. Dieser geht in einer ersten Spielart davon aus, dass eine Interpretation auf genau die Bedeutungshypothese abziele, die ein ideales Publikum über die Intentionen des Künstlers aufstellen würde; in einer zweiten Spielart besagt der hypothetische Intentionalismus, die Interpretation ziele auf die Erschließung solcher Intentionen, von denen man mit guten Gründen annehmen kann, dass sie ein (»hypothetischer«) Autor gehabt haben könnte. Wie genau die Kernbegriffe dieser Positionen zu bestimmen sind, ist allerdings umstritten; diskutiert wird insbesondere, auf welche Informationen das ideale Publikum zusätzlich zum Werk zurückgreifen dürfe oder müsse, und wie ein Interpret zu verfahren habe, wenn eine im Sinne des hypothetischen Intentionalismus ›beste‹ Hypothese über die Werkbedeutung mit der tatsächlichen Intention des Autors unvereinbar ist. – Stecker selbst vertritt die Auffassung, dass der hypothetische Intentionalismus bestimmten Gegenbeispielen ausgesetzt ist, die ihn als Theorie der Werkbedeutung ungeeignet erscheinen lassen (vgl. 280).
Daniel O. Nathan vertritt in seinem Beitrag eine anti-intentionalistische Gegenposition, die sich folgendermaßen umreißen lässt: »The meaning of a text […] depends on its internal properties, its words and literary structure understood under the public conventions of linguistic usage that applied at the time« (284). Anders als in frühen anti-intentionalistischen Konzeptionen werden nicht allein ›interne‹ Eigenschaften eines Kunstwerks für interpretationsrelevant gehalten, sondern ebenso Beziehungen des Kunstwerks zu Sachverhalten außerhalb seiner selbst – etwa zu Genrekonventionen. Entscheidend für ein anti-intentionalistisches Interpretationsprogramm ist die Auffassung, dass alle werk-externen Sachverhalte, auf die im Rahmen der Interpretation zurückgegriffen wird, öffentlich zugänglich sind. Selbst literarische Ironie oder Metaphern, von denen oft gesagt wird, man könne sie nur unter Rückgriff auf Sprecherintentionen erklären, können nur dann als solche erkannt werden, wenn es öffentlich zugängliche Hinweise gibt:
Thus, the anti-intentionalist insists that it is not Swift’s intention that makes his suggestion in A Modest Proposal that we fricassee children ironic; it is a confluence of the linguistic clues found in the text of the essay as a whole and the connotations words like »fricassee« hold in the linguistic community at the time of expression that entail the suggestion ought to be read as ironic. Lacking such indicators, no amount of authorial intention could make a text ironic. (285)
Nathans Konzept des Anti-Intentionalismus basiert zwar auf der Annahme, dass alle Eigenschaften eines Kunstwerks einen bestimmten Zweck erfüllen (»are there on purpose«, 287). Um diese Zweckmäßigkeit zu bestimmen, müsse man jedoch nicht feststellen, was der Künstler mit der Darstellung bezweckt hat; vielmehr genüge es, die relevanten Eigenschaften vor dem Hintergrund möglicher Alternativen zu betrachten. Entscheidend ist, dass die fraglichen Eigenschaften als Teil einer interessanten Interpretation aufgefasst werden können:
[N]o actual fact about the artist should prevent us from taking any feature seriously, so long as it bears any potential of producing an interesting interpretation. Were there actual evidence that the artist had not noticed or intended the feature deemed significant, interpreters tend to dismiss the evidence. The presence of the feature and how it fits into a reading suffices. (287)
Für verfehlt hält Nathan die Auffassung, die Interpretation von Kunstwerken habe sich an einem Modell der (Alltags-)Kommunikation zu orientieren. Zwischen einer tatsächlichen Kommunikation und der Interpretation von Kunstwerken bestünden vielmehr wichtige Unterschiede; so sei die Interpretation weder durch eine echte Interaktion gekennzeichnet, noch werde im Rahmen einer Interpretation der Künstler selbst angesprochen. Den wichtigsten Unterschied sieht Nathan im Anschluss an R. Wollheim darin, dass Interpretationen ein konventionalisiertes Verfahren des »deep scrutiny« auszeichne: »a deep search for aesthetic qualities, good or bad, and typically an interest in seeking references to and comparison with other works« (290).
Eine wirkungsvolle Verteidigung des Anti-Intentionalismus muss Nathan zufolge die Konturen und Geschichte unserer Praxis des Umgangs mit Kunstwerken nachzeichnen. Vor diesem Hintergrund werden die Konventionen deutlich, an denen Interpretationen orientiert sind und sein sollten. Die ›Kunstwelt‹ erscheint vor diesem Hintergrund als relativ eigenständige Institution, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet: Die Eigenschaften von Kunstwerken werden nicht durch Kausalerklärungen erfasst; unsere Reaktionen auf fiktionale Darstellungen unterscheiden sich von unseren Reaktionen auf wirkliche Sachverhalte; an Kunstwerken interessieren vornehmlich ästhetisch oder künstlerisch bedeutende Eigenschaften; relevant sind nur bestimmte Typen relationaler Strukturen, die das Werk mit seiner Umwelt verbinden; entscheidend ist, dass Eigenschaften des Werkes betrachtet werden, als seien sie absichtsvoll/zweckmäßig eingerichtet (unabhängig davon, ob sie es tatsächlich sind).
Mit Steckers und Nathans Beiträgen liegen ebenso engagierte wie detaillierte Darstellungen zweier wichtiger zeitgenössischer interpretationstheoretischer Positionen vor. Der Band sucht zwischen diesen Positionen keinen harmonisierenden Ausgleich; vielmehr suchen beide Beiträger den Leser von ihrer jeweiligen Position argumentativ zu überzeugen.
3. Beurteilung
Kierans Band ist rundum empfehlenswert. Die Gegenüberstellung der Beiträge bietet dem Leser einen lebhaften Eindruck von der gegenwärtigen – kontroversen – Debattenlage innerhalb der analytischen Ästhetik. Für viele der Beiträger gilt, dass sie bereits an anderer Stelle ihre Auffassungen zum jeweils in Rede stehenden Problem vertreten haben; das tut der Nützlichkeit des Bandes jedoch keinen Abbruch: die fehlende Originalität einzelner Argumente wird durch den Einführungs- und Überblickcharakter des Bandes gewiss aufgewogen.
In welche Richtung entwickelt sich die analytische Ästhetik? Diese Frage kann nicht allgemein beantwortet werden; [2] anhand von Kierans Band lassen sich jedoch gewisse Trends erkennen:
Erstens kann die analytische Ästhetik nicht mit einer wie auch immer gearteten sprachanalytischen Ästhetik identifiziert werden. Die Beiträge verfolgen kein einheitliches Konzept der Begriffsanalyse; was sie vereint, ist vielmehr ein Interesse an Sachfragen. (In diesem Sinne kann man positiv finden, dass Beiträge etwa zur Definition des Kunstbegriffs im Band fehlen.)
Zweitens fällt das Interesse an Nachbardisziplinen und ihrer Forschung auf; insbesondere die Beiträge von Currie (Kap. 14) und Weinberg/Meskin (Kap. 15) zur Imagination sowie von Gendler/Kovakovich (Kap. 15) zu emotionalen Aspekten des Umgangs mit Fiktionen zeichnen sich durch ein starkes Interesse etwa an (kognitions-)psychologischen Forschungen aus.
Erfreulich ist drittens das durchweg hohe argumentative Niveau der Beiträge. Die analytische Ästhetik präsentiert sich als philosophische (Teil-)Disziplin, die am Ideal der rationalen Überzeugungsbildung interessiert ist und die Auffassung vertritt, dass sachbezogene Meinungen nur so gut sind wie die Gründe, die sie stützen.
Schade ist schließlich, dass den einzelnen Beiträgen keine Einleitung beigefügt ist. Die Themen des Bandes werden nur durch knappe Überschriften angezeigt; gerade für Einsteiger wären einleitende Bemerkungen zu den Beiträgern, ihren wichtigsten Thesen und argumentativen Differenzen hilfreich gewesen.
Anmerkungen
[1] Zu nennen sind etwa Berys Gaut (ed.), The Routledge Companion to Aesthetics, London 2001; Jerrold Levinson (ed.), The Oxford Handbook of Aesthetics, Oxford 2003; Alex Neill/Aaron Ridley (ed.), Arguing about Art. Contemporary Philosophical Debates, London 2002; der Band von Neill und Ridley bringt ebenfalls je zwei Beiträge zu einem Thema von Autoren, die unterschiedliche Positionen vertreten. [zurück]
[2] Zeitgemäße Darstellungen der analytischen Philosophie finden sich etwa in: Peter Bieri, Was bleibt von der analytischen Philosophie?, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 55 (2007), 333-344; Hans-Johann Glock, Could Anything be Wrong with Analytic Philosophy?, Grazer Philosophische Studien 74 (2007), 215-237. [zurück]
2008-06-30
JLTonline ISSN 1862-8990
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