Tom Kindt

»Partial Intentionalism«

Eine Studie zum Zusammenhang von Kunst, Autorschaft und Intentionen

Paisley Livingston, Art and Intention. A Philosophical Study. Oxford: Clarendon Press 2005. xiv, 252 S. (Preis: GBP 42,00). ISBN: 978-0-19-927806-0.

1. Einleitung

Nach einem Jahrhundert der oftmals grundsätzlichen Kritik hat der Intentionalismus in der angelsächsischen Ästhetik der letzten Jahre eine bemerkenswerte Rehabilitierung erfahren. Neben Autoren wie Noël Carroll, Gregory Currie, Jerrold Levinson und Robert Stecker ist dies nicht zuletzt dem in Hong Kong lehrenden Philosophen Paisley Livingston zu verdanken. In einer Reihe von Aufsätzen hat er seit den 1990er Jahren zu einer Klärung des Intentionskonzepts und seiner Bedeutung innerhalb der ästhetischen Kommunikation beigetragen, die deutlich gemacht hat, mit welcher Leichtfertigkeit die Frage nach Autoren und ihren Absichten in der Ästhetik, Kunsttheorie und Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts vernachlässigt worden ist. [1] In seiner 2005 erschienenen Untersuchung Art and Intention. A Philosophical Study fasst Livingston seine Überlegungen der zurückliegenden Jahre zusammen und führt sie zugleich in wichtigen Punkten einige Schritte weiter.

Von der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Intentionalismus in der neueren analytischen Ästhetik hebt sich Livingstons Monographie in zwei Hinsichten ab: Anders als in den meisten Beiträgen zur Debatte suchen die Kapitel des Bandes nicht allein zu klären, welche Rolle Intentionen im Rahmen von Interpretationen spielen sollten. Livingston geht es bei der Bestimmung der Relevanz und der potenziellen Funktionen von Intentionen um den Umgang mit Kunstwerken in einem weiten Sinne, um ihre Produktion, Rezeption und Evaluation. Darüber hinaus macht er sich in Art and Intention für eine Auffassung stark, die sich keiner der derzeit vorherrschenden Spielarten des ästhetischen Intentionalismus ohne weiteres zurechnen lässt, weder dem »actual intentionalism« im Sinne Carrolls oder Steckers noch dem »hypothetical intentionalism« in der Nachfolge Levinsons oder Curries. [2] Livingston vertritt einen Ansatz, den er selbst als »partial intentionalism« bezeichnet. Die Position, die sich hinter dieser Formel verbirgt, soll im Folgenden durch einige knappe Hinweise zu den sieben Kapiteln der Monographie verdeutlicht werden.

2. Inhalt

Im ersten Kapitel umreißt Livingston unter dem Titel »What are intentions?« die konzeptuelle Basis seiner Einlassungen (1-30). Im Anschluss an Alfred R. Mele tritt er für einen handlungstheoretisch fundierten Intentionsbegriff ein; Absichten fasst er als »executive attitudes« von Akteuren gegenüber Plänen, wobei die nähere Charakterisierung entsprechender Einstellungen über eine offene Liste der Funktionen erfolgt, die sie in Handlungszusammenhängen erfüllen (s. 14f.). In Kapitel 2 verdeutlicht Livingston die Vorzüge eines intentionalistischen Modells der Entstehung von Kunstwerken gegenüber konkurrierenden Theorien wie etwa den Auffassungen, künstlerische Artefakte seien das Resultat von Eingebungen oder reiner Regelanwendung (31-61). Ein entsprechender intentionalistischer Ansatz, so zeigt er, steht keineswegs im Konflikt mit der Beobachtung, dass spontanen Ideen in kreativen Prozessen oft große Bedeutung zukommt (s. 46f.).

Im dritten Kapitel entwickelt Livingston in Abgrenzung von Michel Foucault ein ›realistisches Konzept‹ des Autors (s. 69), vor dessen Hintergrund er verschiedene Typen ›kollektiver Autorschaft‹ (»multiple authorship«, »joint authorship«, »collaborative authorship«, etc.) vorstellt und miteinander vergleicht (62-90). Kapitel 4 untersucht den Zusammenhang zwischen Intentionen sowie Einzel- und Gesamtwerken von Autoren; in Auseinandersetzung mit Levinson schlägt Livingston vor, zwischen »short-term intentions« und »long-term plans« zu unterscheiden, und weist auf die Konsequenzen hin, die eine Berücksichtigung der Interaktion von Absichten und Plänen für die Rezeption von Kunstwerken haben kann (91-111). [3] Gegenstand des 5. Kapitels ist die vor allem in der analytischen Kunstphilosophie viel diskutierte Unterscheidung zwischen Text und Werk. Livingston verteidigt die Abgrenzung der beiden Begriffe voneinander, indem er eine Explikation für das Text-Konzept umreißt, die eine Art Mittelweg zwischen den gleichermaßen kontraintuitiven Varianten einer syntaktischen bzw. semantischen Text-Definition beschreitet. Eine einleuchtende Bestimmung beider Konzepte, so wird deutlich, ist ohne die Bezugnahme auf Intentionen nicht zu haben (112-134).

Das ›Herzstück‹ des Bandes ist das sechste Kapitel: »Intention and the Interpretation of Art« (135-174). Livingston arbeitet hier seinen Ansatz eines »partial intentionalism« im Vergleich mit verschiedenen prominenten intentionalistischen und anti-intentionalistischen Positionen heraus: »This view [partial intentionalism] allows that there are unintended meanings, and that some authorial intentions are not successfully realized, even when they are acted upon. Yet the artist’s intentions are partly constitutive of some of the work’s meanings, and thus are necessary to ›work meaning‹ taken globally« (142). Im siebten und letzten Abschnitt des Bandes (175-207) entwickelt Livingston Vorschläge zur Klärung der Begriffe »fiction« und »fictional truth«. Die Explikationsbemühungen zu beiden Begriffen knüpfen an vorliegende Bestimmungsversuche aus der neueren analytischen Kunstphilosophie an: Mit Blick auf das Konzept der »Fiktionalität« führt Livingston Überlegungen aus Curries The Nature of Fiction weiter (s. 184); [4] mit Blick auf die Kategorie der »fiktionalen Wahrheit« konzipiert er im Anschluss an Kendall Waltons Mimesis as Make-Believe eine »intentionalistische Heuristik«, an die man sich halten kann, wenn man herauszufinden versucht, was in der Welt eines fiktionalen Textes der Fall ist (s. 207). [5]

3. Fazit

Mit Art and Intention hat Livingston einen Beitrag zum Verhältnis von Kunst, Autorschaft und Intention vorgelegt, der Maßstäbe setzt. Die Kapitel des Buches, die sich auch als eigenständige Aufsätze lesen lassen, verbinden differenzierte Bestandsaufnahmen zu grundlegenden kunstphilosophischen Debatten mit mehr oder weniger elaborierten Vorschlägen zu deren Klärung. Dabei ist nicht zu übersehen, dass die Qualität der weiterführenden Reflexionen mitunter etwas hinter derjenigen der gründlichen Rekonstruktionen zurückbleibt. So fallen etwa Livingstons Ausführungen zum Zusammenhang von Intentionen und Interpretationen und damit zur Idee des »partial intentionalism« recht skizzenhaft aus, weil er sie mit Betrachtungen zu allzu vielen angrenzenden Problemen der Interpretationstheorie zu verknüpfen versucht. In den meisten Kapiteln allerdings gelangt Livingston vor dem Hintergrund seiner Analysen zu ebenso einleuchtenden wie anregenden eigenen Positionen, die in den weiteren Debatten um die behandelten Probleme unbedingt Beachtung verdienen. Beispielhaft sind in dieser Hinsicht etwa seine Hinweise zum Intentionskonzept, seine Vorschläge zum Begriff des Autors oder seine Erläuterungen zur Unterscheidung zwischen Text und Werk.

Livingstons Buch ist weit mehr als eine originelle Stellungnahme zum Streit um die Ausrichtung des Intentionalismus, der die ästhetischen Auseinandersetzungen im angelsächsischen Raum seit einigen Jahren prägt. Art and Intention ist ein grundlegender Beitrag zu Kunstphilosophie und Literaturwissenschaft, denn die Monographie lässt deutlich werden, dass eine sinnvolle Beschäftigung mit Kunstwerken, ihrer Entstehung, Auslegung und Bewertung, auf die Begriffe des Autors und der Intention angewiesen ist. »[I]n­tentions«, so bringt es Livingston selbst auf die Formel, »are an important part of the story« (113).

Anmerkungen

[1] Vgl. etwa Paisley Livingston/Alfred R. Mele, Intention and Literature, Stanford French Review 16 (1992), 173-196; dies., Intentions and Interpretations, MLN 107 (1992), 931-949; Paisley Livingston, Arguing over Intentions, Revue Internationale de Philosophie 198:4 (1996), 615-633, oder ders., Intentionalism in Aesthetics, NLH 29 (1998), 831-846. [zurück]

[2] Vgl. zu diesen beiden Positionen etwa Noël Carroll, Interpretation and Intention. The Debate between Hypothetical and Actual Intentionalism, Metaphilosophy 31 (2000), 76-95; Jerrold Levinson, Hypothetical Intentionalism. Statement, Objections, and Replies, in: Michael Krausz (ed.), Is There a Single Right Interpretation?, University Park, PA, 309-318; und Tom Kindt/Hans-Harald Müller, The Implied Author. Concept and Controversy, Berlin/New York 2006, 167-181. [zurück]

[3] Livingstons Bezugstext ist Jerrold Levinson, Work and Oeuvre, in: J. L., The Pleasures of Aesthetics. Philosophical Essays, Ithaca, NJ 1996, 242-274. [zurück]

[4] Vgl. Gregory Currie, What Is Fiction?, Journal of Aesthetics and Art Criticism 43:4 (1985), 385-392 und ders., The Nature of Fiction, Cambridge/New York 1990. [zurück]

[5] Vgl. Kendall L. Walton, Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts, Cambridge 1990. [zurück]

2008-03-13

JLTonline ISSN 1862-8990

Copyright © by the author. All rights reserved.

This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and JLTonline.

For other permission, please contact JLTonline.