Antonius Weixler
Produktion und Reproduktion sozialer Differenzen in Literatur und Film
Ander(e)s Erzählen. Intersektionale Konstruktionen von Differenz in Literatur und Film. Tagung des Zentrums für Erzählforschung (ZEF) der Bergischen Universität Wuppertal, 19. und 20. November 2010.
Die interdisziplinäre Tagung »Ander(e)s Erzählen. Intersektionale Konstruktionen von Differenz in Literatur und Film«, organisiert von Christian Klein (Wuppertal) und Falko Schnicke (Berlin), setzte sich zum Ziel, die Forschungsperspektiven der Narratologie und der Intersektionalität, also die Erforschung der Überschneidung von Diskriminierungen im Hinblick u.a. auf Klasse, Rasse und Sexualität einer Person, miteinander zu verbinden. Den Ausgangspunkt bildete die Einsicht, dass Geschlecht für die Untersuchung von Erzählungen mittlerweile eine konsolidierte Analysekategorie darstellt. Dieser Fokus auf das Geschlecht sollte unter dem Gesichtspunkt der Intersektionalität um strukturell verwandte Perspektiven und Kategorien wie soziale Schicht, Ethnizität, Religion, Sexualität, Region, Machtverhältnisse, Alter etc. erweitert werden. In der Intersektionalitätsforschung werden Imparitäten, Differenzen und Diskriminierungen nicht als isolierte Aspekte und Kategorien betrachtet, vielmehr werden die Verschränkungen und gegenseitigen Verstärkungen in der Konstruktion von Diskriminierungen und Ungleichheiten in den Blick genommen. [1] Die Erkenntnis, dass sich überschneidende, sich bedingende und wechselseitig miteinander verwobene Effekte von Differenzstiftungen auch für die Erzähltheorie und die Erzähltextanalyse neue Impulse liefern können, erweiterte auf der Tagung die Perspektive der Narratolgie. Gemeinsam war den meisten Beiträgen die Grundannahme, dass derartige Differenzsetzungen in Erzählungen nicht allein auftreten, sondern in je wechselnden Kombinationen spezifische Formen von Identität und Differenz produzieren. Für die Intersektionalitätsforschung wiederum erwies sich das Instrumentarium der Erzähltheorie als ausgesprochen vielversprechende Schärfung und Erweiterung der Methodik, da durch diese Herangehensweise ein differenzierter Einblick in die Konstruktion und Hervorbringung sozialer Imparität und Differenzen in erzählenden Texten ermöglicht wird.
In seiner Begrüßung erläuterte Christian Klein (Wuppertal), wie in der Zusammenführung erzähltheoretischer und intersektionaler Forschungsansätze die internationale Geschlechterforschung um zusätzliche Perspektiven erweitert werden kann. Der durch eine Klammer angedeutete Doppeltitel ›Anders Erzählen‹ und ›Anderes Erzählen‹ verweise dabei auf die beiden grundlegenden narratologischen Analyseebenen histoire und discours. Klein zeigte zu Beginn zentrale Fragestellungen einer intersektionalen Narratologie auf. So sei zu untersuchen, wie Erzählungen Differenzstiftungen reproduzierten oder überhaupt erst hervorbrächten. Intersektionalitätsforschung müsse, so Klein, aber auch über die Textanalyse, die Analyse der Handlung und der Motive hinausgehen und die Produktionsseite mit in den Blick nehmen. Geschichtliche Entwicklungen ebenso wie Rollenerwartungen an Gedicht-, Roman, oder Autobiografie-Produzenten würden erst in einer derartigen Perspektive erkennbar.
In einem zweiten Einführungsvortrag (»Theorie, Methode oder heuristisches Konzept? Grundfragen intersektionaler Forschung«) führte Falko Schnicke (Berlin) im Stile einer Problemgeschichte in die Intersektionalitätsforschung ein und stellte verschiedene Diskussionsfelder der gegenwärtigen Forschungsdiskussion heraus. In der Geschichtswissenschaft und Soziologie war der Zusammenhang von Geschlecht und Klasse schon in den 1980er Jahren präsent, international geprägt wurde der Begriff ›Intersektionalität‹ jedoch erst 1989 durch die amerikanische Rechtswissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Kimberlé Williams Crenshaw. In neueren Arbeiten ist zudem die Bezeichnung Interdependenzforschung als partielles Synonym für das Forschungsfeld der Intersektionalität hinzugekommen. Schnicke kritisierte in seinem Vortrag eine sprachliche Vermischung von Gegenstands- und Reflexionsebene in der Forschungsliteratur. So werde sowohl die Erforschung mehrfacher Imparitätslagen als auch die Ungleichheit selbst mit dem Label ›Intersektionalität‹ gekennzeichnet. Schnicke plädierte demgegenüber für eine semantische Trennung der Analyseebenen: Auf einer Ebene könne dann von intersektionaler Forschung gesprochen werden, auf einer anderen Analyseebene sei der Gegenstand dieser Forschung sodann die Intersektionalität von Identitäten und Machtpositionen. Zudem müssten, so Schnicke, das Konzept und der Status der Differenzkategorie problematisiert werden. Wurden die Kategorien lange Zeit als undynamisch angesehen, so plädieren etwa Katharina Walgenbach, Gabriele Dietze, Antje Hornscheid, Kerstin Palm u.a. dafür, die Kategorien ihrerseits nicht als unverrückbare Größen zu betrachten, weil ihrem Konstruktionscharakter bereits diverse Abhängigkeiten inhärent seien. Dem stellte Schnicke die Überlegung von Isabell Lorey und anderen gegenüber, ob es überhaupt sinnvoll sei, Kategorien als feste Analyseeinheiten heranzuziehen, oder ob man stattdessen nicht mit Konfliktsituationen in- und außerhalb der Kategorien arbeiten müsste. Wurden bisher die Überschneidungen zwischen verschiedenen Differenzkategorien untersucht, führt diese Überlegung von Lorey zu der Annahme, dass die einzelnen Kategorien selbst interdependent sind. Des Weiteren kritisierte Schnicke die Unbestimmtheit der Ansätze hinsichtlich ihrer Analysekategorien. Darüber hinaus sei die Fokussierung auf Weiblichkeiten auffallend, so dass zukünftig ein erweiterter Fokus auf Männlichkeiten angebracht erscheine, ohne erstere dabei zu vernachlässigen. Schließlich sei in der Forschung auch ein historisches Ungleichgewicht zugunsten gegenwärtiger Gesellschaftsstrukturen zu beanstanden. Abschließend wurde nochmals die Uneinheitlichkeit der Forschung, in der Intersektionalität sowohl als Theorie als auch als Methode und heuristisches Konzept verwendet und verstanden werde, kritisiert. Diese Disparatheit, so Schnicke, sei aber als Chance für eine interdisziplinäre Tagung zu verstehen.
Einen ersten Schwerpunkt bildete die Diskussion des Aspekts ›Differenz‹ in verschiedenen fiktionalen und faktualen Erzähltexten des 20. und 21. Jahrhunderts. Daniela Hrzán (Konstanz) stellte mit der Analyse von Toni Morrisons Recitatif einen literarischen Text vor, der vor der Etablierung der Intersektionalitätsforschung entstanden ist und für diese Diskussion einen wichtigen und spannenden Gegenstand darstellt. Der Text liefert keinerlei Anhaltspunkte bezüglich der Einordnung der Protagonistinnen im Hinblick auf die zentrale Kategorien-Trias race, class und gender. Morrisons Text spielt hierdurch mit den Erwartungen und Zuschreibungen der LeserInnen. In ihrem Vortrag »Spielarten der Intersektionalität: Toni Morrisons Recitatif als literarisch-kulturkritischer Beitrag zu den Debatten über Intersektionalität und Interdependenzen« stellte Hrzán damit die Konstruktion von Kategorien und Differenzachsen in Frage, die gerade der Ausgangspunkt für die Intersektionalitätsforschung sind. Vielmehr werde die Interdependenz der Kategorie race deutlich, die, da sie in der Kurzgeschichte von Morrison nie benannt wird, ausschließlich durch andere Kategorien erklärt werden kann. Es entstehe ein aufschlussreiches Wechselspiel zwischen einem Text, der keinerlei Differenzen konstruiert, und der Rezeption, die Kategorisierungen in diesen Text hineinträgt.
In ihrem Vortrag »›Worte des Fremden‹. Sprachdifferenz und diskursive Autorität in Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch« stellte Guilia Radaelli (Bielefeld) Differenzen auf der medialen Ebene zwischen Schriftlichkeit und inszenierter Mündlichkeit, auf der sprachlichen Ebene zwischen verschiedenen Formen der Übersetzung und des Fremdsprachengebrauchs sowie zwischen zentralen intersektionalen Kategorien wie Religion, Ethnizität, Geschlecht und Macht in Elias Canettis autobiografischem Text dar. Gerade das Genre der Reiseliteratur stelle die Frage nach dem Umgang mit dem Fremden sowie nach der narrativen Konstruktion kultureller Differenz. In den narratologischen Analysekategorien Sprache und Stimme durchkreuzen sich, so Radaelli, zentrale Differenzkategorien, so dass sich insbesondere an diesen Aspekten interdependente und erzähltheoretische Untersuchen anschließen lassen. Das Andere (Kultur, Stimme, Sprache, Geschlecht, Ethnizität) werde bei Canetti, bedingt durch die Erzähldisposition, zum Objekt des Erzählens.
In Erweiterung der bisherigen Forschungsliteratur zur Intersektionalität, in der vorwiegend kulturelle Prozesse und Machtstrukturen untersucht werden und das Individuum als Untersuchungskategorie außer Acht gelassen wird, führte Yvonne Delhey (Nijmegen) den Begriff der ›Identitätsnarrative‹ in die Diskussion ein. In der Überschneidung intersektionaler und erzähltheoretischer Aspekte wird ›Identitätsnarrativ‹ von Delhey als ein weiterführendes Synonym für Autobiografie verstanden. So setze Identität immer schon Differenz voraus und diese Spannung werde in Autobiografien, die vor allem der Selbstreflexion dienen, thematisiert. In ihrem Vortrag »Autobiografien als individuelles und politisches Bekenntnis – Zur Neubestimmung eines Genres in der interkulturellen Gesellschaft« untersuchte sie mit Necla Keleks Himmelsreise und Ayaan Hirsi Alis Ich bin eine Nomadin autobiografische Texte zweier Migrantinnen, die sich vor dem westeuropäischen, christlichen Hintergrund mit dem Islam und mit individueller Freiheit auseinandersetzen. Schon die Beobachtung, dass diese Texte im Buchhandel unter dem Label ›Schicksale‹ verkauft werden, sei ein Hinweis darauf, dass diese Texte deutlich anders rezipiert werden (sollen) als vergleichbare autobiografische Erzählungen von Männern. Mit der Begrifflichkeit der Identitätsnarrative gelang es Delhey, einen konstruktiven Begriff von Differenz zu entwickeln. In den beiden Beispieltexten erkannte Delhey zwei Konstruktionen des autobiografischen Ichs als Gegenposition zu herkömmlicher, intersektionaler Weiblichkeit. Die Beispiele verdeutlichen die Wirkungsmacht rezeptionslenkender Kategorisierungen des Buchhandels: Durch paratextuelle Kontextualisierung wird Frauen in diesen autobiografischen Texten ein Objektstatus eingeschrieben, während Männer gewöhnlich Subjekt und aktiver Handlungsträger ihrer biografischen Erzählung bleiben.
In einem zweiten Panel wurden auf der Tagung unterschiedliche Spielarten visuellen und audiovisuellen Erzählens thematisiert. Thorsten Beigel (Wuppertal) stellte in seinem Vortrag »Weibische Perser – männliche Griechen?! Zur Konstruktion eines antiken Barbarenbildes und seiner Rezeption im Antiken-Film« antike und zeitgenössische Darstellungen ethnischer Differenzen einander gegenüber. Im ersten Teil des Vortrags wurden Darstellungen von Körper, Sexualität und Geschlecht in Bezug auf Ethnie im 4. und 5. Jahrhundert v.Chr. vorgestellt. Eine griechische Identität entstand erst durch eine Bedrohung von Außen, was anschließend die Konstruktion des Barbaren-Bildes durch die Griechen zur Folge hatte. Auf die Perser ließ sich der Barbaren-Begriff nicht direkt übertragen, da diese von den Griechen als mindestens ebenbürtige Hochkultur akzeptiert wurden. Die neutrale Darstellung der Perser in Aischylos‘ Geschichte der Schlacht von Salamis, in der keine grundsätzliche Überlegenheit der Griechen postuliert werde, sei denn auch überraschend. Beigel konnte aber mit einer anderen Quellengattung, bildlichen Darstellungen auf antiken Vasen, erläutern, dass es zu jener Zeit auch eine deutlich andere Darstellungskonvention gab. Auf manchen Vasen sind die Griechen in heroischer Nacktheit, was militärische Fähigkeiten symbolisiert, dargestellt. Die Perser hingegen zeigen die Vasen in Ganzkörperanzügen und in Niederlagenposen. In einem zweiten Teil des Vortrags legte Beigel dar, wie in Hollywood-Filmen der letzten zehn Jahre in der Darstellung nackter, heroischer Spartaner auf der einen Seite und verweichlichter, weiblich geschminkter Perser auf der anderen Seite Darstellungskonventionen antiker heroischer Männlichkeit aufgegriffen und im Zusammenspiel mit modernen Stereotypen zu einem »höchst problematischen ›neuen‹ Barbarbenbild« vermengt werden.
Mechthild Bereswill (Kassel) untersuchte in ihrem Vortrag »Differenz als produktive[n] Dauerkonflikt. Narrationsmuster in der Serie Kriminaldauerdienst (KDD)«. Die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete ZDF-Serie entwickele eine ungewöhnlich differenzierte Darstellung der zentralen Intersektionalitäts-Kategorien, zum Beispiel in komplexen Opfer-Täter-Verhältnissen. Der vielschichtigen und collage-förmigen Struktur auf der discours-Ebene der Erzählung entspreche, so Bereswill, auf der histoire-Ebene die explizite Thematisierung und Inszenierung von Differenz. Sämtliche Protagonisten figurierten als wechselnde Ausformungen von Differenz, zudem überlagerten sich die Dimensionen der Differenz beständig sowohl innerhalb als auch zwischen den Figuren. Für Bereswill ensteht im KDD ein Spiel mit den Grenzen der Differenz. Im Hinblick auf die gegenwärtige Intersektionalitäts-Diskussion stellte Bereswill ein Zugleich von Beharrungsvermögen und Grenzverschiebungen gesellschaftlicher Ungleichheiten fest.
Sandra Heinen (Frankfurt/Main) wendete sich in ihrem Vortrag »Das Subjekt am Schnittpunkt sozialer Konstitutionsbedingungen: Reale und imaginierte Intersektionalität in narrativen Gedichten der englischen Romantik« Textbeispielen aus dem 18. Jahrhundert zu, um einerseits eine Zeit großer gesellschaftlicher Ungleichheiten zu beleuchten und andererseits den methodischen Vorteil einer historischen Perspektive auf Intersektionalität zu erläutern. Heinen stellte die Texte zweier Dichterinnen ins Zentrum, die jeweils doppelt maginalisiert wurden. Anna Laetitia Barbauld wurde als Beispiel einer Interdependenz zwischen Geschlecht und Religion angeführt. Als dissenter und Frau war ihr der Zugang zur Universität doppelt verwehrt, jedoch löste sich in Barbaulds Fall diese doppelte Diskriminierung gegenseitig auf. Nur weil sie als Frau von der höheren Bildung ausgeschlossen wurde, durfte sie als Frau auf eine dissenter-Universität gehen. Mit Ann Yearsley präsentierte Heinen eine Dichterin als Beispiel für eine Interdependenz zwischen Geschlecht und Klasse. Auch bei Yearsley wird die Diskriminierung nicht verdoppelt, vielmehr entsteht eine komplexe Interferenz. Frauen der Mittelschicht waren im 18. Jahrhundert auf die Privatwelt beschränkt, Frauen der Unterschicht hingegen mussten für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Daher wurde Yearsley als dichtende Arbeiterin und arbeitende Dichterin akzeptiert; aufgrund der romantischen Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Naturhaftigkeit und Volkstümlichkeit wurde der Zusatz ›Milkwomen from Bristol‹ sogar zu einem Marketingvorteil für Yearsley. Bezüglich der Intersektionalitätsforschung resümierte Heinen jedoch, dass trotz der Möglichkeit der gegenseitigen Auflösung von Diskriminierungen die Dichterinnen nicht den weiblichen Rollenzuschreibungen entkommen konnten.
Im abschließenden Panel präsentierten Florian Schmid (Hamburg) und Beatrice Michaelis (Gießen) zwei Intersektionalitätsanalysen mittelalterlicher Literatur. Schmid wendete sich in seinem Vortrag »(De-)Konstruktion von Identität und Rolle als Bewältigungsstrategie in der Nibelungenklage« der in den meisten Handschriften dem Nibelungenlied angeschlossenen Nibelungenklage zu, in dem die Toten beklagt und bestattet werden und eine Reflexion der Kämpfe des Liedes stattfindet. Die Klage ist geprägt von einer Diskussion um Identität und Differenz des Rollenbewusstseins bezüglich Religiösität, Geschlecht, Ethnizität und Schicht, beispielsweise über das ›unerhörte‹ Ereignis, dass Kriemhild als Frau einen Helden (Hagen) tötete. Schmid stellte zunächst einige zentrale Merkmale der mittelalterlichen Literatur dar. Demnach seien Trauerdarstellungen von starker Formelhaftigkeit geprägt, im Hochmittelalter werde Trauer meist als Kollektivtrauer präsentiert. Zudem sei Identität zu dieser Zeit keine Frage der Individualität, sondern der Rollen- und Gruppenzugehörigkeit. Trauer wird, so Schmid, als Nivellierung des Status‘ wie der Rollen- und Klassenzugehörigkeit präsentiert. Allerdings sind geschlechtsspezifische Formen des Trauerns zu beobachten. Klagen und Trauern dekonstruiere und nivelliere Identitäten und Gesellschaftshierarchien, um sie anschließend wieder zu rekonstruieren und zu bestätigen. In der Bestätigung der gesellschaftlichen Ordnung werde diese als natürliche Ordnung inszeniert.
Beatrice Michaelis (»Riesiges Begehren – Versuch einer historisch-interdependenten narratologischen Analyse der Galahot-Lancelot-Freundschaft im Prosalancelot«) untersuchte die Figurenkonstellation und die Freundschaft zwischen dem Ritter Galahot, dem Sohn einer Riesin, und Lancelot vom See als Relationalität von Identität bezüglich der Differenzkategorien Ethnizität, Sexualität und Stand. Ziel des Vortrags war es, ein queeres, interdependentes Korrektiv der narratologischen Analysekategorien zu entwickeln. Als Fazit bezeichnete Michaelis die historisch-interdependente narratologische Analyse selbst als einen scheiternden Versuch; ein Scheitern jedoch, das die Binarismen der Geschlechts-Identitäten der Figuren zu dekonstruieren und zu analysieren vermöge.
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Auf der Tagung »Ander(e)s Erzählen. Intersektionale Konstruktionen von Differenz in Literatur und Film« wurde ein vielfältiges Spektrum von Epochen, Gattungen und Disziplinen unter den Fragestellungen von Intersektionalität und Erzähltheorie zusammengeführt. Als Resümee lässt sich festhalten, dass die Kategorie Geschlecht der zentrale Bezugspunkt für die Analyse von Differenzierungen und Diskriminierungen darstellt und von diesem neuralgischen Punkt aus Interferenzen und Interdependenzen mit weiteren Differenzkategorien analysiert werden. In der Intersektionalitätsforschung ist also ein prägnanter gender-bias zu konstatieren.
Die Verknüpfung narratologischer und intersektionaler Methodik erweist sich für die Erforschung von Differenz und Imparität als äußerst fruchtbar. So lässt sich die Intersektionalitätsforschung um die Analyseperspektive der Rezipientenseite erweitern und es kann untersucht werden, wie die Text-Leser-Interaktion durch den Text evoziert und gesteuert wird. Hrzán beispielsweise lieferte in ihrem Vortrag eine Analyse eines Textes, in den Differenzen erst durch die LeserInnen in der Rezeption hineingetragen werden, während in den von Heinen untersuchten Romanen Paratexte die Text-Leser-Interaktion steuern. Die Analyseperspektive der Rezipientenseite kann somit verdeutlichen, wie Kategorien und Differenzen erzeugt und konstruiert werden. Diese Kategorien und Differenzen wiederum strukturieren die Wahrnehmung der (dargestellten) Welt. Als weitere Gemeinsamkeit nahezu aller Vorträge wurde eine Interferenz und Interdependenz zwischen den klassischen intersektionalen Differenzkategorien und der erzähltheoretischen Analysekategorie Raum deutlich. So spiegeln sich etwa die Konstruktionen von Differenz und sozialer Imparität in den von Radaelli und Bereswill untersuchten Beispielen mit spezifischen räumlichen Verortungen: In Canettis Erzähltext können Stimmen Mauern überwinden, während die Sprecherinnen ihre Wohnräume nicht verlassen dürfen. In der KDD-Serie wohnt ein Protagonist neben den Büroräumen, was eine Überschneidung von Privatem und Beruflichem und daran anschließenden weiteren Überlagerungen verschiedener Dimensionen der Differenz erst entstehen lässt. Darüber hinaus wurde deutlich, dass Intersektionalität genre- und gattungsspezifisch untersucht werden muss, da in bestimmten Gattungen – zum Beispiel Reiseliteratur (Radaelli), Autbiografie (Delhey) oder Krimis (Bereswill) die Thematisierung von Differenz offensichtlich je anders ausgeprägt ist. Schließlich wurde bei der Abschlussdiskussion eine weitere Perspektivenerweiterung angeregt, damit sich Intersektionalität nicht ausschließlich als Diskriminierungsforschung darstellt, sondern auch die Konstruktion von Privilegien in den Blick nimmt.
Bergische Universität Wuppertal
Anmerkungen
[1] Vgl. Regina Becker-Schmidt, »Class«, »gender«, »ethnicity«, »race«: Logiken der Differenzsetzung, Verschränkungen von Ungleichheitslagen und gesellschaftliche Strukturierung, in: Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp/Birgit Sauer (Hg.), Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt a. M. u.a. 2007, 56-83. [zurück]
2011-03-07
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