Torsten Voß

Auch Kalliope schreibt Geschichte, oder:

Von neuen Dialogen zweier Disziplinen

Text, Literatur, Geschichte. Perspektiven für das 21. Jahrhundert. »Literatur/Geschichte«, 11.–13. November 2010, Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld.

1. Vorab – Problematik und Ausgangslage

»Auch Kalliope schreibt Geschichte« – Mit dem Titel wird Bezug genommen auf die von Hayden White vertretene Auffassung, wonach Geschichtsschreibung narrativ angelegt sei und sich bestimmter Tropen bediene, um wirkungsvolle historische Aussagen zu machen (Stichwort: ›Auch Klio dichtet‹). Whites Verständnis geschichtswissenschaftlicher und hagiographischer Textproduktion wird mit diesem Wortspiel umgedreht. Der Verweis auf die Muse der Dichtkunst bezieht sich auf Rolle, Funktion und Verfahrensweisen der Literatur als Vermittlerin von Geschichte für einen mehr oder weniger großen Rezipientenkreis. Was auf den ersten Blick – unter anderem hinsichtlich des Historiendramas – naheliegen mag, ermöglicht auf den zweiten Blick eine lange Zeit unterschätzte (und daher auch kaum theoretisch reflektierte) Annäherung von Literatur- und Geschichtswissenschaft. Zu denken ist beispielsweise an die epistemologischen Grundlagen beider Disziplinen. Auch im Hinblick auf die fachspezifischen Formen der Quellenarbeit und die jeweiligen Verfahren der Geschichtsschreibung könnte ein stärkerer Austausch fruchtbar sein. Zu fragen wäre also: Was wird durch diese Annäherung erreicht? Welche Vorstellungen von Geschichte und Narration liegen zu Grunde? Was bedeutet das für die literatur- und geschichtswissenschaftliche Arbeit? Wie ist diese zu vollziehen, das heißt: Welche Textkorpora, Erkenntnisinteressen und Fragestellungen sollten diesbezüglich im Vordergrund stehen? Um diese Fragen ging es bei der fächerübergreifenden Konferenz Literatur/Geschichte, die vom 11. November bis zum 13. November 2010 unter der Leitung von Walter Erhart (Bielefeld), Gangolf Hübinger (Frankfurt an der Oder) und Peter Jelavich (Baltimore) im Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung stattfand.

2. Tagungskonzept und -struktur

Die Tagung stellte den ersten Teil des umfangreichen Forschungsprojektes Text, Literatur, Geschichte – Perspektiven für das 21. Jahrhundert (2010–2012) dar, welches sich – in Verbindung mit der seit 2010 in Bielefeld entstehenden und programmatisch neu ausgerichteten Zeitschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) – mit den veränderten theoretischen, methodologischen und interdisziplinären Grundlagen sowie den künftigen Zielen und Aufgaben der Historisch-Philologischen Wissenschaften auseinandersetzen möchte. Im Mittelpunkt von Projekt und Zeitschrift, deren Herausgeberschaft auch auf der Tagung vertreten war, stehen das Verhältnis der Literaturwissenschaften zu den Geschichts- und Sozialwissenschaften und die seit langem nicht ausgeschöpften Austauschbeziehungen zwischen den Philologien und der Geschichtswissenschaft. Dabei sollen nicht nur die bereits erwähnten basalen theoretischen Voraussetzungen Beachtung finden, sondern auch die gemeinsamen und unterschiedlichen Konzepte und die gesellschaftlich-kulturellen Funktionen sämtlicher historischer Textwissenschaften. Die Tagung selbst beschäftigte sich im interdisziplinären Gespräch mit führenden Fachvertretern mit vier gegenwärtig viel diskutierten Feldern der historiographischen Grundlagenforschung: der Rolle des Erzählers und der Textualität, der Konstruktion historischer Prozesse, der disziplinär differenzierten Wissens- und Erkenntnisformen sowie der Praktiken und Funktionen historischer und literarischer Geschichtsschreibung.

Das gesamte Tagungsvorhaben gliederte sich in übergeordnete und konzeptionelle Überlegungen auf der einen Seite und theoriegeleitete Beiträge auf der anderen Seite. Einem Großteil der Vorträge waren Kommentare von Co-Speakern beigefügt, die damit einen direkten Beitrag leisten konnten zur fachspezifischen Problematisierung und Ausweitung der Kernreferate. Sie ermöglichten damit auch einen Gesamtzusammenhang der Beiträge untereinander.

3. Tagungsverlauf und Sichtung der Ergebnisse

Die erste Sektion, »Erzählen/Linguistic Turn/Literarische Geschichtsschreibung«, nahm unter der Moderation von Ingrid Gilcher-Holtey (Bielefeld) und Walter Erhart (Bielefeld) zur Bestimmung der Ausgangslage bereits den ersten Tag ein. In seiner Einführung erläuterte Walter Erhart das Ausgangsmotiv der Tagung und der Neukonzeptionierung von IASL. So könne von beiden die Geschichte der (wenigen) bisherigen institutionellen Berührungspunkte von Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft untersucht werden. Eine interdisziplinär zu betreibende Wissenschaftsgeschichte, die sich als Nachfolgerin der Sozialgeschichte verstehe, sei daher für beide Fachrichtungen von Interesse, da sie die Routine des »freundlichen Nebeneinander« der Disziplinen und ihrer fehlenden reziproken Einflussnahme zu beenden vermöge. Dem gegenüber wären Geschichts- und Literaturwissenschaft stärker in ein Interaktionsverhältnis zu bringen, auch unter Berücksichtigung der bisherigen wissenschaftshistorischen Beziehung der Fachrichtungen untereinander. Die ästhetische und anthropologische Dimension der Erfahrung von Zeit könne dabei ebenso berücksichtigt werden wie die literarische Geschichtsschreibung im Verhältnis von Fiktion und Narration.

Auf diese Empfehlungen reagierte der Geschichtstheoretiker Jörn Rüsen (Essen) mit seinem Beitrag »Topik und Methodik: Narrative Struktur und rationale Methode in der Geschichtswissenschaft«, indem er sich dem fast schon mythisch und dogmatisch gewordenen Fundamentaleindruck einer Ambivalenz im Verhältnis von Literatur- und Geschichtsschreibung verweigerte und stattdessen auf Hayden Whites Entwurf einer ›Metahistory‹ verwies, die sich der Beziehung von Interpretation und Repräsentation bereits angenommen habe. Zu Rankes Konzept von ›Geschichte als Wissenschaft‹, also Wissenschaft durch Methode (Heuristik – Kritik – Interpretation) komme eine narrativistische Wende hinzu, welche die Besonderheit historischen Denkens als wissenschaftsfähig veranschauliche und die Differenz zu naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnen betone, gemäß der Formel ›Erklären vs. Verstehen‹ im Sinne Wilhelm Diltheys. Nach Rüsen lassen sich diese Überlegungen mit Arthur C. Dantos Einschätzung verknüpfen, dass das Erzählen der Geschichte als ein Modus des Erklärens zu begreifen sei. Insofern gehen Interpretation und Repräsentation ineinander über. Die methodologische Differenz liege daher nicht so sehr im Erkenntnisinteresse, sondern vielmehr in den diesen wissenschaftlichen Disziplinen zu Grunde liegenden kommunikativen Strukturen. In beiden Bereichen fange Wissenschaft dort an, wo aus Metaphern Begriffe werden, die wiederum zur Interpretation von Geschichte herangezogen werden können. Diese Grundbedingung subsumierte Rüsen den Geisteswissenschaften im Ganzen. Zu fragen sei allerdings, wie nach dem ›Ende der großen Erzählungen‹ (Lyotard) und hinsichtlich der Vielfalt und Differenz der Kulturen, auch im Kontext der Globalisierungserfahrung, von Geschichte gesprochen werden könne. Rüsen empfahl die Auflösung des Widerspruchs zwischen Ästhetik und Kognition. Dementsprechend können Erkenntnisse auch über die Modi der Darstellung innerhalb der Geschichtsschreibung erfolgen, bzw. diese anleiten. ›Historische Wahrheit‹ werde dadurch zum Inbegriff der Gesichtspunkte, welche die Begründungsfähigkeit historischer Sinnbildung bestimmen.

In ihrem Kommentar zu Rüsens Vortrag benannte Angelika Epple (Bielefeld) als wesentliches Ziel die Überwindung des Dualismus von Forschung und Darstellung und kam zu dem Schluss, dass interpretative Aussagen in Geschichtswissenschaft und Philologie bereits wissenschaftlichen Standards genügen, da sie auf Plausibilitätserklärungen und Argumentationsstrukturen angewiesen seien. Repräsentation und Interpretation schlössen einander nicht aus, sondern fielen über Topik zusammen, da beide einen narrativen Charakter aufwiesen und Geschichte selbst – laut Danto – nur über Narration zugänglich sei. Darüber hinaus sei allerdings der Rankesche Wahrheitsbegriff zu relativieren und mit Michel Foucault als ein Machtbegriff zu verstehen.

Der Kultur- und Mentalitätshistoriker Peter Schöttler (Paris) beschäftigte sich in seinem Beitrag »Nach der Angst. Was könnte bleiben vom linguistic turn?« mit diesem signifikanten Paradigmenwechsel in den Geistes- und Kulturwissenschaften. In seinem wissenschaftshistorischen Abriss bemerkte er: Das Auseinanderdriften der Disziplinen wurde mit der poststrukturalistischen Betonung von Rhetorik, Poetik, Performanz und Darstellung beinahe automatisch zu einer Verweigerung von Realität, Epistemologie und Substanz, unter anderem in der eher pejorativen Auseinandersetzung der Bielefelder-Historiker-Schule mit den postmodernen Theorie-Angeboten. Nicht ohne geschickte essayistische Polemik brachte Schöttler die Durchsetzungsfähigkeit von Sozial- und Kulturwissenschaft mit der Beschreibung postmoderner Bedrohung durch das Dreigestirn Wehler, Rüsen und Kocka in Verbindung. Dieser allgemeine Vorbehalt gegenüber dem Poststrukturalismus setze sich zusammen aus einer diffusen Angst vor Irrationalität, vor Kompetenz- und Hegemonieverlust und vor Literatur und Subjektivität. Für die sozialwissenschaftlich argumentierende Geschichtswissenschaft existiere nach Schöttler also die philosophische Bedrohung durch den neuen Irrationalismus, die politische Bedrohung durch Agitation als Wissenschaft, was sich vor allem in der pejorativen Rezeption Foucaults durch Teile der früheren Bielefelder Sozialgeschichte zeige, sowie die wissenschaftliche Bedrohung für die epistemologischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft durch die Diskursanalyse. Die sich daraus ergebenden Ressentiments gegenüber neuen Theorieangeboten korrespondieren nach Schöttler mit einem befürchteten Bedeutungs- und Sinnverlust von Seiten der orthodoxen Historie. Schöttler machte daher in seinem Beitrag derlei Grabenkämpfe und Positionsabsicherungen für die disziplinäre Dichotomie verantwortlich und forderte stattdessen eine alternative Betrachtung der nach dem linguistic turn aufkommenden Diskurs- und Sprachanalyse, die er auch als Fortführung der frühen Annales-Schule wertete. Hier erinnerte Schöttler daran, dass auch schon Marc Bloch und Lucien Febvre Dialekte untersucht hatten. Am Ende können ein wissenschaftlicher Relativismus (philosophische Dimension) und Anti-Etatismus (politische Dimension) und eine Diskursanalyse (wissenschaftliche Dimension) in all ihren Facetten stehen.

Dazu äußerte sich auch Peter Jelavich (Baltimore) in seinem Kommentar, indem er auf die wenig differenzierte Rezeption von Foucault in Deutschland aufmerksam machte, vor allem durch Kulturanthropologie und Alltagsgeschichte. Eine Gegenposition habe Lawrence Stone in seinem Aufsatz »The Revival of Narrative« (1979) eingenommen, in dem er eine deutliche Kritik am postmodernen Paradigma ›Geschichte ist nur Text‹ und der damit verbundenen Entsubstantialisierung von Historie formuliert habe.

Wolfgang Struck (Erfurt) verwies dagegen in seinem Zweit-Kommentar auf aktuelle Wenden in der Geschichtswissenschaft, die Reflexionen über ihre eigenen Darstellungsparameter und die textuelle Verfasstheit von Geschichte zum Gegenstand haben. Er betrachtete vor diesem Hintergrund die im Zuge des linguistic turn veränderten Materialien und Archive des Historikers und die Sichtweisen darauf. Mittlerweile seien auch Comics oder Filme als Quellen anerkannt. Geschichte könne, so Struck weiter, als Imagination von Vorstellungsinhalten begriffen werden. Anhand von Jonathan Littells Roman Die Wohlgesinnten (frz. 2006, dt. 2007) und des dort beschriebenen Bewusstseinsstroms des SS-Offiziers Maximilian Aue verdeutlichte Struck, dass sich aus der Sprachanalyse auch neue Erkenntnisse für den Historiker ergeben. Vorträge und Kommentare ergaben also – bei allen Vorbehalten –, dass durch den linguistic turn eine Annäherung von Philologie und Geschichtswissenschaft erreicht werden könne und bestätigten auch die Einschätzung Rüsens, dass bei der Produktion und Rezeption von Historiographie neben der kognitiven Seite auch über die ästhetischen Modalitäten Erkenntnisse erzielten werden könnten.

Aus germanistischem Blickwinkel untersuchte Inka Mülder-Bach (München) in ihrem Referat »Der ›Weg der Geschichte‹: Geschichtsschreibung im Mann ohne Eigenschaften« Musils unabgeschlossenen Jahrhundert-Roman als Reflexion eines zeithistorischen Panoramas. Der Roman mit seinen anti-narrativen Strukturen werde zum Zeitdokument, indem er zeitgenössischen Denkweisen und Erfahrungsmöglichkeiten sprachliche und formale Darstellungsparameter anbiete und letztendlich in seinem Totalitätsanspruch, eine Welt abzubilden oder zu erfassen, scheitere, was schon Georg Lukács in seiner Theorie des Romans als Kennzeichen dieser Gattung definiert habe. Was Musil in seinem Essay »Das hilflose Europa« ›lebendige Geschichte‹ nennt, werde laut Inga Mülder-Bach im Mann ohne Eigenschaften erreicht. Vermittelt wird »ein Geschehen, das sich nach Beobachtung in der historischen Distanz verflüchtigt und für die zeitgenössischen Akteure unerkennbar ist«. Insofern transportiere der Roman ein sich der Kontingenz bewusst werdendes Geschichtsverständnis und werde allein schon aufgrund seiner Anlage als Essay, Analyse und komplexer Narration, die sich allesamt auch gegenseitig durchmischen, zu einem interdisziplinär einschlägigen Dokument und habe dadurch vielleicht damals schon mehr geleistet, als es die aktuelle Fachdiskussion zurzeit vermöge: nämlich eine Verschiebung und Vermengung differenter Beschreibungs- und Erkenntnismodi.

Mit den pikturalen Artikulationsmöglichkeiten von Geschichte durch intermediale Organisationsprozesse setzte sich Wilhelm Voßkamp (Köln) in seinem Vortrag »Emblematik der Geschichte. Alexander Kluges literarische und filmische Geschichtsschreibung« auseinander und machte an der emblematischen Struktur der Erzählweisen Kluges vor allem denarrative Verfahren von Geschichtsschreibung deutlich. Durch die Betrachtung von Kluges Film Die Patriotin (D 1977) wurde die Aufgabe des Mediums Film ersichtlich, einen produktiven Dialog mit der jüngeren deutschen Geschichte zu führen. Der Bruch mit linearer Narrativik ermögliche eine im Vergleich zur mimetisch orientierten Erzählung genauere Wahrnehmung der Realität. Der Wechsel von synchronem und diachronem Erzählen diene der Erzeugung von Aufmerksamkeit. Kluges Emblematik setze zwar in der filmisch inszenierten Gestalt des ›sprechenden Knies‹ in der Patriotin das mimetische Element des Realismus außer Kraft, verweise jedoch in seiner funktionalen (und anatomisch-körperlichen) Tradition auf die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart innerhalb des Gesamtkorpus Geschichte und beschreibe deshalb auch sinnbildlich bzw. allegorisch die Funktionsweisen von Geschichtsvermittlung. Insofern fordere Kluge mit seiner intermedialen Ästhetik und ihren emblematischen Strukturen für die Analyse und Interpretation des Films die Überwindung disziplinärer Differenzen, wie sie lange von den Fachwissenschaften gepflegt wurden.

Barbara Beßlich (Heidelberg) unterstrich in ihrem Kommentar die Kernaussagen von Voßkamps Vortrag und betrachtete auch den avantgardistischen Charakter von Kluges emblematischen Verfahren, die auf der einen Seite eine Dehierarchisierung der Künste bewirken und auf der anderen Seite eine markante Nähe zu bricolage-Verfahren aufweisen, welche sich beispielsweise auch in W. G. Sebalds literarischem Umgang mit Geschichte aufspüren ließen. Die aufgrund der spezifischen Kommunikationsformen der Literatur möglich werdende Vermittlung und Rezeption von Geschichte rückte nicht nur ins Zentrum von Barbara Beßlichs Stellungnahme, sondern gestaltete sich auch zu einer der wesentlichen Fragestellungen der Tagung.

Barbara Picht (Frankfurt an der Oder) ergänzte aus historiographischer Sicht in ihrem Statement »Wie literarisch arbeitet der Historiker, wie historisch der Romancier? Kriegsbilder?« die vorherigen literaturwissenschaftlichen Beiträge durch Überlegungen zum Stellenwert der diskutierten Texte und Medien als Quellen. Unter Hinzunahme von Alfred Anderschs Roman Winterspelt (1974), der den fiktiven Kapitulationsplan eines gewissen Majors Dinslake während der Ardennenoffensive im Dezember 1944 zum Gegenstand hat, machte sie deutlich, inwieweit literarische Erzählungen bestimmte Möglichkeiten von Geschichte durchspielen können. Über solche Verfahren der – vor allem in der amerikanischen Forschung bereits fest etablierten – counterfactual history ließen sich Ursachen für historische Verläufe plastischer erfassen. Die über die Vermittlerrolle der Literatur wieder möglich gewordene und von der Strukturgeschichte oft verdrängte Berücksichtigung von Einzelfiguren ermögliche es, über sogenannte individuelle Geschichten oder (fiktive) Einzelerfahrungen Geschichte begreifbar zu machen.

Der zweite Konferenztag war in mehrere Sektionen untergliedert. Die am ersten Tag vorgestellten Grundlagenpositionen und ihre Diskussion wurden auf einzelne Disziplinen bezogen. Der Literaturwissenschaftler und IASL-Mitherausgeber Christian Begemann (München) führte in die Sektion »Kulturwissenschaft« ein und beleuchtete die Problematik einer transdisziplinären Fachrichtung, in der sich zwar die verschiedensten Geisteswissenschaften zusammenfinden könnten, aber dabei auch unter Profilverlust zu leiden hätten, was sich für den fächerübergreifenden, vom jeweils eigenen Fachprofil mit zu gestaltenden Austausch als hinderlich erweisen könne.

Silvia Serena Tschopp (Augsburg) beschrieb in ihrem Vortrag »Kulturwissenschaft versus Kulturwissenschaften« die Kulturwissenschaft als wesentliches Paradigma des postideologischen Zeitalters und der Bologna-Epoche und stellte damit einen Zusammenhang her zwischen dem anything goes des cultural turn und der durch den Bologna-Prozess ausgelösten Bildungsreform der Studiengänge. Beides kulminiere in einer Neuausrichtung der Disziplinen und weise eine deutliche Affinität zum Pragmatismus auf. Die sogenannte ›Hermeneutik der Kultur‹ im Sinne Clifford Geertz‘ oder die Ethno-Anthropologie Victor Turners und ihre universal gedachte Applizierbarkeit auf sozio-kulturelle Phänomene berücksichtigend, diagnostizierte Tschopp die (oft von Fachvertretern geforderte) Auflösung stringenter Fachprofile und akzentuiert abgesteckter Untersuchungsgegenstände bei gleichzeitigem Fehlen eines konsensfähigen Theoriekonzepts. Der cultural turn artikuliere sich nach Tschopp als ein angestrengter Paradigmenwechsel, jedoch ohne die strukturellen Voraussetzungen wissenschaftlicher Revolutionen gemäß Thomas S. Kuhn zu erfüllen und dementsprechend mehr als nur politisch-ideologisch motiviert zu sein. Für die Interessen einer Zeitschrift wie IASL bedeute die kulturalistische Wende die Neubewertung von Status und Rolle des Schriftstellers, die stärkere Berücksichtigung von Kommunikationssystemen und die Ablösung von Gesellschaft durch Kultur als diskursivem Rahmen für die Beschäftigung mit Literatur. Durch eine stärkere Berücksichtigung von Praktiken der Bedeutungsstiftung durch Literatur ließen sich zudem traditionelle germanistische Parameter in ihren globalen Zusammenhängen transparent machen.

Der Germanist und Aufklärungsforscher Daniel Fulda (Halle) entgegnete zur kritischen Betrachtung des cultural turn in seinem Statement »Kulturmuster. Umrisse eines Forschungsvorhabens in den Text- und Sozialwissenschaften«, dass Narrativität und Textualität als Kulturträger oder Kulturproduzenten inzwischen auch zum Selbstverständnis der Historiker gehören. Die Aufgabe der Kulturwissenschaften sei es, mentale Muster der Bedeutungsbildung vorzuschlagen, also ›Kulturmuster‹. Die Verknüpfung und Vermittlung von Sozial- und Symbolsystem sei bei einzelnen kulturellen Mustern zu erfassen. Über das Kulturmustermodell können dann auch unterschiedliche Praktiken des Historisierens von Seiten der Quellen aber auch der beteiligten Wissenschaftsdisziplinen deutlich gemacht werden, verzahnt mit der textuell orientierten Frage: Inwieweit werden Geschichtsauffassung und historisches Bewusstsein durch Schreibweisen beeinflusst? Dadurch könnten die jeweiligen Darstellungsformen historischer Prozesse einsehbar gemacht werden und die Vermittlerfunktion auch literarischer Texte – unter anderem mit Blick auf Komplexitätsreduktion von Geschichte – würde ersichtlicher werden.

Mit ihrem Beitrag »Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaft: Transkulturalität« führte die Germanistin Dorothee Kimmich (Tübingen) den Begriff der ›Transkulturalität‹ in die kulturwissenschaftliche Debatte ein. ›Transkulturalität‹ besage, dass kulturelle Grenzen keine Dichotomien bilden können, und nehme unter anderem auf die aktuelle Tendenz des spatial turn Bezug. Die kulturstiftende Funktion von Räumen und die Wahrnehmung kultureller Grenzen als ›Chronotopoi‹ ließen Kultur als ein dynamisches Konzept erscheinen, welches sich von idealistischen und linear orientierten Geschichtsmodellen bewusst abgrenze. Starke Oppositionspaare können also in den Kulturwissenschaften keine definitorische Absicherung mehr leisten.

Der Historiker Philipp Sarasin (Zürich) leitete mit seinem Vortrag »Wissenschaftsgeschichte und Genealogie« die von Klaus-Michael Bogdal (Bielefeld) moderierte Sektion »Wissen/ Diskurse/Genealogie« ein und empfahl, die Diskursanalyse als methodische und theoretische Option für eine Wissenschaftsgeschichte in synchroner Perspektive zu betrachten. Für den Literaturwissenschaftler bedeute das, Texte und ihre Entstehungsbedingungen ins Zentrum der Untersuchung zu stellen. Diskurse seien nicht mehr, wie bisher, nur als textuelle Einheiten aufzufassen. Der Historiker müsse folglich Ereignisse aus ihren Entstehungsbedingungen heraus begreifen, also kontextualisieren. Sarasin knüpfte damit an die Vorschläge aus Jürgen Kockas Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme (1977) an, verwies aber zugleich auf die dort nicht hinreichende Berücksichtigung semiotischer und diskursiver Prozesse, die als Ordnungsstrukturen von Wissen genauer untersucht werden müssen. Eingehender zu erforschen seien die gesellschaftliche Produktion und Zirkulation von Wissen unter den Aspekten der Systematisierungen und der Ordnungen des Wissens, seiner Repräsentationsformen und Medialitäten, hinsichtlich der Akteure des Wissens und seiner Genealogie.

Achim Geisenshanslüke (Regensburg) hingegen betonte in seinem Statement, dass Literatur stärker betrachtet werden müsse hinsichtlich ihrer Positionierung im Spannungsfeld von Sprache und Macht im Foucaultschen Sinne und ihrer Partizipation an Wissenssystemen.

Holger Dainat (Bielefeld) blickte in seiner wissenschaftsgeschichtlichen Stellungnahme auf die Entwicklung des Fachs als historische Wissenschaft, also als Literaturgeschichte im 19. Jahrhundert, und fragte, ob der Wissensbegriff immer noch stark genug sei, um der Diskursanalyse als verbindende Kategorie zwischen den Disziplinen zu dienen, oder ob nicht auch nicht-sprachliche Dinge, wie zum Beispiel bei Foucault das Gefängnis, in die Wissensgeschichte integriert werden müssen. Die Fragen, die es zukünftig zu klären gelte, seien: Wie konzentrieren sich Wissenseinheiten, die mit der Aufgabe von Literatur vergleichbar wären? Kann und soll der Wissensbegriff Sinn stiften?

Von der Diskussion über Wissen, Genealogie und Macht war es nur ein kleiner Schritt zum Komplex der »Gedächtnisgeschichte«, welche in der folgenden, von Klaus-Michael Bogdal (Bielefeld) geleiteten Sektion der Tagung behandelt wurde.

Den Einstieg machte als Expertin auf dem Gebiet Aleida Assmann (Konstanz) mit ihrem Vortrag »Fakten und Fiktionen in der neueren Erinnerungskultur«. Assmann betonte den durch ihre eigene Kreativität und ihre spezifischen kommunikativen Möglichkeiten gegebenen Vorsprung der Schriftsteller gegenüber der Geschichte und auch jenseits herkömmlicher Machtstrukturen und Institutionen. Ihr Potential liege in der Formulierungsfähigkeit und im Imaginationsreichtum, welche den Vorstellungs- und Erlebnishorizont über die eigenen – historisch gewachsenen und auch empirisch erfahrenen – Grenzen hinaus auszudehnen vermögen. Das Verhältnis zwischen Roman, Autobiographie und historischem Trauma (Holocaust oder Krieg) könne sich als markantes Forschungsfeld erweisen, auch mit Blick auf die Differenzen von literarischer und geschichtswissenschaftlicher Historiographie. Anhand von Louis Begleys Roman Wartime Lies (1991) und Kurt Vonneguts Slaughterhouse Five or The Children’s Crusade (1969) zeigte Assmann, dass Romane durch Fiktionalisierung autobiographischer Erfahrung als eine direkte – kompensatorisch oder therapeutisch funktionalisierte – Reaktion auf traumatische Erlebnisse aufgefasst werden können. Fiktionalisierung könne damit zur psychischen Abschirmung gegenüber der eigenen traumatisch besetzten Biographie dienen und eine gezieltere, distanziertere Auseinandersetzung mit ihr ermöglichen. Während sich Traumata der direkten oder unmittelbaren literarischen Imagination bzw. Artikulation verweigern, sei ihre geographische, personale und räumliche Neuordnung eine Möglichkeit sowohl ihrer gestalterischen Bewältigung als auch ihrer indirekten Vermittlung. Durch derlei Weltenerstellung werde reale Welt begreifbarer gemacht. Diese Einsicht könne sich auch für das Verständnis des Verhältnisses zwischen literaturwissenschaftlicher Textinterpretation und historischer Quellenarbeit bzw. für den Umgang mit fiktionalen Texten und hagiographischen Quellen als gewinnbringend erweisen. Zugleich könne aber auch die Forderung nach einer radikalen Entdifferenzierung der geisteswissenschaftlichen Disziplinen deren Eigenwert bzw. deren jeweiliges epistemologisches Erkennen relativieren.

Aus geschichtswissenschaftlichem Blickwinkel äußerte sich dazu auch Wolfram Pyta (Stuttgart) mit seinen Ausführungen über »Politikgeschichte und Literaturwissenschaft«. Ihm ging es dabei um mehr als ein gegenseitiges Abstecken der Positionen. Im Gegensatz zur Politikwissenschaft sei es der Kunst möglich, die oft postulierte Inkongruenz von sinnlich-empirischer Erlebnishaftigkeit auf der einen Seite und symbolhafter Repräsentation von Allgemeinem auf der anderen Seite zu überwinden, da sie, wie es schon Aleida Assmann bezüglich der literarisch-kreativen Umgestaltung und Verarbeitung von Traumata herausgearbeitet hatte, intensives (und autobiographisches) Erleben auf ästhetische Weise vermittelt und moduliert, welches dann im Rezipientenkreis oft symbolisch überhöht und damit politisch aufgeladen wird. Als Beispiel nannte Pyta die Literatur der (bzw. über die) Frontkämpfergeneration des Ersten Weltkriegs à la Ernst Jünger und ihre politisch-ideologisch motivierte Rezeption in der Weimarer Republik. An diesem Gegenstandsbereich können Literatur- und Politikwissenschaft gemeinsam arbeiten.

Die Anglistin Astrid Erll (Wuppertal) kommentierte beide Vorträge. Sie merkte kritisch an, dass der Primat einer Erfahrung innerhalb der Erinnerungsliteratur diesen noch nicht unbedingt politisch mache. Stattdessen forderte Erll die Berücksichtigung folgender Fragekomplexe: Was bewirkt Erinnerungsliteratur in der Kultur? Was macht sie mit den Menschen? Wie agiert sie im sozio-politischen Raum? Wie werden Erinnerungen zur Ressource für Prozesse der Imagination?

Mit der Phänomenalität der Zeit setzte sich schlussendlich auch die letzte Sektion, »Zeitgeschichte/Literaturgeschichte«, unter der Moderation von Norbert Bachleitner (Wien) auseinander, in welcher auf die Reflexion der historischen und kulturellen Gegenwart als eines der interdisziplinären Ziele der Tagung hingewiesen wurde.

Den Anfang machte Eckhard Schumacher (Greifswald) mit seinem Vortrag »Gegenwartsliteratur«, der nur bedingt als eine Beschäftigung mit einer spezifischen literarischen Strömung oder den aktuellen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt angelegt war. Vielmehr ging es Schumacher um das theoretische und strukturelle Problem temporärer Gegenwärtigkeit und deren Reflexion in der Literatur, also um ein Bewusstwerden von Gegenwärtigkeit oder Gegenwart in der und durch die Literatur. Eine Literaturgeschichte der Gegenwart habe sich daher auch mit der Wahrnehmung von Zeit und der jeweils aktuellen historischen Gegenwart und ihrer Thematisierung durch die Literatur zu beschäftigen, was neuen Aufschluss über die Grenzziehungen zwischen Literaturwissenschaft und Literaturkritik bzw. Feuilleton und deren unterschiedlicher Teilhabe an gegenwärtiger Zeit ergeben könnte. Den Vortrag ergänzten zwei Stellungnahmen aus unterschiedlichen Philologien.

Der Germanist Martin Huber (Bayreuth) kam in seinen Ausführungen über »Literaturgeschichte zwischen Mikro- und Makrogeschichte« auf die Situation zu sprechen, dass Literaturgeschichte gegenwärtig kein Gegenstand der theoretischen Debatten innerhalb der Philologien sei, trotz so bedeutender Neuerscheinungen wie der von David Wellbery u.a. konzipierten und vor allem thematisch ausgerichteten Neuen Geschichte der deutschen Literatur (engl. 2005, dt. 2008). Außerdem sehe sich ein Großteil der literarhistorischen Projekte nicht in der Lage, die gegenseitige Einflussnahme von Literatur und Geschichte aufeinander zu integrieren. Die vor allem auf Kontextualisierung abzielenden sozialhistorischen Entwürfe hätten das – trotz der Erforschung der Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen von literarischen Texten – ebenfalls nur bedingt vermocht. Neue theoretische Betrachtungsweisen dieser philologischen Teildisziplin seien daher angebracht. Über signifikante Phänomene wie zum Beispiel ›literarische Provokation bzw. Skandale‹ ließe sich nach Huber ein Zusammenschluss von Mikro- und Makroperspektive erreichen, da sich mit ihnen sowohl auf der Textebene (Stil, Inhalt etc.) als auch auf der gesellschaftlichen Ebene (Rezeption, Machtverhältnisse) arbeiten lasse, denn ohne soziale Gemeinschaft existiere auch keine Kunst (und damit auch keine Provokation).

Auch der Anglist Helge Nowak (München) konstatierte zunächst einmal Forschungslücken in den zu diskutierenden Themenfeldern. So habe unter anderem der New Historicism sein Pulver verschossen aufgrund seiner Sprunghaftigkeit und seiner inflationären Ausdehnung des Textbegriffs auf außerästhetische Artefakte. Ebenso verweigere sich die fachliche Debatte mitunter einer Thematisierung motivgeschichtlicher Reihen im Bereich der Literaturhistorie. Helge Nowak nannte stattdessen auf Robert Escarpit sich beziehende Zirkulationsmodelle von Leser und Text, welche Kunst als medial bestimmte Kommunikationskultur betrachten könnten. Historisch verortbar sei dann die jeweilige mediale Bestimmtheit dieser Kommunikationskulturen. Anstatt sich mit Epochenklassifizierungen zufrieden zu geben, müsse Literaturgeschichte auch die historischen und kulturellen Voraussetzungen, Sichtweisen und Erfahrungsmodi von Zeit und Raum berücksichtigen. Hier ergaben sich auch wieder Verknüpfungen zum Projekt einer Transkulturalität von Dorothee Kimmich und der kulturhistorischen und anthropologischen Bedeutung des spatial turn für neue Modelle von (nicht nur literarischer) Geschichtsschreibung.

4. Auswertung und Ausblick

Die Diskussion der Beiträge ergab zusammenfassend, dass Texte nicht nur als durch ihre reine Publikation begründete literarische (und historische) Ereignisse begriffen werden müssten, sondern vielmehr als Anteil nehmende und Einfluss übende Faktoren innerhalb historischer Prozesse. Publikationen und deren unmittelbares Umfeld ließen sich zunächst historisch erfassen, rekonstruieren und bewerten. Die sozialen und historischen Produktionsbedingungen von Literatur sollten dann aber auch verstärkt zu einem Untersuchungsgegenstand der Literatur- und Geschichtswissenschaft werden, da Autoren in ihrer Funktion als Textproduzenten (und auch die Textzeugnisse selbst) als soziale Akteure aufzufassen sind, die an geschichtlichen Ereignissen teilnehmen oder auf diese reagieren und zu ihrer Vermittlung einen eigenen medial gebundenen Beitrag leisten, auch wenn sie nicht unmittelbar mimetisch auf diese Bezug nehmen. Aus diesem Grund befanden die Tagungsteilnehmer, dass literarische Texte selbst stärker als ein Medium in den Vordergrund gerückt werden müssten, welches über Geschichte und vielleicht auch Geschichtsschreibung reflektiere bzw. diese konkret auch mit den ihr inhärenten imaginativen und narrativen Verfahren alternativ gegenüber der eigentlichen Historiographie praktiziere. Das war unter anderem auch ein Ergebnis von Wilhelm Voßkamps Auseinandersetzung mit Alexander Kluges Film Die Patriotin (1977) oder der Lektüre von Alfred Anderschs Kriegsroman Winterspelt (1974) durch den Vortrag Barbara Pichts. Mit Jörn Rüsen gelte es daher auch Literatur als ein Medium ›historischer Orientierung‹ oder ›historischen Lernens‹ zu erkennen, welches teilnehme an den Prozessen historischer Sinnbildung. Durch eine Betonung dieser Funktionen könne zukünftig der methodologisch fragwürdigen Spaltung zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft, zwischen (kontextuell weitem) historischem Verstehen und (textuell enger) literarischer Exegese entgegengewirkt werden. Derlei Verknüpfungen dürften aber auch nicht die spezifische Verfasstheit ästhetischer Artefakte und den durch eben diese erzeugten eigenen Erkenntnisgewinn in ihren Betrachtungen unberücksichtigt lassen. Daher ließe sich Literaturgeschichte nicht mehr auf einzelnen Begriffen wie Epochen- oder Stilmerkmalen aufbauen, so dass am Ende der Tagung eine kritische Bestandaufnahme der gegenwärtigen Situation, das Bedürfnis zur Annäherung der historischen und philologischen Teildisziplinen, exemplarisch ausgeführte Reformvorschläge und der Wunsch nach Fortsetzung des Tagungsprojekts standen. So ließe sich dann vielleicht auch die Frage klären, inwieweit ein neues Verständnis von Literaturgeschichte über die herkömmlichen von der Forschung rekonstruierten Bezugnahmen der Literatur auf geschichtliche Verläufe, Ereignisse und Kontexte, welche durch sozialgeschichtliche Großprojekte (Hanser, Glaser, Grimminger) und den cultural turn (Greenblatt, Baßler, Bachmann-Medick) immer schon bereitgestellt wurden, hinausgehen könne. Anthropologische Kategorien wie Raum oder Zeit, deren in der Geschichte sich wandelndes Verständnis in der Literatur seine (mitunter metaphorisch transformierte) Reflexion erfährt, könnten in diesem Zusammenhang eine stärkere Berücksichtigung erfahren. Diese müsse allerdings über eine simple Addition motivlicher Korrespondenzen hinausgehen.

Dr. Torsten Voß

Universität Bielefeld

Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft

2011-06-01

JLTonline ISSN 1862-8990

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