Madleen Podewski

Erzählen mit Bild und Ton:

Filmworkshop an der Bergischen Universität Wuppertal

Audiovisuelles Erzählen: Bild-Ton-Relationen im Film. 1. Filmworkshop am Zentrum für Erzählforschung, 16.-17. April 2010, Bergische Universität Wuppertal.

Der Workshop, organisiert von Andreas Blödorn, Sandra Heinen und Stefan Neumann, wollte die mittlerweile zahlreich und vielfältig gewordenen Forschungsaktivitäten zu Filmanalyse und filmischem Erzählen aus den einzelnen Teilfächern (Neuere deutsche Literaturgeschichte, Allgemeine Literaturwissenschaft, Fachdidaktik Germanistik und Anglistik) einmal zusammenführen und unter einer exemplarisch gefassten Fragestellung die Möglichkeit zum Austausch und zur Profilierung der jeweils eigenen Positionen geben. Angeschlossen war die kleine Tagung an die »Arbeitsgruppe filmisches Erzählen« am Wuppertaler Zentrum für Erzählforschung, die sich vor knapp zwei Jahren konstituiert hat und sich über das Filmerzählen hinaus mit allgemeinen Fragen der Filmphilologie und der Filmdidaktik beschäftigt. [1] Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen stand die Frage nach der Interaktion zwischen auditiv und visuell vermittelten Informationen im Film und die Frage nach deren Relevanz für ein spezifisch filmisches Erzählen. Eben diese doppelte Perspektive – der Blick auf die einerseits von verschiedenen semiotischen Systemen und andererseits von erzählerischen Strukturen konstituierte Bedeutung des Films – erwies sich als besonders fruchtbar. Denn mit ihr war gewissermaßen von vornherein blockiert, was im Umfeld der transmedialen Narratologie zunehmend beklagt wird: eine »naive« Applikation sprachbasierter Konzepte des »Erzählens«. [2] Die dürfte sich gerade beim Film, in dem mehrere Signifikationsprozesse in-, mit- und nebeneinander verlaufen, in dem Sprache also nur ein Referenzsystem neben anderen bleibt und mit Musik, Geräuschen, Bildaufbau, Farbgebung, Beleuchtung, Schnitt, Wiedergabegeschwindigkeit etc. kombiniert wird, als nicht komplex genug, und das heißt eben auch als nicht gegenstandsadäquat erweisen.

Der Themenstellung des Workshops gemäß lag der Schwerpunkt fast aller Beiträge darauf, zunächst einmal die Beziehungen zwischen Ton und Bild auszuloten, die systematische Frage nach dem »Erzählcharakter« der analysierten Filmbeispiele rückte dem gegenüber in den Hintergrund und wich zuweilen einem eher pragmatischen Gebrauch der einschlägigen narratologischen Kategorien. Sandra Heinen (Wuppertal) beschäftigte sich in ihrem Vortrag »Synchronisation als interkulturelle Übersetzung« mit der Spannbreite an Bedeutungsverlusten, die mit einer Synchronisation einhergehen. Die ergeben sich nicht nur aus den Schwierigkeiten einer Übermittlung fremden kulturellen Wissens, mit dem ja auch jede literarische Übersetzung zurechtkommen muss, sie sind medienspezifisch und ergeben sich aus den veränderten Wechselverhältnissen zwischen Bild und Ton/Sprache. Die wiederum greifen zwar nicht in den Plot ein (auf den die meisten Synchronisationen ausgerichtet sind), aber sie verändern (und stören) Figurencharakteristik und -kohärenz. Marion Gymnich (Bonn) entfaltete mit Blick auf das Verhältnis zwischen Bild und Tonspur ein breites Spektrum von Voiceover-Techniken der jüngeren Filmgeschichte und stellte funktionale Ähnlichkeiten mit dem Typus des homo- und heterodiegetischen Erzählers in der englischen Literatur am Ende des 19. Jahrhunderts fest (»Voiceover im Film: Funktionen eines ›medienuntypischen‹ Darstellungsverfahrens«). Peter Zimmermann (Wuppertal) ordnete eben solche Voiceover-Techniken in eine Mediengeschichte der Bild-Ton-Beziehungen ein (»Von der ›Geisterstimme‹ zum Originalton. Zur Bild-Ton-Montage im Dokumentarfilm«). Er zeigte, dass die Bildzentriertheit des Stummfilms zunehmend weniger für Informationsvermittlungen taugt und deshalb durch Sprache ergänzt werden muss. Das gilt umso mehr für die stark ausgeprägten ideologischen Interessen des frühen Lehrfilms der zwanziger und dreißiger Jahre: Didaxe und explizite Wertevermittlung (in den gezeigten Beispielen auf biologistisch-darwinistischer Basis) sorgen für eine Vereindeutigung der gezeigten Bilder – ein Verfahren, auf das avancierte Dokumentarfilme seit der Nachkriegszeit wieder verzichten werden. Zugleich besteht lange Zeit das Bedürfnis, solche Normgebungsinstanzen zu personalisieren und damit zu referentialisieren; Voiceover-Techniken und damit die »Entkörperlichung« dieser Wertevermittler können sich deshalb endgültig erst mit den Wochenschauen etablieren.

Neben dem Ton als Sprache nahmen zwei weitere Beiträge den Filmton als Geräusch und Musik in den Blick: Stefan Brössel (Wuppertal) stellte heraus, dass Musik im Film narrative Funktionen übernimmt und also entscheidend zu dessen Bedeutungskonstitution beiträgt (»›A little more threatening...‹: Zur Funktionalisierung der Musik im narrativen Diskurs des mainstream-Horrorfilms der 70er und 80er Jahre«). Musik bildet dabei ein fein ausdifferenziertes Spektrum an eigenen und vor allem historisch-pragmatisch bedingten Codes aus, die dann in komplexe Wechselwirkungen mit Bild, Sprache und Handlungssequenzen treten. »Spannung« entsteht im Horrorfilm also auch deshalb, weil die Musik auf genretypische Weise »miterzählt«. Roy Sommer (Wuppertal) kümmerte sich um den »Filmklang«, einen Bereich also, den die Forschung, die sich bislang bevorzugt mit der Filmmusik beschäftigt, noch kaum in den Blick genommen hat (»Dramaturgische Funktionen von Inkongruenzen zwischen auditiven und visuellen Signalen«). Neben Vorschlägen für eine differenzierte Beschreibbarkeit des Phänomens selbst nahm der Beitrag auch Strategien der Grenzüberschreitung zwischen den »Herkunftsräumen« dieser Geräuschqualitäten in den Blick – im Wechsel zwischen diegetischer Referentialisierbarkeit und nichtdiegetischer Referenzlosigkeit, die den extradiegetischen »Produktionsraum« dieser Klangqualitäten in den Blick rückt und zusätzlich als Marker im Verlauf der erzählten Geschichte semantisiert sein kann.

Dass in den analysierten Beispielen »erzählt« wird – davon gingen alle Beiträge aus. Die Tauglichkeit narratologischer Kategorien erwies sich dabei im selbstverständlichen Gebrauch, der meistens von ihnen gemacht wurde. Der aber blieb beschränkt auf eine thematische, am Erzählen von »Geschichten« ausgerichtete Narratologie, die sich um Räume, Zeiten, Handlungssequenzen und Ereignisse kümmert – diese Einschränkung wurde explizit auch noch einmal in der Abschlussdiskussion formuliert. Die Übertragbarkeit der discours-Narratologie dagegen wurde, auch weil einige Beiträger deren zentrale Kategorien zunächst einmal für ihre Analysen nutzten (v.a. die Differenz zwischen Extra- und Intradiegese, die Sommer als Differenz zwischen Diegese und Nichtdiegese und schließlich als Kopräsenz zweier Tonräume reformulierte) vor allem in den anschließenden und abschließenden Diskussionen problematisiert. Die Beiträge von Ursula von Keitz (Bonn) und Andreas Blödorn (Wuppertal) positionierten sich hier sehr viel deutlicher: Ursula von Keitz (»Erzählen im Film? Zur Frage der Erzählinstanz in der neueren Filmtheorie. Am Beispiel von Ophüls’ Letter from an Unkown Woman«) präzisierte die allfällige und dabei noch immer kontrovers diskutierte Frage, ob man eine »Erzählinstanz« annehmen muss, um Filme adäquat analysieren zu können, als Frage nach der Übertragbarkeit der Kategorie der Fokalisierung. Weil das »Zu-Sehen-Geben« des Films Effekt eines ganzen Sets von kinematographischen Techniken ist, dabei der Erfahrungs- und Wissenshorizont von Figur und Film mit Kamerabewegungen, Sichtachsen, Montagen und von subtilen Zeitregimes geregelt ist, erscheint die Annahme einer »Erzählinstanz«, die solche »Fokalisierungen« steuert, unzureichend und unangemessen.

Viel weiter führen stattdessen Fragen nach medienspezifischen Differenzen, die durch solche Sets zustande kommen, etwa zwischen Kamera- und Figurenperspektive oder nach den medienspezifischen Regelungen von Wahrnehmungs- und Wissenshierarchien. Letzterem stellte sich der Beitrag von Andreas Blödorn (»Stimme(n) im Film: Kohärenzprobleme von Ich-Narrationen im ›Gangsta-Rap‹ Bushidos«): Die Interaktion von Bild und (Sing-)Stimme unterläuft eindeutige Zuordnungen (etwa derart, dass die Sängerfigur Bushido als intradiegetischer Erzähler seiner eigenen Geschichte identifiziert werden kann), weil die Kohärenz des Sprechaktes durch die Bildsprache unterbrochen wird, die singende Figur in verschiedenen Formen im Bild zu sehen ist, Zeit und Raum entgrenzt (und also derealisiert) werden und sich die Wahrnehmungsinstanz immer wieder zwischen Sänger und Kamera verschiebt. Alles zusammen führt zu einer Dislozierung von Sicht und Stimme, und so stellt sich die Frage nach dem systematischen Status der Hervorbringungsinstanz einer eben anders als diegetisch funktionierenden Welt. Für ihre Beantwortung stellt die klassische Erzähltheorie jedenfalls bislang keine Kategorie zur Verfügung.

Abgerundet wurde die Tagung durch den Beitrag von Stefan Neumann (Wuppertal), der nach einem knappen Überblick über die Geschichte des Films im Deutschunterricht Möglichkeiten aufzeigte, mit Filmanalyse die Medienkompetenzen von Schülerinnen und Schülern zu stärken (»Wie sind (Er-)Kenntnisse filmischen Erzählens und literarischen Erzählens im Deutschunterricht miteinander zu verknüpfen?«). Solche Medienkompetenz basiert im weitesten Sinne auf dem, was von der transmedialen Erzähltheorie nunmehr mit Nachdruck eingefordert wird und was auch als Fazit des Workshops gelten kann: auf der Aufmerksamkeit auf medialen Differenzen. Die literaturwissenschaftliche Erzähltheorie stellt dafür zwar Kriterien zur Verfügung, mit denen die hauptsächlich produktionsorientierte Perspektive der Filmwissenschaften modifiziert und verfeinert werden kann, zugleich aber bleibt Vorsicht geboten: Filme erzählen eben nicht nur, sie produzieren komplexe(re) Bedeutungen, denen man wohl eher mit einer Semiotik des Films auf die Spur kommt.

Dr. Madleen Podewski

Bergische Universität Wuppertal

Fachbereich A: Geistes- und Kulturwissenschaften

Anmerkungen

[1] http://www.fba.uni-wuppertal.de/zef/arbeitsbereiche/filmisches_erzaehlen.html [zurück]

[2] Vgl. dazu: Irina O. Rajewsky, Von Erzählern, die (nichts) vermitteln. Überlegungen zu grundlegenden Annahmen der Dramentheorie im Kontext einer transmedialen Narratologie, Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 117:2 (2007), 25-68, v.a. 25-42. [zurück]

2010-08-23

JLTonline ISSN 1862-8990

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