Moritz Scheper und Peer Trilcke

Die Sichtbarkeit des Autors

Tagung »Kontroversen – Bündnisse – Imitationen: Geschichte und Typologie schriftstellerischer Inszenierungspraktiken«. 25.06.-27.06.2009, Göttingen.

Spätestens seit den ausgehenden 90er Jahren hat der Autor, nach nur kurzer Abwesenheit, seinen Platz innerhalb der literaturwissenschaftlichen Diskussion wieder eingenommen. [1] Begleitet war und ist diese »Rückkehr des Autors« gleichermaßen von einer neuen Reflexion der einstmals angestaubten Begrifflichkeiten wie von einer Auffächerung des Spektrums autororientierter Fragestellungen. Während etwa interpretationstheoretische Studien den Stellenwert der Autorfunktion innerhalb intentionalistischer Interpretationskonzepte untersuchen, [2] widmen sich literatursoziologisch ausgerichtete Ansätze dem Autor als sozialem Akteur. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit dieser Ansätze rückte dabei in den letzten Jahren insbesondere das mit Bezug auf die Bourdieu’sche Feldtheorie oder auf Theoreme der Performative Studies modellierte Konzept der Autorinszenierung. [3]

Historische Formen solcher Inszenierungspraktiken und, darauf aufbauend, deren mögliche typologische Ordnung zu diskutieren, war erklärtes Ziel der Tagung »Kontroversen – Bündnisse – Imitationen: Geschichte und Typologie schriftstellerischer Inszenierungspraktiken«, die von Christoph Jürgensen (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen) und Gerhard Kaiser (Seminar für Deutsche Philologie, Göttingen) im Juni 2009 ausgerichtet wurde. In ihrer Einführung schlugen die Veranstalter dafür zunächst eine Arbeitsdefinition des Konzepts ›Autorinszenierung‹ vor: Als Bezeichnung für Praktiken, aus denen die Markierung und Sichtbarkeit einer Position im literarischen Feld resultiere, seien ›Autorinszenierungen‹ stets Produkt sozialer Interaktionen, was auch bedeute, dass keineswegs immer scharf zwischen auktorialen Inszenierungspraktiken (Selbstinszenierung) und nicht-auktorialen Zuschreibungspraktiken (Fremdinszenierung) geschieden werden könne. Diese Arbeitsdefinition ergänzten die Veranstalter um eine heuristische Typologie. So gingen Jürgensen und Kaiser zunächst davon aus, dass sich Autorinszenierungen in der Regel im Rahmen von Kontroversen, Bündnissen oder Imitationen vollzögen. Dabei unterschieden die Veranstalter, mit Bezug auf Gerard Genette und Pierre Bourdieu, die je statt habenden Praktiken in 1) ›Paratextuelle Inszenierungspraktiken‹ mit den Subtypen 1a) ›Peritextuelle I.‹ und 1b) Epitextuelle I.‹ und 2) ›Habituelle Inszenierungspraktiken« mit den Subtypen 2a) ›Performative I.‹, 2b) ›Soziale und politische I.‹ sowie 2c) ›Ästhetische I.‹.

Das erste Panel zu »Autorinszenierung vor der Entstehung des literarischen Marktes« eröffnete Kai Bremer (Gießen) mit seinem Vortrag »Reformatorische Resonanzstrategien und Inszenierungspraktiken: Luthers Brief an den Vater«. In der für den Vater unverständlichen lateinischen Sprache habe Luther in dieser Widmungsschrift zu De votis monasticis iudicium seinen Lebensweg als typisch für den der Mönche nachgezeichnet und sich zum Märtyrer stilisiert, wobei es die Textsorte ermöglichte, komplexe Sachverhalte der Theologie vereinfacht darzustellen und relativ unverhohlen gegen die papistische Partei zu polemisieren. Möglich geworden sei eine solche frühe Inszenierungspraxis einerseits aufgrund der reformatorischen Öffentlichkeit, andererseits aufgrund des hohen Popularitätsgrads Luthers, den Bremer exemplarisch an der Luther-Ikonographie in reformatorischen Flugblättern veranschaulichte. Daran anknüpfend problematisierte Bremer die Typologie der Veranstalter in Bezug auf die Frühe Neuzeit-Forschung, insbesondere die Kategorie der habituellen Inszenierungspraktiken. Bei Texten der Frühen Neuzeit bleibe das Problem der Unterscheidung von Selbst- und Fremdinszenierung virulent, da es an Kontextwissen fehle. Diskutiert wurde anschließend die Differenz zwischen rhetorischen Persuasionsstrategien, die auf Schemawissen beruhen, und Inszenierungsstrategien, die als Distinktionsverhalten zu charakterisieren seien.

Das Phänomen der Kontroverse wurde von Christoph Deupmann (Karlsruhe) in seinem Vortrag zum Leipzig-Zürcher-Literaturstreit »Aufgeklärte Streitkultur: G***d contra die ›Schweizer‹« um das des Bündnisses ergänzt. Deupmann zeichnete den Streit von seinem Initialtext, der Übersetzung von Paradise Lost, bis zu Klopstocks Messias nach, wobei er die Logik der Kontroverse aus Mangel an programmatischen Differenzen zwischen den Parteien weniger durch inhaltliche Aspekte, sondern vielmehr durch die Aushandlung von Hegemonieansprüchen im literarischen Feld bestimmt sah: Jede Partei wollte sich als Autorität des guten Geschmacks bestätigen. Obwohl es eine Tendenz zur Personalisierung der Debatte gegeben habe, ließe sich ebenfalls ein starker Hang zur Fraktionsbildung ausmachen, die vor allem auf die Zeitschriften als Konfliktorgane zurückgehe, womit die literarische Öffentlichkeit als dritte Kraft in die Kontroverse geschaltet wurde. Nach Deupmann ist diesem – wie jedem – Literaturstreit ein Paradox inhärent: Die Sieger profitieren parasitär vom Untergang der Verlierer, wobei durch deren Sturz auch die Streittexte der Sieger wertlos würden, lediglich Bekenntnischarakter hätten. Es gebe also ein transitorisches Moment im Streit als Inszenierungspraktik, da eine solche nur zeitweise möglich sei. Diskutiert wurde vor allem das neue Moment dieses Streits, nämlich der exoterische Charakter einer Gelehrtendebatte. Die Kollektivierung gehe auf eine räsonierende Öffentlichkeit zurück, die ebenso einen Einfluss auf die Aggressivität des Streits gehabt haben mag.

Auch Claudia Stockinger (Göttingen) widmete sich in ihrem kulturgeschichtlich orientierten Vortrag »Vernunft und Glaube. Die Spinozismusdebatte nach Mendelssohns Tod (1786)« der Inszenierungspraktiken innerhalb einer Kontroverse. Im Zentrum stand dabei die Fremdinszenierung Lessings durch Jakobi auf der einen, Mendelssohn auf der anderen Seite – und damit die diskursive Funktion der Figur Lessing für die Positionsbestimmung der Berliner Spätaufklärung. In drei Zugriffen rekonstruierte Stockinger die Struktur der Kontroverse. So legte sie zunächst den Prozess der Aushandlung kontroverser Sprecherpositionen dar; daraufhin skizzierte sie die Dynamik kontroverser Gruppenbildung und die dadurch forcierte Fraktionierung der Debatte als eine Form der Etablierung von Diskursmacht; schließlich ging Stockinger auf einen performativen Aspekt kontroverser Gewalt ein: In der Behauptung, Jacobis Lessing-Deutung habe mittelbar zu Mendelssohns Tod geführt, erwiesen sich, angelegt in physiopsychischen Theoremen der Aufklärung, die wortreichen Streitigkeiten keineswegs nur metaphorisch als Kampf auf Leben und Tod.

Das zweite Panel zu »Autorinszenierungen während der Formation und der Etablierung des literarischen Marktes« wurde mit Rüdiger Singers (Göttingen) Vortrag »Von der Maske zum ›Ton‹. Inszenierungen des Balladendichters bei Gleim, Herder und Bürger« eröffnet. Nunmehr den Blick auf Praktiken der Imitation lenkend, konzentrierte Singer sich auf textuelle und paratextuelle Dichter-Figurationen und deren dichtungstheoretische Semantik. So zeigte er an der Gleim’schen Metaphorik, wie eine neue Ernsthaftigkeit eine Rücknahme seines vormaligen Romanzen-Konzepts auslöste. Herder, als theoretischer Stichwortgeber für die Volksballade, habe Gleims frühes Konzept oraler Dichtung unterstützt, plädierte jedoch für einen stärkeren »Ton« als unmittelbaren Ausdruck von Empfindungen. Dieses »tönende« Konzept volkspoetischen Gesangs schlägt sich, vermittelt durch Herder, in den Arbeiten Bürgers nieder, wobei Singer besonders auf die Moritatensujets sowie Lautmalereien und Interjektionen in Bürgers Texten hinwies. Anhand von Epitexten wies er weiter nach, dass Gleims Metapher des zahmen Vögleins bei Bürger in die des Raubvogels transformiert wurde, die Romanze also ihre Ausdrucksstärke zurückerlangte und an Gleims neues Konzept anschlussfähig wurde, was einen Rückgang der ironischen Maskierung zu Gunsten einer neuen Ernsthaftigkeit nach sich gezogen habe.

Mit einem spezifischen Phänomen der paratextuellen Inszenierung beschäftigte sich Stephan Pabst (Jena) in seinem Vortrag »Sich einen Namen machen. Über Anonymität und Popularität am Beispiel E.T.A. Hoffmanns«. Wenn auch der Autorname nicht, wie im Falle Novalis’ und Klabunds, selbstgewählt ist, sei er doch vom Personennamen zu unterscheiden, da er ein öffentlicher Name mit imaginärer Referenz sei. Wurde im 17. und 18. Jahrhundert der Autorname auf Publikationen vor allem als Schutzmaßnahme vor rechtliche Schritten nicht genannt, ändert sich dies durch eine neue juristische Sachlage, die Aufwertung des Autors durch die Genieästhetik und eine neue Marktsituation. Am Beispiel E.T.A. Hoffmanns zeigte Pabst das Spiel mit der Anonymität, die Hoffmann erst in seinem Todesjahr auf dem Titelblatt des Meister Floh aufgegeben habe. Hoffmanns Eintritt ins Feld erfolgte über die traditionell anonyme Gattung der Rezension, und wurde erst in Jean Pauls Vorwort zu den Fantasiestücken teilweise zurückgenommen. In der Folge sei Hoffmann unter der Formel »Vom Verfasser von …« ausgewiesen worden: eine Praktik, die Pabst gleichermaßen mit ökonomischen Kalkül angesichts der Situation auf dem populären Markt wie mit mnemotechnischen Gründen erklärte. Diese Anonymität des Autors, wie sie in Des Vetters Eckfenster anschaulich dargestellt werde, resultiere aus der veränderten Marktsituation, in der das genieästhetische Autorschaftskonzept kaum von Bedeutung war.

Die Relationen von paratextuellen und textuellen Inszenierungspraktiken untersuchte Ingo Irsigler (Kiel) in seinem strukturanalytischen Beitrag »Dem ›besseren Selbst‹ auf der Spur. Inszenierte Autorschaft in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte«. Ausgehend von der These, dass Peter Schlemihls wundersame Geschichte eine besondere Funktion innerhalb der Genese von Chamissos Dichter-Ich zukomme, interpretierte Irsigler das Gefüge aus Text und Paratext als poetologische Reflexion von Autorschaft. In Über­windung der romantischen Schule entwickle Chamisso im Schlemihl die Konzepte des nützlichen Schriftstellers und einer gesellschaftsrelevanten Naturpoesie. Mit seinem Tagebuch Reise um die Welt in den Jahren 1815-1818 verwirkliche Chamisso diese Konzepte: Was zunächst textuell und paratextuell entworfen wurde, werde auf diese Weise schließlich performativ vollzogen.

Mit Ralf Schnells (Siegen) Vortrag »Das fremde Selbst. Auto(r)inszenierung als Ausgrenzungsstrategie: Heine / Börne / Platen« rückten wiederum kontroverse Inszenierungspraktiken in den Vordergrund. In einem ersten Teil schilderte Schnell dabei die Auseinandersetzung zwischen Heine und Platen als Konfliktsituation zweier existentieller Außenseiter. Die öffentliche Denunziation Platens durch Heine deutete Schnell als einen Versuch des Letzteren, sowohl in ethischer als auch in ästhetischer Hinsicht ein Exempel zu statuieren: In Platen habe Heine einen Repräsentanten der politischen Restauration und der ästhetischen Rückständigkeit gesehen, den auszugrenzen zugleich hieß, sich von diesen Verhältnissen abzugrenzen. Die polemische Fremdinszenierung werde auf diese Weise zu einer Strategie der Selbstpositionierung. In Ludwig Börne – Eine Denkschrift, die Schnell in seinem zweiten Teil in den Blick nahm, agiere Heine hingegen weitaus differenzierter. Zwar stünde auch dort mit den Möglichkeiten des deutschen Exils zwischen politischem Engagement und Kunstautonomie Entscheidendes zur Debatte, doch habe Heine sich, nicht zuletzt durch die Erfahrung der Metropole Paris, zu einem kritischen Beobachter entwickelt, der angesichts einer ›Welt in Verkehrung‹ zunehmend auf multiperspektivische Darstellungstechniken zurückgreife. Zugleich komme damit ein ›zerrissenes Bewusstsein‹ zum Ausdruck, dessen unentschiedenes Selbstverhältnis in der Börne-Denkschrift zu einer Überwindung der strikt dichotomischen Logik von Selbstpositionierung durch ausgrenzende Fremdinszenierung führt.

Mit dem mediensozialgeschichtlich orientierten Beitrag von Stefan Scherer (Karlsruhe) über »Dichterinszenierungen in der Massenpresse. Zur Auratisierung des Autors in populären Zeitschriften des Realismus« rückten die Medien der Inszenierung und deren Bedeutung für den literarischen Markt in den Fokus. Die Novelle als eine den periodischen Printmedien verpflichtete Gattung sei doppelt orientiert: Einerseits müsse der transitorische Markt befriedigt werden, andererseits wollten sich die Autoren in den Kanon einschreiben. Weiterhin seien Novellen auch doppelt adressiert, richteten sie sich doch sowohl an den Kenner, als auch zu Unterhaltungszwecken an Laien. Die Gewichtung unterschied sich bisweilen stark, wie Scherer an den Beispielen Gartenlaube und Deutsche Rundschau zeigte. Dass realistische Autoren mit dem Schreiben zwischen Markt und eigenem Anspruchsdenken unterschiedlich agierten, wurde an Fontane und Storm dargestellt, von denen dieser sämtliche Gattungen bespielte, während jener sich vor allem auf Novellen beschränkte. Wenn auch der Fokus, durch die Serialität des Mediums bedingt, auf dem Merkantilen lag, gelang es realistischen Autoren wie Storm eben durch diese Dopplung in Orientierung und Adressierung, sich in der Massenpresse zu auratisieren. Als zentrale Textsorten der nicht-auktorialen Inszenierung erwiesen sich dabei nach Scherer einerseits die verlebensweltlichenden Dichterporträts in den Familienblättern, andererseits die philologisch ausgerichtete Rundschau-Essayistik.

Den Sprung ins 20. Jahrhundert und damit in das abschließende Panel »Autorinszenierungen von der Moderne bis zur Gegenwart« vollzog Elisabeth Kampmann (Siegen) mit ihrem Vortrag »Selbstinszenierungen im Dilemma. Gottfried Benns ›Pathos der Distanz‹ und der späte Ruhm«. Zunächst zeigte Kampmann, wie Benns nietzscheanische Haltung der Weltabgewandtheit, sein kunstautonomes Selbstverständnis und seine habituelle Aggressivität der Erwartungshaltung einer auf Abgrenzung vom Kollektivismus bedachten Nachkriegsgesellschaft entsprachen und somit als Grundlage der späten Ehrungen rekonstruiert werden könnten. Im Zuge dieser Anerkennung verkomme Benns Pathos der Distanz jedoch zur Pose, die innerhalb einer Gesellschaft, in der Isolation zum kulturellen Allgemeingut geworden sei, keine Distinktionsgewinne mehr verspreche. Neue Distinktionsgewinn verschaffe sich Benn auf der anderen Seite durch das Interesse an Wissenschaft oder auch Anthropologie. Diese späte Positionierung erfolge nunmehr allerdings im Inneren des literarischen Feldes. Insgesamt sah Kampmann mit dem Fall ›Benn‹ die Frage aufgeworfen, wie viel Flexibilität, oder stärker: Widersprüchlichkeit auf der diachronen Ebene der Autorinszenierungen möglich ist.

Anke Detken (Göttingen) sprach in ihrem Vortrag »›Besser als ein Gedicht / ist eine Tür, die / schließt‹. Zum Traditionsverhalten Rolf Dieter Brinkmanns« über Brinkmanns Etablierung im literarischen Feld. Am Beispiel eines Eklats in der Berliner Akademie der Künste aus dem Jahr 1968 zeigte Detken in einem ersten Schritt, wie Brinkmann zunächst weniger durch seine Texte, denn durch performative Inszenierungspraktiken Resonanz im literarischen Feld erhielt. Mit seinen distinktionsstrategischen Inszenierungshandlungen habe sich Brinkmann als artiste maudit, als geächtetes Entfant terrible des Kulturbetriebs positioniert und damit das Fehlen jeglichen symbolischen Kapitals in einen strategischen Vorteil verwandelt. In Übereinstimmung damit ergaben die Analysen der Peritexte zu den Anthologien Die Piloten und Acid eine ausschließliche Ausrichtung an der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, einen Bruch mit der tradierten Dichotomie von Hoch- und Populärkultur und, so im Gedicht »Kulturgüter«, eine offensive Ablehnung des anerkannten kulturellen Kapitals. Diesem inszenierten Unkonventionalismus und Anti-Traditionalismus stehe jedoch, wie Detken in einer Analyse der Briefe mit Hartmut Schnell darlegte, Brinkmanns Wunsch nach Etablierung im Feld wie die Einordnung seiner ›offenen Form‹ in die Tradition der europäischen Avantgarden entgegen. Im Kontrast zwischen diesen esoterischen Äußerungen und den öffentlichen Stellungnahmen zeige sich dabei die starke feldstrategische Komponente von Brinkmanns Inszenierungspraktiken.

Wolfgang Emmerich (Bremen) eröffnete seinen Vortrag »Repräsentanten, Märtyrer – und Repräsentanten als Märtyrer. Zur Inszenierung von Autoren aus der DDR« mit Ausführungen zu generellen Schwierigkeiten, die DDR-Literatur mittels Bourdieus Feldtheorie zu beschreiben. Entwickelt anhand moderner Gesellschaften westlicher Prägung müsse die Theorie angesichts der halbierten Modernität der DDR und der massiven Heteronomie der Literatur vielmehr radikal modifiziert werden. Die fehlende Trennung der Felder habe den Autoren allerdings eine weit größere Autorität als ihren westlichen Kollegen gegeben, waren sie doch Erzieher zum Sozialismus – was als ostdeutsche illusio verstanden werden könne. Diese Schlüsselrolle im Umbau zum Sozialismus habe die Literatur starken Repressionen ausgesetzt: Von Autonomie könne nicht die Rede sein. Bis Mitte der 60er müssen die Autoren als der doxa zugehörig angesehen werden, als Repräsentanten des Regimes: Inszenierungen waren, so Emmerich, zumeist Fremdinszenierungen durch den Staat; darüber hinaus bot lediglich der Schriftstellerverband Inszenierungsspielräume, wenngleich unter der Bedingung der Systemnähe. Mitte der 60er Jahre ende jedoch die Zeit der bloßen Repräsentanzfunktion, es komme zu einer Zunahme an Autonomie. Zudem agierten DDR-Autoren nunmehr auch auf dem literarischen Feld der BRD und unter den dort geltenden Feld- und Kapitalbedingungen, wobei Publikationen in Westdeutschland zugleich als symbolisches Kapital im literarischen Feld der DDR fungierten. Die veränderte Feldsituation habe dabei auch neue Inszenierungsmöglichkeiten eröffnet. So habe es etwa Praktiken der Selbstinszenierung als Weisheitslehrer gegeben, die Formen einer internen marxistischen Häresie annehmen konnten. Als Märtyrer könnten dabei diejenigen betrachtet werden, die wie Biermann existenzieller Bedrohung ausgesetzt waren.

Mit dem Beitrag von Torsten Hoffmann (Göttingen) über »Die Ausschaltung der Einschaltung des Autors. Strategien der Selbstinszenierung in Interviews von Heiner Müller und W. G. Sebald« geriet eine Textsorte in den Blick, die gerade in der jüngeren Vergangenheit zu einem weit verbreiteten Medium der Autorinszenierung avanciert ist. Dabei plädierte Hoffmann dafür, Schriftstellerinterviews nicht ausschließlich als Peritexte, sondern als eine eigenständige literarische Form zu betrachten. In Interviews erfolge eine (keineswegs notwendig intentionale) Auseinandersetzung des Autors mit dem eigenen Autorlabel: eine Arbeit, die stets relational auf bereits kursierende Autorlabels bezogen sei. Anhand von Interviews von Heiner Müller und W. G. Sebald zeigte Hoffmann daran anschließend exemplarisch zwei Strategien einer solchen Auseinandersetzung. So ziele Müllers interviewstrategisches Leitmodell darauf ab, angesichts der politisch problematischen Position des Autors das Werk demonstrativ vom Autor zu trennen, so etwa indem »auktoriale Autorkritik« betrieben oder für anti-intentionalistische Schreibmodelle plädiert werde. Anders agiere Sebald: In dessen Interviews werden Autor und Werk durchaus aufeinander bezogen. Allerdings gehe es Sebald dabei, wie Hoffmann ausführte, um eine provozierte Enttäuschung. Gegen das kursierende Label des moralischen Autors behaupte Sebald den biographischen Ursprung seines Schreibens. Auf diese Weise betreibe Sebald letztlich Imagekorrektur.

Kai Sina (Göttingen) rekonstruierte in seinem Beitrag »›Wo ich mich zeige, liegt Mobbing in der Luft.‹ Distinktion, Sakralisierung und Humor Walter Kempowskis« ein Autorschaftskonzept und die daraus resultierenden Inszenierungspraktiken sowohl habituellen als auch textuellen und paratextuellen Typs. Drei Grundformen der Inszenierung identifizierte Sina bei Kempowski: eine als authentisch kodifizierte Inszenierung mit bürgerlichem Habitus; eine biographische Legende, die die Genese und Funktion von Kempowskis Autorschaft ins Zeichen des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs stellt; schließlich präsentiere Kempowski sich paratextuell selbst als einen ausgegrenzten Autor. Ein Effekt dieser Inszenierung sei eine emphatische Verbindung von Leben und Werk. Diese Verbindung werde zudem dadurch vollzogen, dass im Zentrum von Kempowskis Autorschaft die kunstreligiös grundierte Vorstellung stünde, das literarische Werk sei ein Sühnewerk für die historische Schuld der Deutschen, die Autorexistenz dementsprechend ein stellvertretendes Opferleben. In einem abschließenden Schritt bildete Sina Hypothesen über die feldstrategische Funktion dieses Autorschaftskonzepts. So könne es sich dabei etwa um eine Form der Werkpolitik handeln, mit der Kempowski versucht, Deutungshoheit für seine durch Deutungsvarianten charakterisierte dokumentarische Prosa zu gewinnen. Es könne aber auch, so eine zweite Hypothese Sinas, der Kompensation einer Unsicherheit von Kempowskis Stellung im literarischen Feld dienen: Mit Trivialitätsvorwürfen konfrontiert und zugleich in hochkulturellen Traditionen verankert, markiere Kempowski durch Emphatisierung und Sakralisierung seines Werks die seinen Ansprüchen gemäße Stellung im literarischen Feld.

Mit ihrem Beitrag »Typologie des ›Als ob‹. Praktiken der Autorinszenierung um die Jahrtausendwende« verlagerten Katrin Blumenkamp und Simone Winko (beide Göttingen) die Diskussion abschließend wieder auf die systematische Ebene. Dabei unterbreiteten sie einerseits einen an der Gegenwartsliteratur orientierten typologischen Entwurf, andererseits stellten sie definitorische Überlegungen zum Konzept der Autorinszenierung an. Die Stephan Porombka modifizierende Typologie entwickelten Blumenkamp und Winko anhand exemplarischer AutorInnenfotografien aus dem Umfeld der Pop-Literatur. Jeder der drei Typen (›Inszenierung von Authentizität‹, ›Inszenierung von Inszenierung‹, ›Inszenierung der Thematisierung von Inszenierung‹) wurde diskutiert hinsichtlich der Aspekte ›Darstellung‹ und ›mediale Präsentation‹ sowie der Verhältnisse zwischen Inszenierung und Werk, die aus dem jeweiligen Typ resultieren könnten. Die Korrelation von Inszenierung und anderen Autortexten modellierten Blumenkamp und Winko dabei unter anderem durch Rekurs auf rhetorische Figuren wie die Metonymie. In den definitorischen Überlegungen wurden Inszenierungen bestimmt als auf Adressaten bezogene intentionale Akte, die erst dann als Autorinszenierungen gelten könnten, wenn sie auf spezifische Kontexte bezogen sind. Als solche Kontexte seien erstens das literarische Werk, zweitens andere Autorinszenierungen, synchron wie diachron, anzusetzen.

Die ausführlichen und eingehenden Diskussionen, die die Tagung begleiteten, haben sowohl das Potential des nunmehr offensichtlich etablierten Forschungsfeldes ›Autorinszenierung‹ aufgezeigt als auch den anstehenden Forschungs- und Klärungsbedarf umrissen. Die Auffächerung und Diversifizierung der Begriffe und Typologien, der umfangreiche Theorietransfer nicht nur aus Literatursoziologie und Performative Studies sondern auch aus der kulturwissenschaftlichen Diskursanalyse, den Medienwissenschaften oder der Paratextforschung, schließlich die mittlerweile diversen Versuche, die Untersuchung von Autorinszenierungen um eine textorientierte Komponente zu ergänzen: all das spricht für die Dynamik dieses Forschungsfeldes, die gerade durch die historische Ausrichtung der Tagung fruchtbar dokumentiert wurde. Zu dieser Dynamik gehört freilich auch das Kursieren von Fragen, von denen eine hier kurz kommentiert sei, weitere schließlich in einer losen Liste nur noch abschließend zu vermerken sind. So wurde diskutiert, was denn Nicht-Inszenierung sei, wo mithin Inszenierung aufhöre. Während die Kategorie der Authentizität als Gegenbegriff weitgehend abgelehnt wurde, unterschieden sich die Grenzziehungen. Auf der einen Seite stand ein nicht-intentionalistisches Inszenierungskonzept: In diesem Fall fällt Inszenierung mit wohl nahezu jeder Form öffentlicher Sichtbarkeit, darunter auch sogenannten Fremdinszenierungen, zusammen. Auf der anderen Seite steht ein engeres, intentionalistisches Inszenierungskonzept, das die Inszenierungshandlungen als intentionale Akte des jeweiligen Akteurs begreift oder doch zumindest zu rekonstruieren versucht: Formen nicht-intendierter Sichtbarkeit würden diesem Konzept nach nicht als Inszenierung gelten. Des Weiteren wurde gefragt nach dem Spezifischen, das Autorinszenierung von anderen Formen der Inszenierung unterscheidet. Zu fragen ist auch nach der Relation des Begriffs ›Autorinszenierung‹ zu naheliegenden Begriffen wie ›Autorbild‹ oder ›Autorfigur‹, ›Autorlabel‹ oder ›Autorimage‹, vielleicht auch ›Autorporträt‹ und dergleichen. Rekurrent war zudem die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Autor als sozialem Akteur und seinen literarischen Texten, wobei sowohl die Rolle der Texte für die Autorinszenierung als auch die Relevanz der Autorinszenierung für den Umgang mit Texten andiskutiert wurde. Weiterhin nur andiskutiert wurde schließlich, wenn auch nicht zuletzt, die Frage nach den Medien der Autorinszenierung, nach typischen Textsorten und Formaten, die mit je eigenen Konventionen überhaupt erst die Möglichkeitsräume für Autorinszenierungen schaffen.

Moritz Scheper und Peer Trilcke

Georg-August-Universität Göttingen

Seminar für Deutsche Philologie

Anmerkungen

[1] Vgl. vor allem Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matías Martínez/Simone Winko (Hg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999, den Reader Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matías Martínez/Simone Winko (Hg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, sowie Heinrich Detering (Hg.), Autorschaft. Positionen und Revisionen, Stuttgart 2002. [zurück]

[2] Vgl. etwa Carlos Spoerhase, Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik, Berlin/New York 2007. [zurück]

[3] Vgl. Christine Günzel/Jörg Schönert (Hg.), Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, Würzburg 2007, und Gunter E. Grimm/Christian Schärf (Hg.), Schriftsteller-Inszenierungen, Bielefeld 2008. [zurück]

2009-09-10

JLTonline ISSN 1862-8990

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