Silke Förschler und Nina Hahne
Naturbeschreibung – Naturgeschichte
Tagung »Text – Kontext / Analyse – Interpretation: Methodische und methodologische Grundfragen der Geistes- und Kulturwissenschaften am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse«, 24.09.-26.09.2009, Halle.
Transdisziplinäres und interdisziplinäres Arbeiten in den Geisteswissenschaften wird häufig durch disparate methodische Voraussetzungen (Erkenntnisinteresse, Gegenstandsbereich, Vorgehensweise) erschwert. Ausgehend von dieser Erfahrung unternahmen Rainer Godel (Halle) und Gideon Stiening (München) den Versuch, einen Beitrag zur kritischen Reflexion und Offenlegung oft implizit bleibender Vorannahmen zu leisten und Möglichkeiten der Verständigung zu diskutieren. Die als Workshop konzipierte Tagung fand vom 24. bis zum 26. September 2009 im organisatorischen Rahmen des Exzellenznetzwerks »Aufklärung – Religion – Wissen« statt und wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Auf der Basis eines eng umrissenen Textkorpus ging der Workshop der Frage nach, wie durch unterschiedliche methodische Voraussetzungen Missverständnisse innerhalb wissenschaftlicher Debatten entstehen oder vermieden werden können. Die Kant-Forster-Kontroverse, als deren zentraler Austragungsort die 1785-1788 erschienenen Schriften Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace (Immanuel Kant, 1785), Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (Kant, 1786), Noch etwas über die Menschenraßen (Georg Forster, 1786) sowie Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie (Kant, 1788) anzusehen sind, bildete die Basis einer Reihe von Vorträgen, in welchen die Teilnehmer zum einen die methodologischen Prämissen der Kontrahenten zu rekonstruieren, zum anderen dabei jedoch auch ihren eigenen analytischen oder interpretativen Zugang im Blick zu halten hatten.
Zentrale Streitpunkte der Kant-Forster-Kontroverse sind die Interpretation der Menschheitsentwicklung und die Frage nach der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis. Kant geht von einer Monogenese der Menschen aus, innerhalb derer sich unterschiedliche Rassen herausbilden, deren konstituierendes Merkmal die Hautfarbe ist. Forster hingegen sieht in der Natur einen freien Entwicklungsprozess am Werk, aus dem je nach klimatischen Verhältnissen unterschiedliche Geschöpfe hervorgehen. Hautfarbe ist für Forster aufgrund ihrer Veränderlichkeit kein hinreichendes Merkmal zur Einteilung von Menschenrassen. Methodisch unterscheidet sich die Argumentation dahingehend, dass Kant empirische Naturerkenntnis nur mittels a priori geleiteter Erfahrung für möglich hält, während Forster Schlüsse über die Natur ausschließlich über eigene Beobachtungen, also empiristisch, legitimiert. Forsters polemische Auseinandersetzung mit Kant richtet sich gegen den Lehrsatz einer gemeinsamen Abstammung des Menschen und betont dessen Wirkungslosigkeit für die ethische Dimension der Fragestellung.
Eröffnet wurde die Tagung von Gideon Stiening (München) mit einem Vortrag »Zum Verhältnis von Systematizität und historischer Semantik in den Geschichtswissenschaften am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse«. Stiening verortete den Kern des Streits in grundlagentheoretischen Voraussetzungen der anthropologischen Frage nach der Entstehung von Menschenrassen und führte aus, dass ein Teil dieser Debatte im 18. Jahrhundert als philosophisches Problem behandelt wurde. Durch Kants Annahme eines Urstamms, auf den alle Rassen zurückgehen, soll die empirische Mannigfaltigkeit erklärt und das historisch-zeitgenössische Verfahren der Naturbeschreibung ergänzt werden. Im Vergleich zu Kant ist Forsters Modell einer polygenetischen Abstammung für Stiening nicht kohärent, da es die Hervorbringung unterschiedlicher Menschenrassen mit dem Zufall oder der Vorsehung begründet. Insgesamt bewertete der Referent die Kontroverse für beide Autoren als erkenntnistheoretisch unproduktiv. Stiening sah jedoch in Kants Position einen philosophiegeschichtlichen Fortschritt, da er mit seiner Annahme einer Monogenese Widersprüche eliminiert und Geltungsansprüche überprüfbar macht. Die anschließende Diskussion entzündete sich folgerichtig an der Frage nach der Bewertung von Stienings formallogischem Fortschrittsbegriff und damit an der Frage, inwieweit systemische Kategorien historische Erkenntnis ermöglichen.
Um die historischen Bedingungen von Forsters wissenschaftlicher Argumentation ging es in dem Vortrag »Weltreisebericht, Anthropologie und Naturgeschichte um 1800: Das Problem der wissenschaftlichen Einordnung des Fremden in das europäische Weltbild« von Sigrid Oehler-Klein (Gießen). Forster ist es ein Anliegen, seinen Südseeberichten einen naturhistorischen Schwerpunkt zu geben. Dieses Vorhaben verfolgt er, indem er die »Naturalie Mensch« in eine Ordnung zu bringen versucht. Forster ist sich, so Oehler-Klein, jedoch bewusst, dass die Einordnung des Menschen nur mit Hilfsmitteln erfolgen kann. Ein solches Hilfsmittel ist die vergleichende Anatomie Blumenbachs und Soemmerrings. Dieses Vorgehen, so Oehler-Klein, verändert die Gattung der Reisebeschreibung in der Nachfolge von Cooks erster Weltreise 1768-1771, da nun naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse in die Berichte integriert werden. Die empirische Naturbeobachtung erlangt auf diese Weise einen neuen Stellenwert. Forster verfolgt somit ein »kombinatorisches Verfahren«, welches zum einen das universelle Heranziehen verfügbaren Wissens anstrebt, dieses jedoch durch philosophische Reflexion auswertet. Im Bereich der Anthropologie wird anhand anatomischer Unterschiede auf eine geistige Hierarchie geschlossen. Oehler-Klein wies darauf hin, dass Forster dieses Kriterium einer intellektuellen Hierarchie auch in seinem Essay Über Leckereien vertritt und sich hierin eine Veränderung der Perspektive gegenüber seinen früheren Reisebeschreibungen abzeichnet. Diskutiert wurde Oehler-Kleins Ansatz, Forsters kombinatorisches Verfahren in den Kontext der Wissensgeschichte zu stellen.
Den Begriff der Tatsachen in den Texten Kants rückte Maja Soboleva (Marburg) in das Zentrum ihres Vortrags »Das Verhältnis von Begriff und Faktum am Beispiel von Kants Rassentheorie«. Für Kant sind Tatsachen das, was durch Annahmen und Erfahrung a posteriori festgestellt werden kann. Daher konstituiert sich der Rassebegriff Kants aus physiognomischen Merkmalen und in Ableitung von einer ursprünglichen Gattung. In dieser Auffassung von Tatsachen erkannte Soboleva eine Differenz zu naturgeschichtlichen Annahmen. Während für Forster der Empirismus ein Kriterium für Wirklichkeit ist, macht Kant Empirie und Idee zu komplementären Begriffen. Eine moralische Beurteilung, inwiefern Kants Rassebegriff gut oder schlecht ist, wird durch Forster in die Kontroverse eingeführt. Generell sah Soboleva das methodische Problem, ob Rasse biologisch oder soziologisch zu definieren ist, in Kants Begriff der Tatsachen angelegt. Ob Forsters prinzipiell unzulässige Übertragung des Kant’schen Anliegens von der Naturgeschichte in den ethischen Bereich ein tatsächliches oder ein gewolltes Missverständnis darstellt, konnte nicht abschließend beantwortet werden.
Zur Beantwortung der Frage »Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung? Kants Begriff der (Menschen-) Rasse als Idee einer Naturgeschichte« leistete Werner Euler (Marburg) eine detaillierte Rekonstruktion der Ordnung von Kants Texten in der Form eines philosophischen Kommentars. Dabei stellte er fest, dass für Kant Beobachten das Erfahren von Prinzipien ist. Vor diesem Hintergrund wirft Kant sowohl Forster als auch Linné vor, insgeheim von Prinzipien der Naturgeschichte auszugehen, ohne diese auszuweisen. Kants Rassentheorie lasse sich, so Euler, in die Naturgeschichte einordnen. Dies veranschaulichte der Referent, indem er das System der Naturgeschichte erläuterte: In der Naturgeschichte sind Arten unveränderlich. Jedoch können sich gemäß der Naturkausalität durch Fortpflanzung Abarten abspalten, die wiederum Rassen hervorbringen. Die Gattung Mensch ist in die Naturgeschichte durch das Ausbilden von nicht zufälligen Varietäten integriert. Euler kam zu dem Schluss, dass Kant nicht von allgemeinen Zweckmäßigkeiten der Natur ausgeht, sondern von der Varietät der Gattung. Kant dürfe in diesem Zusammenhang nach Euler eigentlich nicht von einer »Rassentheorie« sprechen. Die anschließende Diskussion behandelte die Frage, ob die Methode des philosophischen Kommentars, welche Euler hinsichtlich der Kant’schen Abhandlung verwendet, auch auf die essayistische Struktur des Forster’schen Textes anwendbar ist.
Im Vortrag von Tanja van Hoorn (Hannover) »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Naturgeschichte? Forster versus Kant« ging es um die Bedeutung der Naturgeschichte vor und nach Kant. Die Naturgeschichte als Beschreibung einer als unveränderlich gedachten Natur beinhaltet seit Plinius Zitate unterschiedlicher Gattungen. Mit Buffon wird Augenzeugenschaft zu einem wichtigen Kriterium, das das Verfahren des Textverweises in den Hintergrund drängt. Kant nimmt eine Modifizierung der Naturgeschichte vor, indem er die Abstammung einführt und in seiner Naturbeschreibung Naturmerkmale vergleicht. Damit etabliert Kant, so van Hoorn, ein neues Forschungsfeld, das aus der Naturbeschreibung heraus historische Ableitungen möglich macht. Dabei ist die Konstanz der Arten entscheidend. Für Forster hingegen beinhaltet die Naturgeschichte das tradierte Vorgehen von Beobachten, Berichten und Sammeln. Nach van Hoorn ergeben sich aus der Darstellung der Positionen beider Autoren Unterschiede der Herangehensweise. So werden in der Naturgeschichte Differenzen vereinheitlicht, während in der Naturbeschreibung eine Gattungseinheit aus der Beobachtung von Differenzen entsteht. Die Diskussion betonte vor allem die Notwendigkeit, andere zeitgenössische Konzepte von Naturgeschichte und Naturbetrachtung mit der Konzeption Kants zu vergleichen, um Kants Neuerungen beurteilen zu können.
Robert Bernasconi (Pennsylvania State University) vertrat in seinem Vortrag »What did they know and how did they learn of it? On Kant and Georg Forster’s Uses of Evidence in Their Debate about the Human Races« die These, dass Kant der Urheber eines wissenschaftlichen Konzeptes von Rasse ist. Dieses etabliert Kant, indem er die Diskussion um Anomalien im 18. Jahrhundert in die Naturgeschichte als Diskussion um Varietäten überführt. Während Forster davon ausgeht, dass die Hautfarbe von Eltern und Klima abhängig ist, ist Kants Auffassung von Rasse transhistorisch und universell. Kants Monogenese führt zur Annahme von Unterrassen, außerdem werden die Eigenschaften, die Rasse definieren, zum alleinigen Merkmal einer Art. Damit, so Bernasconi weiter, ignoriert Kant das Wissen seiner Zeit. Während sich Kant einem Falsifikationsprinzip unterwirft, indem er die Hautfarbe als konstitutives Merkmal wählt, um ein geschlossenes Modell von Rasse zu entwerfen, ist Forster ausschließlich an einer Beschreibung von Phänomenen interessiert. Da es nach Kant kein moralisches Entwicklungspotenzial für nicht-weiße Rassen gebe, wurde diskutiert, inwiefern Kontextualisierung und Historisierung der Rassen-Debatte auch die moralische Folgelast mit einbeziehen.
Kristina Kuhn (Konstanz) ging in ihrem Vortrag »›Ich danke für den bloß empirischen Reisenden und seine Erzählung‹ – Kant und die Reisebeschreibung« der Frage nach, welche Rolle sinnliche und empirische Evidenz in der Reisebeschreibung spielen und welchen Stellenwert sie bei Kant und Forster einnehmen. Kant wirft Forster mit Blick auf die Reisebeschreibung das nicht-selektive Sammeln von Daten vor, während Forster den Anspruch hat, philosophische Reisebeschreibungen zu verfassen. Kant bezieht sich dennoch auf die Empirie, indem er Buffon, Linné und Soemmerring in seinen Texten zitiert. Aus deren Naturbeobachtungen zieht Kant den Schluss, Art und Gattung, die in der Naturgeschichte nicht unterschieden sind, in Rasse und Art zu differenzieren. Kuhn stellte in der Diskussion fest, dass Kants Texte in Frage stellen, ob Empirie eine Beweiskraft hat, da die Zitate in den Fußnoten mehrfach gebrochen sind und die Autoren teilweise anonym bleiben.
Der Vortag von Dirk Werle (Leipzig) »Problemgeschichte und Konstellationsforschung: Zu Stärken und Schwächen einer Verbindung der Forschungskonzeption am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse« nahm methodologische Fragen in den Blick, indem Gemeinsamkeiten der Konstellation und des Problems der Kontroverse aufgezeigt wurden. Die Konstellationsforschung, so Werle, richtet sich gegen eine Monumentalgeschichte großer Männer und geht davon aus, dass Ideen in Netzwerken und Gruppen entstehen. Dabei erhält der Kontext Bedeutung, jedoch in einem weniger teleologischen Sinne als in der Kontroversenforschung. Die Problemgeschichte, so Werle weiter, nimmt die Kontexte literarischer Texte in den Fokus und fragt, was die Probleme sind, auf die literarische Texte eine Antwort geben. Die Kant-Forster-Kontroverse versteht Werle als Grabenkampf auf dem Gebiet der Anthropologie insbesondere um den Begriff der Menschenrasse. Dabei stehen sich Beschreiben und Erklären gegenüber; das Verhältnis zwischen Historiographie und Philosophie wird ausgehandelt. Erörtert wurde die Frage, ob es sich bei den Texten Kants und Forsters tatsächlich um eine Kontroverse oder um eine Konstellation handelt.
Rainer Godel (Halle) machte in seinem Vortrag »Mediale Strategien. Zu Möglichkeiten und Grenzen der Forschung zur ›medialen Revolution‹ des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Forster-Kant-Kontroverse« deutlich, auf welche Weisen Inhalte der Aufklärung und mediale Formen verbunden sind. In den Texten Forsters stellte er ein Ich als Subjekt der Erfahrung fest sowie das Muster des Leserbriefs und des Essays, die den Leser direkt ansprechen. Hier erkannte der Referent den Anspruch der Aufklärung, selbst zu denken. Darüber hinaus machte Godel in Forsters Text eine Reflexion aus, wie in bestimmten Medien Erkenntnis gewonnen werden kann; entscheidend für den Essay sind die Kontextabhängigkeit und die Temporalität von Urteilen. Bei Kant ist der Aufsatz tendenziell eher eine wissenschaftliche Gattung, mit der er seiner Motivation nachgeht, anthropologische Aussagen zu treffen. Auf die zeitgenössische Erwartungshaltung nach allgemeinverständlicher Darstellung nimmt er dahingehend Bezug, dass er zwischen begrifflicher und ästhetischer Deutlichkeit unterscheidet: Die intuitive oder ästhetische Deutlichkeit, deren Wert er durchaus zu schätzen weiß, sei allein in populärwissenschaftlicher Absicht notwendig. Für Schriften, welche auf Konsistenz zielen, sei hingegen die Form der Abhandlung angemessen. Den medialen Kontext sah Godel sowohl für Forster als auch für Kant in der Kontroverse, die Argumente unterschiedlicher Tragweite und Rationalität in Beziehung setzt. In der Diskussion wies Godel darauf hin, dass Kontextualisierung nicht zu einer Entwertung der Textnähe führt.
Ibrahima Diop (Dakar) erläuterte in seinen Ausführungen mit dem Titel »Die Kant-Forster-Kontroverse über Menschenrassen als bedeutendste Zäsur der europäischen Afrikadiskurse der Aufklärung« das historisch-zeitgenössische Wissen über Afrika und seine Transformation durch Kant und Forster. In dem Afrikawissen der Zeit geht es um rassentheoretische und koloniale Fragen, um Sprachforschung und Missionierung. Als Integrationsideologie sei die Aufklärung Afrika gegenüber negativ oder zweifelnd eingestellt. Die Kant-Forster-Kontroverse verändert das Afrikawissen durch die Hierarchisierung der Menschenrassen. Hierfür bedient sich Kant zeitgenössischen Wissens, beispielsweise über die Hottentotten. Pietistische Missionare interpretieren die Religion der Hottentotten als Vorstufe des Christentums. Buffon lobt die schnelle Auffassungsgabe der Hottentotten. Kants Einschätzung ist deutlich abwertender, er wirft dem Stamm mangelnde Intelligenz vor und stellt ihn auf die unterste Stufe der Menschenrassen. Forster kritisiert Kants Rassebegriff, indem er in Kants Position, die eigentlich der Aufklärung verpflichtet ist, keine aufklärerischen Ideale erkennt. Daraus leitete Diop abschließend die wissenspolitische Feststellung ab, dass es eine andere Aufklärung gebe, die den Rassebegriff nicht biologistisch reduziere. Die Diskussion ging von der abschließenden Frage aus, von welcher Universalität beziehungsweise Diversität in Bezug auf Kulturen im Unterschied zu Rassen gesprochen werden könne.
Klaus-Gert Lutterbeck (Greifswald) machte in seinem Vortrag »Transzendentale Betrachtung als Bedingung wertegeleiteter Erkenntnis in den Geistes- und Kulturwissenschaften: Die Kategorie des Zwecks« zentrale Punkte der Kontroverse, ihre wissenstheoretischen Konzepte und methodischen Konsequenzen deutlich. Traditionell werde die Kant-Forster-Kontroverse als Konstitution der neuen Anthropologie in Abgrenzung zur metaphysischen Schulphilosophie verstanden. Forster fungiere hierbei als Wegbereiter eines umfassenden Empirismus, welcher das Anthropologische mit dem Ethischen verbinde. Ein Ergebnis der Kontroverse sei es daher, dass Kants Monogenese des Menschen in einen moralischen Zusammenhang gestellt wird. Forsters wissenshistorisches Konzept hingegen wird mit der normativen Kraft des Faktischen konfrontiert. Forster vertritt einen relativistischen Forschungsstandpunkt. Laut Lutterbeck besitzt er Klarheit darüber, dass die Struktur des Wissens nicht die Struktur der Welt ist. Kants naturwissenschaftliche Argumentation für eine Monogenese und eine weiße Stammrasse verbindet normative kulturwissenschaftliche Fragen mit der Anthropologie. Forster hingegen begründet die Polygenese und graduellen Unterschiede zwischen den Rassen mit der Anatomie. Übereinstimmend bei beiden Autoren sind die Normativität des Faktischen und die Auffassung ihrer Bedeutsamkeit für die Anthropologie. Abschließend vertrat Lutterbeck die These, dass Moralität – im Sinne Kants – auf Gesetze gegründet werden muss, während Forsters Humanitäts-Konzept impraktikabel sei. Die Diskussion bezog sich darauf, dass Lutterbeck die These der Impraktikabilität vorwiegend innerhalb der Rechtstheorie begründet und nicht in der Praxis.
Das »Verhältnis von Philosophie- und Ideengeschichte am Beispiel der Kontroverse zwischen Kant und Forster« thematisierte Falk Wunderlich (Berlin) in seinem Vortrag. Zu Beginn erläuterte der Referent den Unterschied zwischen Ideengeschichte und Philosophie. Ideengeschichte rekonstruiert ein Werk, während Philosophie die Kontinuität offener Fragen betont und den historisch-zeitgenössischen Wissenschaftskontext beachtet. In der Kontroverse maßt sich Kant aus der Sichtweise Forsters an, als Philosoph Aussagen über Themen der Anthropologie zu treffen. Kants Differenzierung zwischen Wissenschaft und Philosophiegeschichte zeige jedoch, dass er nicht beabsichtige, Wissenschaft zu betreiben. Für die historisch-zeitgenössische Rekonstruktion der Debatte besteht die Schwierigkeit darin, dass noch keine disziplinäre Trennung zwischen Philosophie und Anthropologie erfolgt ist. Heute kann die Unterscheidung zwischen Naturgeschichte und Naturbeschreibung nicht mehr als philosophisches Problem verstanden werden. Gleichermaßen lassen sich Empirie und Philosophie nicht gegenüberstellen. Kants Argumentation kann, so Wunderlich, als Versuch gewertet werden, apriorische Grundlagen für die Empirie zu etablieren.
Im abschließenden Vortrag »History of Philosophy vs. History of Science: Blindness and Insight of Vantage Points on the Kant-Forster-Controversy« von John Zammito (Rice University Houston, TX) wurde der Stellenwert historischen Wissens für die Philosophie betont und als wesentlich betrachtet. Damit einher ging ein Plädoyer, Kant im Kontext der Wissensgeschichte zu betrachten und nicht in der Philosophiegeschichte. Zammito machte deutlich, dass Kant nur insofern auf das Wissen seiner Zeit Bezug nimmt, als es seinen Intentionen dient. Gleichermaßen wird er im Unterschied zu Forster auch nicht von den zeitgenössischen Naturhistorikern rezipiert. Der Referent zeigte in seinem Vortrag auf, dass Blumenbach aufgrund der Reiseberichte von Forster seine Theorie revidiert. Aus einer wissensgeschichtlichen Perspektive bewertete der Referent Kants Position als Rückschritt: Im Zusammentreffen mit Forster habe Kant letztlich auch den Glauben an die Möglichkeit einer Naturgeschichte verloren. Die Diskussion griff Zammitos zentrale These auf, dass Kants Programm einer philosophy of science regressiv war und durch das Herausbilden eines spezifischen Kanons und eigener Fragestellungen eine Zusammenarbeit mit der progressiven history of science unmöglich wurde.
Fazit
Die Vorträge und Diskussionen vermittelten wichtige Anstöße zur Klärung und methodologischen Reflexion der Kontroverse um Kant und Forster. Durch das Benennen entscheidender methodologischer Prämissen wie Text versus Kontext, Form versus Inhalt oder Beschreibung versus Bewertung wurde die Möglichkeit eröffnet, eine disziplingesteuerte Parteinahme für Kant (Philosophie/Wissenschaftsgeschichte) bzw. für Forster (Germanistik/Historik) aufzulösen. Indem übergeordnete Fragen in den Vorträgen gestellt und anschließend diskutiert wurden, beispielsweise, wie die Kategorie Rasse wissenspolitisch untersucht werden kann oder welche Möglichkeiten es gibt, den historischen Zusammenhang von Gegenstandsbereichen und Fächern zu benennen, kam die Tagung über die Rekonstruktion einzelner Positionen hinaus. Der eigene disziplinäre Zugang wurde von den Beiträgern genutzt, um Positionen innerhalb der Kant-Forster-Kontroverse zu erläutern und um Aussagen über die Verfasstheit historischer und gegenwärtiger Wissensfelder treffen zu können. Die Offenlegung disziplinärer Prämissen ermöglicht somit ein transdisziplinäres Gespräch, in welchem keiner Disziplin das Primat der Erklärung zufällt. Geplant ist die Herausgabe eines Sammelbandes, für welchen die Beiträger ihre Vorträge unter Berücksichtigung und Weiterführung der aufgeworfenen Fragen ergänzen werden, sodass eine Abbildung der »Kontroverse über die Kontroverse« in ihrer jeweiligen perspektivischen Aneignung entsteht.
Silke Förschler und Nina Hahne
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Exzellenznetzwerk Aufklärung – Religion – Wissen
2009-12-22
JLTonline ISSN 1862-8990
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