Eine „Weltsprache der Poesie“?
1. Göttinger komparatistische Graduiertenkonferenz zur internationalen Lyrik seit 1960
Georg-August-Universität Göttingen
(30.09.-02.10.2010)
CALL FOR PAPERS
Vor nunmehr fünfzig Jahren, im Juni 1960, erschien Hans Magnus Enzensbergers Museum der modernen Poesie: Der Dichter verstand seine Sammlung von Texten, mit der er den Begriff der „Weltsprache der Poesie“ prägte, nicht als Anthologie, sondern als Chrestomathie, als Schreibanregung für seine deutschen Kollegen. Gleichwohl war Enzensbergers Zusammenstellung, wie der Herausgeber selbst später freimütig eingeräumt hat, von einem „ahnungslosen Eurozentrismus“ geprägt. „Deshalb fehlen in diesem Buch die Chinesen, die Araber, die Inder, die Japaner, von Dutzenden anderer Zonen der Poesie zu schweigen. Die Idee der Weltliteratur hat dadurch eine Verkürzung erlitten, die heute, in einem postkolonialen Zeitalter, ziemlich merkwürdig anmutet.“ Spätere Anthologisten haben sich daher, chronologisch an Enzensbergers Museum anknüpfend, bemüht, die „Weltsprache der Poesie“ umfassender oder zumindest mit anderen Schwerpunktsetzungen abzubilden. Zum Teil halten sie, wie etwa Harald Hartung, an der Idee einer spezifisch modernen „Weltsprache der Poesie“ fest, zum Teil erklären sie diese, wie Joachim Sartorius, zur bloßen Fiktion. In seiner 1991 auf die Reise geschickten Luftfracht konstatiert Harald Hartung angesichts der deutlich erkennbaren Ausdifferenzierung des weltweiten poetischen Diskurses: „Der Prozeß der modernen Poesie ist in den inzwischen abgelaufenen drei Jahrzehnten weitergegangen; die Impulse sind nicht erlahmt, sondern haben sich erweitert, wohl auch verstreut: neue Autoren, neue Literaturen sind in den poetischen Diskurs eingetreten; und natürlich fragt es sich, wie er zu resümieren und bilanzieren wäre.“
Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Enzensbergers Museum, der vielleicht einflussreichsten Anthologie internationaler Lyrik der Vor-, Zwischen- und (Welt-) Kriegszeiten des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, nimmt die Graduiertenkonferenz Hartungs Frage zum Ausgangspunkt einer Bestandsaufnahme aus komparatistischer Perspektive. Sie fragt, ob und wie sich im Anschluss an das Erscheinungsdatum von Enzensbergers Museum eine Geschichte der internationalen Lyrik ab 1960 entwerfen lässt, und unternimmt damit einen ersten Versuch der Bilanzierung – auch im Hinblick auf ein mögliches Resümee.
Ausgehend von diesen Überlegungen bitten wir um Vorschläge für thematisch einschlägige, komparatistisch angelegte Vorträge, die sich zum Beispiel mit folgenden Fragestellungen auseinander setzen:
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Literaturtheoretische Aspekte: Welche Begrifflichkeit ist geeignet, eine mögliche „Weltsprache der Poesie“ seit 1960 zu erfassen? Welche Konzepte der Intertextualitätstheorie, der Übersetzungswissenschaften, der Literatursoziologie etc. können hierzu herangezogen werden? Welche lyriktheoretischen Grundbegriffe könnten und sollten zu deren Erfassung auf den Prüfstand gestellt, modifiziert oder gar erweitert werden?
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Literaturgeschichtliche Aspekte: Ist es überhaupt sinnvoll, heute noch von einer „Weltsprache der Poesie“ zu reden? Welche Argumente sprechen dafür und wie kann eine solche lyrische Kommunikation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg adäquat beschrieben werden? Lassen sich andernfalls alternative Ordnungskriterien benennen, die zur Beschreibung der internationalen Lyrikproduktion von 1960 bis heute herangezogen werden können?
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Literatursoziologische und medienkomparatistische Aspekte: Welche außerliterarischen Faktoren beeinflussen die Distribution lyrischer Texte über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg (z.B. in Form von Anthologisierung, Übersetzung, Distribution im WorldWideWeb, Vergabepraxis bei Literaturpreisen etc.)? Wie wirken diese Faktoren sich gegebenenfalls kanonbildend im Hinblick auf eine „Weltsprache der Poesie“ aus?
Die oben genannten Problemzusammenhänge können auch anhand von besonders signifikanten Fallstudien erörtert werden.
Die Tagung versteht sich als komparatistische Nachwuchswissenschaftlertagung und richtet sich in erster Linie an Graduierte und Postdoktoranden aller Philologien. Interessierte fortgeschrittene Studierende sind ebenfalls willkommen. Vorträge können auf deutsch oder englisch gehalten werden. Die Tagung wird in Kooperation mit dem Zentrum für komparatistische Studien der Georg August-Universität Göttingen ausgerichtet von Alena Diedrich, Anna Fenner, Claudia Hillebrandt und Stefanie Preuß. Sie findet vom 30.09. bis 02.10.2010 in Göttingen statt. Als Keynote-Speaker werden Professor Dr. Simone Winko, Professor Dr. Heinrich Detering und Professor Dr. Dieter Lamping vortragen.
Abstracts für einen möglichen Vortrag in deutscher oder englischer Sprache (bis zu 300 Wörter) im pdf- oder doc-Format und eine kurze Bio-Bibliographie schicken Sie bitte bis zum 31.05.2010 an:
Claudia.hillebrandt@phil.uni-goettingen.de
Stefanie.preuss@phil.uni-goettingen.de
Die Vorträge sollten eine Länge von 30 Minuten nicht überschreiten. Es wird eine Tagungsgebühr in Höhe von 20 € erhoben. Fahrt- und Unterbringungskosten können nicht übernommen werden. Eine Publikation ausgewählter Beiträge im Anschluss an die Tagung wird unter Vorbehalt der Bewilligung der Finanzierung angestrebt.
HINWEIS: Dieser Call for Papers ist eine Übernahme aus einer anderen Informationsquelle. JLTonline publiziert ihn lediglich als Service und ist für die Inhalte und ihre Richtigkeit nicht verantwortlich.